Shake your Life. Ralph GoldschmidtЧитать онлайн книгу.
Vision. Geht das?«
»Mein lieber Freund!« Ich lege das Messer hin, lege die Limetten zurück in den Alessi und lache ihn offen an. »Natürlich geht das. Ich warte auch gerne noch eine Weile. Könnte ja sein, dass Ihnen noch ’ne andere Idee kommt.«
»Nein. Nein. Keine Sorge. Ich bleib dabei.« Er schaut mich verblüfft an.
»Okay.« Ich zwinkere ihm zu. »Dass Wodka drin sein soll, das scheint ja jedenfalls ausgemacht. Wollen Sie einen Wodka pur? Das wäre die sichere Lösung.«
Jetzt lächelt er. »Njet. Danke. Sorry, ich unterschreib Ihnen auch gerne ein Formular. Ich will wirklich einen Double Vision. Der passt gerade am besten.«
Was meint er damit? Double Vision passt am besten? Eins liegt auf der Hand: Der Typ sieht im Moment irgendwie nicht klar.
»Gut. Dann mache ich’s Ihnen leicht. Sie haben hier ab sofort eine persönliche Getränkekarte, die ist speziell für Sie. Und auf der steht nur ein Getränk: Double Vision. Sie können also bestellen, was Sie wollen, ich mache Ihnen in jedem Fall einen Double Vision. Klare Sache. Einverstanden?«
Mr. Wodka lacht. Jetzt schaut er richtig fröhlich aus. »Gut, Chef. Dann hätte ich gerne eine Bloody Mary!«
Wir lachen beide. Netter Kerl. Er geht ein paar Schritte von der Bar in den Raum hinein und macht sich’s in einem der Ledersessel gemütlich. Seinen schokobraunen Pal-Zileri-Mantel wirft er lässig auf den anderen Sessel neben sich. Lockert die Krawatte. Das sieht nicht so aus, als ob er sich noch mit jemandem treffen würde. Der Mann geht heute Abend mit sich alleine aus.
Ich schreite zur Tat. Double Vision. Keine Zutat wird in Cocktailbars öfter verwendet als Wodka. Wodka ist eine klare Sache. Und Klarheit, das kann dieser Beau hier in meiner Bar gerne haben.
Ich fülle vier Eiswürfel in meinen Boston Shaker. Das ist das Teil mit dem Metallbecher oben und dem großen Glas unten. Meine Eiswürfel sind glasklar. Wir sind hier ja auch nicht bei Um-die-Ecke, sondern in der Jangada Bar – meiner Bar. Und bei mir gibt es keine weißen Eiswürfel. Ich koche das Wasser auf, bevor es in die Eismaschine kommt, das ist der Trick. Und die Maschine stelle ich auf superkalt, denn zum Mixen brauche ich kalte, trockene Würfel, und das Eis muss immer frisch sein, sonst schmeckt es nicht neutral. Erst ganz heiß, dann ganz kalt, kein Wischiwaschi. Das Longdrinkglas stelle ich schon mal bereit und fülle es mit Eiswasser aus der Karaffe, damit das Glas nachher kühl ist. Dabei achte ich darauf, dass die Außenseite des Glases trocken bleibt.
In den Shaker zum Eis kommen jetzt 3 cl Wodka mit Johannisbeeraroma, also bei mir schwedischer Wodka Blackcurrant, sowie 3 cl dänischer Wodka Citron. Die beiden finde ich entschieden am besten. Dazu 4 cl klarer Apfelsaft. Direktsaft.
Wir sind hier ja auch nicht bei Um-die-Ecke, sondern in der Jangada Bar.
Becher drauf, kleiner Schlag mit dem Handballen obendrauf und schütteln. Beim Schütteln wir die Luft innen kälter, zieht sich zusammen, es entsteht ein leichter Unterdruck, der Glas und Becher zusammenhält. Ist wirklich dicht.
Beim Shaken schaue ich wieder nach Mr. Wodka. Er sitzt da und schaut ins Leere. Strahlendes Glück sieht anders aus. Auf den ersten Blick ist er ein verdammt gut aussehender Bilderbuch-Mann, wie frisch vom Armani-Laufsteg. Schlank, groß, sportlich, über den Schläfen geht der Haaransatz schon leicht zurück. Super Friseur. Ein Gesicht wie Viggo Mortensen, gepflegter Dreitagebart, Grübchen am Kinn. Wow, denke ich, toller Hecht. Aber er schaut irgendwie verdrossen ins Leere.
Mit der linken Hand drücke ich den umgedrehten Shaker auf die Platte und haue mit der rechten Hand kräftig gegen den Rand des Metallbechers. Das Teil öffnet sich, ich nehme das Glas raus, gieße das Eiswasser aus dem Cocktailglas und fülle dann den Drink durch das Barsieb ein und …
Mist!
Ich habe den Angostura vergessen.
Der Double Vision hat es in sich. Nicht nur wegen des kräftigen Anteils Wodka, sondern auch wegen der unverzichtbaren paar Spritzer Angostura Bitter, der die Fruchtsäure perfekt ausgleicht. Das Wundermittelchen enthält unter anderem Extrakte von Enzianwurzel, Bitterorange, Nelken, Kardamom, Zimt und Chinarinde und wurde im 19. Jahrhundert vom deutschen Arzt und Waterloo-Veteran Dr. Johann Gottlieb Benjamin Siegert in der Stadt Angostura entwickelt, die mitten im Regenwald in Venezuela liegt und heute Ciudad Bolívar heißt. Der Bitterlikör wurde damals als Medikament gegen Malaria, Gelbfieber und Denguefieber genutzt. Dr. Siegert war einer der rund 300 europäischen Legionäre im Freiheitskampf der Südamerikaner gegen die spanische Krone und wirkte als Generalstabsarzt in Simon Bolivars Separatistentruppen. Aber er war auch ein cleverer Geschäftsmann. Als er nämlich merkte, dass Söldner und Seefahrer seine Medizin mit Gin mischten und so als Drink für echte Kerle auf der ganzen Welt verbreiteten, hing er seinen Arztkittel an den Nagel und begann, den Angostura Bitter professionell zu produzieren und zu vermarkten. Die Firma existiert seit 1850, das Rezept ist natürlich geheim. Feine Sache, hochkonzentriert, saubitter.
Und nicht in diesem Drink!
Also, alles noch mal von vorne …
Als ich ihm sein Glas bringe,
hängt Mr. Wodka im Sessel wie ein nasser Sack.
»Hallo, Señor, Sie wollten die Piña Colada, stimmt’s?«
Er rafft sich auf, lacht etwas angestrengt und nimmt seinen Double Vision (mit drei Spritzern Angostura).
»Danke. Schöner Laden.«
»Na, dachte ich mir doch, dass Sie zum ersten Mal hier sind. Sind Sie auf Geschäftsreise? Oder frisch zugezogen? Oder haben Sie heute Abend plötzlich Ihre Liebe zum Wodka entdeckt und dann schnell die nächstgelegene Bar aufgesucht?«
Ich setze mich kurz auf die Lehne des Sessels neben ihm. Der Mann wirkt verschlossen. Aber die Typen mit der Ritterrüstung finde ich besonders spannend.
Geld hat er, das sieht man. Und verheiratet ist er, jedenfalls trägt er einen Ehering am Finger. Sein Gesichtsausdruck und seine Gesten sind hart, wenn er spricht. Eine Menge Testosteron ist da im Blut.
»Ich bin weder neu hier noch auf der Durchreise. Habe eben gerade Ihre Bar entdeckt und hatte Lust auf ’nen Drink. So was gibt’s doch, oder?«
Viel bekomme ich aus ihm nicht raus an diesem Abend. Die Bar füllt sich auch so langsam, ich habe gut zu tun. Irgendwann legt er Geld auf den Tisch und geht, ohne Tschüss zu sagen oder rüberzuschauen.
Eine Woche später.
Vor mir sitzt Mr. Wodka und nickt mir zu.
»Guten Abend. Möchten Sie einen Double Vision oder einen Double Vision?«
Er lacht laut, die Rüstung bekommt Risse, das Visier klappt hoch. »Hm, dann nehme ich einen Double Vision, oder was meinen Sie?«
»Keine Ahnung. Ich mach Ihnen erst mal einen Double Vision.«
An diesem Abend erfahre ich mehr. Mr. Wodka bleibt am Tresen sitzen und beim zweiten Drink erzählt er.
Er arbeitet in der Pharmabranche. Seine alte Firma wurde vor einem Jahr übernommen. Ganz neue Kultur seitdem. Ich weiß, welche Firma das ist, in der Stadt gibt es da nur eine Möglichkeit. Riesenladen, einer der drei größten weltweit. Sein Metier ist Vertrieb, er ist gerade aufgestiegen, führt fünf Teamleiter und hat insgesamt 70 Leute unter sich. Sein oberster Chef ist neu. Auch das Produkt, das er pushen soll, ist neu. Stressig, das alles. Aber es läuft gut für ihn. Kommt gerade aus dem Büro, es ist kurz vor neun.
»Hm, 70 Leute, Vertrieb, da muss man tough sein, oder?«
»Schon.« Er blickt in sein Glas.
Ich