Mut braucht eine Stimme. Peter HolzerЧитать онлайн книгу.
ich auch, denn irgendwann ist es nun einmal vorbei mit der Konzentrationsfähigkeit. Kein Mensch kann, wenn er zwölf Stunden im Büro sitzt, auch wirklich zwölf Stunden Hochleistung erbringen. Doch wir blieben. Der Projektleiter hatte klargemacht: Wir verlassen dieses Bürogebäude als Letzte.
Meine Kollegen waren wie ich schon lange mit ihrem Tagewerk durch. Und so starrte der eine nachdenklich auf eine Excel-Liste, der andere fummelte an der Blauskalierung der PowerPoint-Präsentation. Von außen gesehen erweckten wir aber den Anschein, immer noch hoch konzentriert mit Daten und Analysen zu hantieren.
Wir sollten zeigen: Wir arbeiten so unglaublich viel. Wir sind unser Geld wert.
Wenn ich mich heute, rund 15 Jahre später, abends mit Freunden treffe, habe ich den Eindruck, dass sich seitdem in der Gesellschaft kaum etwas geändert hat. Nach einem typischen Arbeitstag wirken die Freunde ähnlich erschöpft wie Löwen, die gerade für ihr Rudel einen Büffel erlegt haben. Sie hocken erst mal stumm vor ihrem Drink und wirken leer und müde. Dann beklagen sie sich: »Ich war heute so beschäftigt, dass ich gar nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist. Ich habe telefoniert wie ein Weltmeister, war in fünf Meetings und habe Berge von Mails durchgearbeitet. Aber wenn ich jetzt so überlege, wo ich richtig vorwärtsgekommen bin … fällt mir nichts ein.«
Ohne Ende gerödelt, aber wenig erreicht.
Wir beschweren uns gerne, wie sehr wir beschäftigt waren. Die Klage »Was war das für ein beschissen produktiver Tag« höre ich dagegen nie. Vorherrschend ist das Gefühl, ohne Ende gerödelt, aber wenig erreicht zu haben. Unglaublich beschäftigt zu sein und doch nichts zu bewirken. Es ist, als ob wir in einem Karussell säßen und zu schwach wären, um auszusteigen. Als ob wir von einem Virus infiziert wären. Und tatsächlich leiden wir unter zwei unerbittlichen Krankheitserregern.
Nummer 1: Der Input-Virus
Sie haben ein Ziel, das Sie erreichen wollen. Zum Beispiel: Ihrem Eheleben neues Feuer einhauchen, die Beziehung zu den Kindern intensivieren, Ihre Englischkenntnisse verbessern oder ein paar Kilos abnehmen. Oder im Job den Umsatz steigern, neue Kunden gewinnen, Produktionsprozesse beschleunigen. Das alles ist Output. Am besten wird das mithilfe eines Bildes klar. Stellen Sie sich vor, dieser Output sei ein großer Felsbrocken, den Sie bewegen wollen.
Das wird einfacher, wenn Sie einen Hebel an diesen Fels ansetzen. Der Hebel ist der Input. Unter Input verstehe ich Aktivität. Telefonieren, verkaufen, sich weiterbilden, einkaufen, ins Museum gehen, essen, lesen, Sport treiben, arbeiten, Fortbildungen besuchen – alles, was aktive Handlung ist. All das wirkt wie ein Hebel, den Sie an den Felsbrocken ansetzen, um ihn zu bewegen. Sie wissen aus Erfahrung, dass es Hebel gibt, die stärker wirken, und Hebel, die schwächer wirken. Wenn Sie zum Beispiel eine Tür aufstemmen wollen, wird Ihnen das mit einem längeren Brecheisen leichterfallen als mit einem kurzen.
Sie brauchen also Input, um auf den »Felsbrocken« einzuwirken – um Ergebnisse zu erzielen. Darum ist Aktivität grundsätzlich richtig und wichtig. Wenn diese Aktivität aber nicht zu Ergebnissen führt, dann hat Ihr Tun keine Wirkung. Wenn Sie sich mit Aktivitäten, die nur eine schwache Hebelwirkung haben, unglaublich beschäftigt halten, hinterlassen Sie trotz allen Rödelns keine Spuren im Leben. Dann haben Sie nichts geschaffen, woraus Sie Befriedigung ziehen könnten.
Vor lauter Input nicht mehr zum Output kommen.
Genau das bewirkt der Input-Virus: dass Sie vor lauter Input nicht mehr zum Output kommen. Der Input überschwemmt Sie, sodass es Ihnen nicht mehr gelingt, die hereinströmende Aktivität sinnvoll zu sortieren, zu priorisieren und vor allen Dingen zu selektieren. Das heißt: Input, der nicht wirkungsvoll ist, gilt es abzustellen. Vor lauter Beschäftigtsein können Sie sich keine Meinung bilden und keine Prioritäten setzen. Ohne eigene Meinung und mutige Entscheidungen werden Sie aber auch keinen herausragenden Output erzielen.
Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie das Wirken des InputVirus in den unterschiedlichsten Lebensbereichen erkennen. Sehen Sie sich die heutige Elterngeneration an: Sie sind mit der gesellschaftlichen Erwartung konfrontiert, ihre Kinder in der optimalen Weise zur Entfaltung zu bringen. Und das nicht erst mit Beginn der Schulbildung, sondern bereits vor der Geburt. Da wird die Mutter angehalten, sich in ganz bestimmter Weise zu ernähren, um den Weg ihres Kindes zum Genie nicht im Keim zu ersticken. Ausgewählte Musikbeschallung wird dabei ebenso empfohlen wie besondere Lichtreize und Sprechübungen.
Spätestens mit der Geburt wird den Eltern nahegelegt, die Bandbreite der Möglichkeiten frühkindlicher Förderung aktiv zu nutzen – das heißt Input nicht nur für die Eltern, sondern auch schon für das Kind. Schlechtes Gewissen inklusive, falls Sie sich womöglich gegen die zweite Fremdsprache in der Grundschule entscheiden.
Apropos Schule: Diese Institution ist ein Input-Virus in Reinkultur, denn für jedes Schulkind ist die Schulstunde exakt gleich lang. Wenn das Kind den Input nach zehn Minuten nicht mehr braucht, weil es bereits alles verstanden hat, darf es nicht etwa gehen oder sich mit einem anderen Thema beschäftigen. Es muss brav und still noch mehr Input der gleichen Sorte über sich ergehen lassen, obwohl dieser an seinem Output nichts mehr verbessert. Ob der ganze Input in der Schule für Erfolg im Leben überhaupt sinnvoll ist, wollen wir an dieser Stelle nicht diskutieren …
Ich gebe offen zu: Gerade in puncto Schule und Hausaufgaben bin auch ich selbst teilweise an der Verbreitung des Input-Virus beteiligt. Ich fühle mich beunruhigt, wenn ich sehe, dass mein Sohn »so wenig« Zeit mit Lernen verbringt. Unsere Auffassungen zum notwendigen Maß sind – wie so oft bei Vater und Sohn – nicht deckungsgleich. Doch wenn ich ehrlich zu mir bin, kann ich anhand seiner am Schreibtisch verbrachten Zeit nicht festmachen, ob sie zu seinem verbesserten Output tatsächlich etwas beitragen konnte. Oder ob er sich nur mir zuliebe für diese halbe Stunde hingesetzt hat, um meine Input-Wut zu befriedigen. Hat er dadurch wirklich etwas gelernt, was er bei der nächsten Klausur brauchen wird? Und noch weiter gedacht: Falls ja, wird ihm das bei der eigenständigen Gestaltung seines Lebens hilfreich sein?
Ich bin skeptisch, zumal ich weiß, dass es auch anders geht. In Finnland geht man schon neue Wege. Das finnische Schulsystem gehört nach seiner Reform zur Weltspitze. Der Schlüssel zum Erfolg? Weniger Hausaufgaben. Weniger Unterricht. Anders formuliert: weniger sinnloser Input.
Den Input-Virus finden Sie in ganz besonderer Ausprägung in der Arbeitswelt, denn die ist klassisch »Input-zentriert«. Wenn Sie eine 40-Stunden-Woche im Arbeitsvertrag stehen haben, heißt das ja zunächst einmal nur: Sie sind 40 Stunden in der Woche körperlich anwesend. Ob Sie aber in dieser Zeit eine Wirkung erzielen – darüber sagt die Stundenregelung nichts aus.
Kennen Sie Mitarbeiter, die bereits um 6 Uhr im Büro sind? Ich würde das verstehen, wenn sie die morgendliche Ruhe nutzen möchten, um konzentriert ein Projekt voranzutreiben. Aber wenn die erste Dreiviertelstunde dafür genutzt wird, um an der Kaffeemaschine zu stehen und mit den anderen Frühaufstehern zu tratschen, dann dient das frühe Erscheinen nur dem Absitzen von Arbeitszeit. Um wirkungsvollen Output geht es nicht.
Oder stellen Sie sich vor, Sie haben Rückenschmerzen und suchen einen Physiotherapeuten auf. Sie freuen sich auf 50 Minuten Behandlung. Stattdessen verabschiedet Sie der Therapeut bereits nach zehn Minuten. Sie schauen ihn fragend an. Er erklärt: »Ich habe die entscheidenden Griffe gesetzt und Ihre Wirbelsäule befreit. In circa einer Stunde sind Sie beschwerdefrei.« Wie reagieren Sie? Empört, weil Sie 50 Minuten bezahlt haben und nur 10 Minuten lang behandelt wurden? Erfreut, weil Sie den Output »beschwerdefrei« mit 40 Minuten Zeitersparnis erreicht haben? Oder sind diese Gedanken eh nur graue Theorie, weil in der Realität alle Therapeuten unter dem Input-Virus leiden und weitere 40 Minuten kneten werden? Ein bisschen hier, ein bisschen da – völlig sinnfrei. Hauptsache, der Patient ist zufrieden.
Der Input-Virus tobt um uns herum und lässt uns nicht zum Luftholen kommen. Und er wird in seiner Wirkung noch verstärkt durch einen