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Mut braucht eine Stimme. Peter HolzerЧитать онлайн книгу.

Mut braucht eine Stimme - Peter Holzer


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sie spricht für Offenheit gegenüber Neuem, für einen Forscher- und Entdeckerdrang, der wiederum eine der Voraussetzungen für Kreativität, Innovation und Fortschritt ist.

       Neugier ist nur eine Form von Gier.

      Auf der anderen Seite ist die Neugier, wie der Begriff es schon sagt, eine Form von Gier. Und Gier hat die Eigenschaft, dass sie unstillbar ist. Wenn der Mensch gierig ist auf Neues, dann schnüffelt er wie eine ausgehungerte Hyäne an allem, was frisch auf den Markt dringt und einen Mehrwert verspricht: an den Trainingsmethoden des diesjährigen Tour-de-France-Gewinners, dem neuen Nassrasierer mit noch einer Klinge mehr, der nun endlich wirklich gut rasiert, am neuen Kochbuch von Sarah Wiener, an der neuesten Software für die Personalverwaltung, die noch mehr Vorgänge automatisiert, an der neuen Heimgymnastik aus den USA, die eine unglaubliche Elastizität in der Wirbelsäule verspricht, an der nächsten Veränderungswelle in der Firma, die durch tolle Namen und Hochglanzbilder überzeugen will, an der neuesten Windelmarke und natürlich am Konkurrenzprodukt, das – lange erwartet – den Windelfüllstand per Smartphone anzeigt, und schließlich am neuen Lebenspartner, der nun endlich das erhoffte Seelenglück mit sich bringt und nicht so viele Fehler hat wie der Ex. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Neu, neu, Hauptsache, neu.

      Momentan sind im Business zum Beispiel die »agilen Methoden« in aller Munde. Kein Unternehmen, das ich derzeit berate, ist nicht darum bemüht, »agiler« zu werden. Auf die Frage, wofür genau das Unternehmen diese Methoden braucht, haben die meisten Führungskräfte allerdings keine spezifische Antwort. Ob es in ihrem Fall sinnvoll ist oder nicht, diese Methoden einzusetzen, darüber haben sich die wenigsten ernsthaft Gedanken gemacht. Die meisten springen auf den fahrenden Zug auf, weil der Zug eben fährt – und sie keinen Trend verpassen wollen, der sich später vielleicht als wichtig herausstellen könnte.

      Und natürlich gibt es unzählige solcher Hypes. Die gesamte Wirtschaft ist im Grunde nur damit beschäftigt, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Warum tun Unternehmen das? Weil diese Strategie aufgeht. Weil wir bei Neuem wie der pawlowsche Hund anfangen zu sabbern. Wenn »neu« auf der Packung steht, greifen wir zu. Immer in der Hoffnung, dass das Neue noch besser, noch schneller, noch einfacher ist.

      Und genau das meine ich, wenn ich sage: Das Diktat der Neugier ist einer der wesentlichen Treiber der unstillbaren Sehnsucht in uns. Sie bewegt uns zu Handlungen, deren Notwendigkeit wir häufig nicht erklären können. So verlieren wir eher den Fokus, als dass wir dorthin gelangen, wohin wir wirklich wollen.

      Weiter zeigt sich die unstillbare Sehnsucht in einer unbändigen Sammelwut, die seit der Altsteinzeit nur das Objekt der Begierde gewechselt hat, aber in ihrer Intensität erhalten geblieben ist.

       Wir sammeln und bunkern unabhängig vom Bedarf.

      Vor zwei Millionen Jahren war es eine lebenserhaltende Maßnahme, dass der Mensch alles Essbare, was er fand, sammelte. Nahrung war damals rar, und es war eine schlichte Notwendigkeit, dorthin zu gehen, wo die Pilze, Beeren und Kräuter wachsen, diese einzusammeln und dann weiterzuziehen zu den nächsten Pilzen, Beeren und Kräutern. Heute wiederum wäre unser Überleben kaum gefährdet, wenn wir etwas weniger Kalorien, vor allem aber auch weniger Zertifikate, Fortbildungen, Hobbys, Urlaubseindrücke, Alltagsgegenstände oder Kontakte sammeln würden. Doch irgendwie können wir es nicht lassen. Wir sammeln und bunkern weiter, als ob es kein Morgen gäbe, und setzen damit – unabhängig vom Bedarf – die alte Tradition unserer Vorfahren fort.

      Darüber hinaus denke ich: Hinter dem Sammeln und der Neugier steckt noch etwas anderes. Und zwar Angst. Angst vor der Zukunft. Angst davor, Ziele nicht zu erreichen. Angst vor Verlust, vor Versagen, vor dem Verlieren. Angst, den falschen Weg einzuschlagen. Angst, etwas zu verpassen.

      Diese Angst bestimmt unser Handeln. Wie ein Hund nehmen wir jede Fährte auf, die sich finden lässt, und folgen ihr, auch wenn wir nicht wissen, ob der Weg sinnvoll ist, uns einfach nur ablenkt oder vielleicht sogar ins Verderben führt. Immer noch besser, als Ungewissheit passiv zu ertragen.

      Aber sosehr sie auch in uns verankert sein mag – sie ist kein Phänomen, dem wir hilflos ausgeliefert sind. Im Gegenteil: Jeder Einzelne von uns kann der Angst durch aktives Handeln etwas entgegensetzen. Wir tun dies mehr oder weniger bewusst. Es gibt Alternativen, wir müssen nur lernen, sie zu sehen.

       Input-Fabrikanten

       So war ich damals: Ich dachte vollkommen Inputzentriert.

      Der Großteil des Inputs, der uns erschlägt, ist nicht gottgegeben. Nein, den produzieren Sie und ich selbst. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, als ich noch in der Finanzbranche Karriere machen wollte, muss ich heute lachen. Was war ich damals vernarrt in Input! Da bin ich allen Ernstes durch die halbe Republik gefahren, zu jedem Kontakt, der auch nur halbwegs nach Potenzial aussah. Besuchte jedes anspruchsvolle Verkaufs- und Führungsseminar, das ich nur finden konnte. Wir erstellten neue Flyer, erarbeiteten neue Rechentools, produzierten neue Homepages und gaben jedem neuen Vertriebsansatz die Chance, uns zum Durchbruch zu verhelfen. In meinen Mittzwanzigern strotzte ich nur so vor Energie und Ehrgeiz. Dass das Klinkenputzen nach dem Gießkannenprinzip vielleicht doch nicht die Lösung war, dämmerte mir, wenn ich mich – nach einer 450 km langen Autofahrt – in teilweise doch recht zwielichtigen Büros wiederfand, aus denen ich in erster Linie nur so schnell wie möglich wieder rauswollte. So war ich damals – ich dachte vollkommen Input-zentriert. »Wir brauchen Umsatz, also fahre ich überall hin«, statt den Output zu prüfen: »Was kann ich mit dem Termin erreichen? Ist es wirklich notwendig, dorthin zu fahren? Oder reicht auch ein Telefonat aus?«

      Keine Sorge: Meine Akquisetätigkeit hat sich vollkommen verändert, und heute überlege ich mir sehr genau, wie ich mit meiner Zeit umgehe. Doch ich kann es immer noch nicht lassen, mir einen Meter Bücher zu bestellen, wenn mich ein bestimmtes Thema interessiert. Wirklich lesen tue ich zwar erst mal nur ein Drittel davon. Für den Output, den ich brauche – etwa meinen Vortrag anzupassen oder eine neue Idee zu entwickeln –, würden mir sogar schon zwei, drei Titel reichen. Aber ich erliege meiner Neugier und den Verlockungen des riesigen Angebots von jährlich rund 70 000 Neuerscheinungen in Deutschland; so hole ich mir den gesamten verfügbaren und möglicherweise relevanten Input ins Haus und verliere mich gerne darin.

      Stellen Sie sich vor, Sie besuchen eine Veranstaltung, einen Kongress oder ein Seminar. Ohne ein konkretes Ziel. Stattdessen denken Sie »Mal schauen, was es dort gibt; ich lasse mich überraschen« oder »Networking ist immer gut« oder »Nicht dass ich etwas Wichtiges verpasse«. Das wäre so, als würden Sie in eine Kiste mit 3000 Puzzleteilen greifen, in der Hoffnung, dass das herausgezogene Teil schon irgendwie ins Gesamtbild passt. Um ein Puzzle zusammenzusetzen, brauchen Sie eine Vorlage. Ein Gesamtbild, das Ihnen zeigt, wozu Sie das einzelne Puzzleteil brauchen. Doch wenn Sie ohne konkrete Output-Erwartung auf Ihre Veranstaltung gehen – wie wollen Sie dann sinnvollen Input bekommen? Schlimmstenfalls ist es zielloser Input, der Sie weiterhin dadurch beschäftigt hält, dass Sie Energie aufwenden, um zu überlegen, was Sie denn damit bloß machen könnten.

      Selbst produzierter, nicht verwertbarer Input hat nämlich die fiese Eigenschaft, noch mehr nicht verwertbaren Input nach sich zu ziehen. Er sprießt wie Pilze aus dem Waldboden, nachdem es geregnet hat. Denn wenn Sie schon in eine Sache investiert haben, wollen Sie auch, dass etwas dabei herumkommt. Also werden Sie der verlorenen Zeit und dem schlechten Geld weitere Zeit und weiteres Geld nachwerfen – in der Hoffnung, dass dann ein vernünftiger Output herauskommt. Erfahrungsgemäß passiert das allerdings selten. Der Grund dafür liegt schlicht darin, dass all diesen Aktionen eine Grundidee fehlt. Eine Daseinsberechtigung. Eine Vorstellung davon, wozu sie existieren. Eine Richtung.

       Der Tornado ist ein prima Betäubungsmittel.

      Indem wir ständig ziellos unnötigen Input produzieren, tragen wir zu dem Tornado, der uns umtost, aktiv bei. Interessanterweise ist es in diesem Fall zunächst einfacher, den Tornado aufrechtzuerhalten, als ihn zu stoppen.


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