Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus VäthЧитать онлайн книгу.
Um ein Bild zu gebrauchen: Der Burnout-Betroffene zieht ins Leben wie ein Ritter mit einem exzellenten Schwert: seinem Wissen, seinem Engagement, seiner Bereitschaft zu kämpfen, zu leiden und zu siegen. Das Schwert trägt ihn durch viele Kämpfe, von Sieg zu Sieg. Er ist erfolgreich: im Beruf, im Privatleben, bei der Organisation des Alltags. Zwischendurch muss das Schwert geschliffen werden; das war es dann aber auch. Bald treibt er erneut den Gegner mit großen Hieben vor sich her, erobert neues Territorium und bleibt der Lieblingskämpfer des Königs (beziehungsweise des Chefs), der einen wahlweise als Mann für aussichtslose Fälle oder Motivator nach vorne schickt. Diese Alternative ist auf Dauer genauso kräftezehrend wie das Gegenteil: Er reibt sich auf, kämpft an vielen Fronten und will der Liebling des Chefs werden, will irgendwann mit Reichtum und Ländereien belohnt werden. Aber es klappt nicht. Der Chef ignoriert ihn, trotz seiner Taten. Zur Anstrengung kommt dann auch noch der Frust.
Und Schutzlosigkeit. Denn leider hat der Ritter seinen Schild daheim vergessen. Sprich: die Fähigkeit, auch einmal Grenzen zu ziehen, Arbeitsaufträge abzuwehren, den Kampf nicht aufzunehmen. Nur mit Schwert und Schild ausgerüstet sollte man den Kampf mit einem Gegner wagen. Sonst wird man zum Lonesome Ranger, zum einsamen Helden, der glorreich, aber einsam in den Sonnenuntergang reitet. So lange, bis einem jemand in den Rücken schießt, weil man wieder einmal niemanden für seine Deckung mitgenommen hat. Nicht umsonst ist der »Pyrrhussieg« sprichwörtlich: Im alten Griechenland gelang es König Pyrrhus von Epirus, die Römer in der Schlacht von Asculum (279 v. Chr.) zu schlagen. Allerdings erlitt Pyrrhus so hohe Verluste, dass er angeblich wehklagend ausrief: »Weh mir! Noch so ein Sieg, und ich bin verloren!« Ähnlich geht es dem Burnout-Betroffenen. Er zieht im übertragenen Sinne von Sieg zu Sieg, ohne zu bemerken, dass seine Truppen – seine Energiereserven – immer weniger und weniger werden. Bis er eines Tages zusammenklappt.
Wie wird man zum Lonesome Ranger, zum einsamen Helden der Arbeitswelt, der irgendwann erschöpft aus dem Sattel kippt? In der Regel ist das ein langer Weg. Die wenigsten von uns werden zum Lonesome Ranger geboren. In den meisten Biografien von Burnout-Betroffenen findet man jedoch gemeinsame Merkmale, Spuren und Indizien auf dem Weg der biografischen Analyse.
Wie wird man zum Lonesome Ranger, der irgendwann erschöpft aus dem Sattel kippt?
Ein wichtiges Puzzleteil im familiären Umfeld von Burnout-Betroffenen sind Eltern, die unbewusst Zuwendung ausschließlich gegen Leistung gewähren. Da werden Belohnungen und Geldgaben gegen gute Noten eingetauscht oder ein bestimmtes leistungsorientiertes Verhalten stark mit Lob und Zuneigung gefördert. An sich ist das nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Ein Kind soll ja zu Leistungen angespornt werden und lernen, dass man sich im Leben Dinge auch mal erkämpfen und durchhalten muss. Das Problem wird akut, wenn Eltern ausschließlich auf Leistungsverhalten mit Zuwendung reagieren. Und das passiert gar nicht selten. So wird aus einer vielversprechenden Lösungsstrategie für die Zukunft und das Arbeitsleben eine Verhaltensfalle und das bedingungslose Ackern zum angeblich einzigen Weg, sich Liebe zu erstreiten.
Dieser Mechanismus wird besonders bei solchen Vätern ausgelöst, die nicht gelernt haben, Gefühle auszudrücken. Sie weichen auf das »Tauschgeschäft« Anerkennung gegen Leistung aus. Die guten Noten des Kindes oder ein bestimmtes Hobby, das dem Vater gefällt, geben ihm die Gelegenheit, ohne Gesichtsverlust loben zu können und gleichzeitig »Mann« zu bleiben. Denn Nähe zu zeigen oder Gefühle, bedeutet für diese Männer Schwäche sowie eine Verletzung ihres Männerbildes und damit ihres Selbstverständnisses. So wie sie von ihren Vätern hart erzogen wurden, geben sie diese Lehre an ihre Kinder weiter. Sie können einfach nicht anders, als Liebe in der Form eines Geschäftsabschlusses zu leben.
Befragt man Kinder solcher Väter, so hört man immer wieder in der Familie gefallene Sätze wie »Ich will schließlich nicht, dass mein Sohn verweichlicht«, »Leben ist nun mal Kampf« oder »Ich musste mich meinem Vater auch beweisen«. Unter diesem schädlichen »Gib mir was, dann kriegst du was«-Spiel leiden selbstverständlich Töchter ebenso wie Söhne. Töchter manchmal sogar noch mehr, wenn sie sich entsprechende Partner suchen, die das Spiel ebenfalls spielen – nur eben bewusst und manipulativ. Oft steigen solche Frauen in der Mitte des Lebens aus solchen Beziehungen und Arbeitsverhältnissen aus, indem sie einen schmerzhaften Reifeprozess durchleben und sich von diesem Vaterbild trennen, dem sie in ihrem Leben bislang vergeblich nachgejagt sind. Selbst Sätze wie »Ich will, dass du es besser hast als ich« oder »Du sollst es weiter bringen als ich« implizieren, das jemand im Beruf nicht erfolgreich ist und nicht glücklich sein kann.
»Zuwendung gegen Leistung« ist ein Erfolgs- und Lebensprinzip, das oft das ganze Leben durchzieht.
Als Ergebnis lernen Kinder aus der Gleichung »Zuwendung gegen Leistung« ein Erfolgs- und Lebensprinzip, das ihr weiteres Leben durchzieht. Im Coaching können oft Situationen aus Berufsausbildung und Karriere wie Perlen auf eine Schnur aufgereiht werden, die das einmal erlernte Muster bestätigen. So kam einmal eine Abteilungsleiterin zu mir, die sich bitterlich darüber beschwerte, dass bereits jahrelang immer wieder Kollegen an ihr vorbei befördert würden. Sie war mittlerweile völlig am Boden zerstört und zweifelte an sich und ihren Fähigkeiten. Nach einiger Zeit arbeiteten wir heraus, dass sie bei Bewertungs- und Mitarbeitergesprächen mit ihrem Chef immer wieder in die Rolle der kleinen Tochter zurückfiel, die ihrem Vater (in Gestalt ihres Chefs) Rechenschaft ablegte. In diesen Momenten war sie viel zu abhängig von seinem Lob und der damit verbundenen »Liebe«, um in den Ring zu steigen und endlich eine Beförderung zu fordern. Selbstverständlich tat der Chef auch nichts dergleichen. Sonst hätte er ja eine bienenfleißige, kompetente und nach Anerkennung dürstende Mitarbeiterin verloren, kurz: eine perfekte, belastbare, genügsame und überall einsetzbare Arbeitskraft.
Im Endeffekt erhoffte sich diese Abteilungsleiterin jahrelang die Anerkennung und Liebe, die ihr Vater ihr immer wieder versagt hatte – ein unerfüllbarer Wunsch. Doch genau diese Falle ist es, die so manchen im Burnout verbrennen lässt: die immer noch unbefriedigte Suche nach bedingungsloser Anerkennung durch die Eltern. Das, was der Betroffene nicht oder nicht ausreichend bekommen hat. Es ist diese Stimme im Kopf, die einen weitertreibt: Noch dieses Projekt, diese Aufgabe, noch dieses harte Jahr und ich werde erlöst, werde anerkannt, geliebt, ohne Wenn und Aber, löse endlich das große Ungleichgewicht in meinem Kopf auf. Finde Frieden.
Der einsame Reiter zeichnet sich durch Eigeninitiative und Selbstständigkeit aus.
Niemand brachte diese Falle bisher besser auf den Punkt als ein Klient, der mir einmal erklärte: »Herr Väth, ich versuche immer noch, meinem Vater zu beweisen, dass ich besser bin als er. Das Problem ist nur: Er ist seit zehn Jahren tot.« Und obwohl sich dieser Mann schon als Jugendlicher von seiner Familie getrennt hatte und in seinem Beruf sehr erfolgreich war, konnte er doch diese klaffende Wunde nicht schließen, die ihm sein Vater geschlagen hatte: Du musst beweisen, dass du meiner Liebe würdig bist. So ein Geschacher von den Menschen, die einem im Leben am nächsten stehen sollten, kann uns bis ins Mark erschüttern, uns verhärten. Bis wir alles hinter uns lassen und zum Lonesome Ranger werden, der sich eher aus dem Sattel schießen lässt, als Hilfe anzunehmen. Denn man muss das Leben allein meistern, sonst ist man nichts wert. Das haben Mummy und Daddy einem gründlich beigebracht.
Die positive Seite des einsamen Reiters liegt in seiner bewundernswerten Neigung zur Eigeninitiative und Selbstständigkeit. Mit ihr schießt er jedoch zunehmend übers Ziel hinaus, je ausgeprägter sein Leistungsdenken und je fordernder das Arbeitsumfeld wird. Wie der Schlüssel im Schloss sucht und findet der Burnout-Anfällige komplexe und verantwortungsvolle Tätigkeiten, die zu seinem Leistungshunger passen und an denen er sich austoben kann. Dementsprechend ist die erste Phase eines Burnouts auch mit Enthusiasmus überschrieben (siehe 2. Kapitel, Eschers Treppe): die berühmte Win-win-Situation, bei der das Unternehmen und der Burnout-Anfällige sich gegenseitig in die Hände spielen. Die Firma bekommt einen Mitarbeiter, der sich von Anfang an voll reinkniet, kompetent und mit hoher Energie. Der Burnout-Anfällige wiederum kann sich beweisen, will produktiv sein und das alte Muster von Liebe gegen Leistung einmal mehr voll ausleben. Dass diese Gleichung im Arbeitsleben niemals aufgehen kann, weil diese Form von Anerkennung