Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2). Hans KneifelЧитать онлайн книгу.
hatten kaum noch Ähnlichkeit mit den liebenswerten, ursprünglichen Kaytabern. Sie agierten fast wie biologische Maschinen und nahmen keine Rücksicht auf ihr eigenes Leben. Zwei Befallene, die sich offensichtlich zu weit und zu früh vorgewagt hatten, glichen lebenden Fackeln, doch niemand kümmerte sich darum und überließ sie ihrem Schicksal. Unbeirrt rückte die Masse weiter vor.
Ich befahl den Einsatz der Blendpatronen. Sie waren harmlos, hatten jedoch auf die Netzhaut die Wirkung einer Supernova. Der grelle Lichtblitz lähmte das Auge förmlich und machte es ihm für einige Minuten unmöglich, etwas zu erkennen. Jedes Lebewesen, das betroffen war, wurde kurzfristig blind, ohne es wirklich zu sein.
Meine Freunde, die wussten, was kam, bedeckten sofort ihre Augen, nachdem sie die Kapseln scharfgemacht und weggeschleudert hatten. Fast ein Dutzend Sätze ging nahezu gleichzeitig hoch und tauchte die Umgebung in eine nie gekannte Helligkeit, aber die Glasigen hielt es nicht auf. Obwohl geblendet, drängten sie unsicher und stolpernd nach vorn wie organische Roboter, die auf ein Ziel programmiert waren.
Trotz ihres eingeschränkten Gesichtssinns griffen sie an. Unerwartet wurden meine Mitstreiter auf einmal emporgehoben oder zu Boden geschleudert, Speere und Messer wurden ihnen entrissen, Fackeln entwickelten ein Eigenleben und versuchten, ihre Träger in Brand zu setzen. Dächer lernten das Fliegen und landeten krachend auf der Erde. Es gab erste Tote und Verletzte, Schmerzensschreie erfüllten die Luft.
Fairness hatte ich nicht erwartet, aber das rücksichtslose Vorgehen der Glasigen machte mich wütend.
»Setzt das Tränengas ein!«, brüllte ich.
Sieben Schleudern beförderten ihre Fracht in die Reihen der Befallenen. Die Behälter zerplatzten und entließen das Reizgas in die Atmosphäre. Und zum ersten Mal zeigten unsere Abwehrmaßnahmen Wirkung. Die Formation der Angreifer geriet in Unordnung, desorientiert, hustend und mit tränenumflorten Blick, behinderten sie sich gegenseitig. Das mussten wir ausnutzen.
»Los, mir nach, wir werfen sie zurück!«
Ohne zu fackeln, rannte ich den Glasigen entgegen – und fand mich plötzlich in einem regelrechten Waffenhagel wieder, der aus den Beständen meiner Freunde stammte. Die Lanzen, die sie nicht einmal erhoben hatten und ausschließlich zur Verteidigung nutzen wollten, wurden von den Befallenen in Mordinstrumente verwandelt. Zwei Kaytaber, die mir gefolgt waren, wurden von telekinetisch geschleuderten Speeren tödlich verletzt.
Jetzt brannte bei mir endgültig eine Sicherung durch. Mit wirbelnden Fäusten brach ich in Phalanx des Gegners ein und drosch auf diese Mördertruppe ein. Noch immer wirkte das Tränengas, und so hatte ich mit den verwirrten Glasigen leichtes Spiel. Zehn, zwölf von ihnen hatte ich schon niedergeschlagen, als unvermittelt Perlmutt vor mir auftauchte. Ihre Augen waren stark gerötet, sie schniefte. Mein Zorn war auf einmal wie weggeblasen, obwohl sie eine Glasige geworden war. Ich ließ meine schon erhobenen Arme sinken.
»Sage deinen Leuten, sie sollen verschwinden, Kleines. Wir wollen den Kampf nicht, Aytab bietet Platz für alle.«
»Darum geht es nicht, Traykon. Wir folgen EVOLO, der uns gemacht und geschickt hat. Wir sind Teile von ihm wie Evodix, Evroom und Everyhan«, krächzte sie mit vom Tränengas gereizter Stimme. »Nur sind die drei schon weiter als wir, denn sie können ihre Körper fast beliebig verändern.«
Das hatte ich mit meinem eigenen Linsensystem selbst beobachtet. Dass Perlmutt und die anderen Befallenen auch geistig so vollkommen umgepolt worden waren, dass sie sich als eins mit diesem Teufel verstanden und zwischen Recht und Unrecht nicht mehr unterscheiden konnten, tat mir fast körperlich weh. Noch einmal appellierte ich an ihren Verstand.
»Lass die wenigen Immunen in Frieden und komm mit mir.«
»Es geht nicht. Du und die Andersartigen widersetzen sich dem Willen EVOLOS. Aytab wird seine erste Kolonie, von hier aus wird er in Zukunft wirken, und wir werden ihm dienen und gehorchen, denn wir sind er.«
»Und die schönen Stunden, die wir gemeinsam verbracht haben? Gilt das alles nichts mehr?«
»Nein, wir sind Gegner. Vernichtet Traykon im Namen EVOLOS!«
Der stechende Geruch des Gases hatte sich ziemlich verflüchtigt. In die Menge, die bisher viel mit sich selbst zu tun gehabt hatte, kam Bewegung, doch ich war auf der Hut. Bevor sie mich einkeilen konnten, ließ ich meine Fäuste wirbeln und schickte ein paar Glasige zu Boden, doch dann griffen die Mutanten an.
Ich fühlte mich plötzlich von mehreren Seiten gepackt und herumgewirbelt, und so sehr ich mich auch mühte, es gelang mir nicht mehr, meine Hände zu bewegen, ein unsichtbarer Stoß wie von einer Dampframme riss mich von den Beinen. Ich, der ich mit Felsbrocken Murmeln spielen konnte, war auf einmal so hilflos wie ein Neugeborenes. Unfähig, mich zu rühren, lag ich vor Perlmutt im Staub, die sehr konzentriert wirkte.
Ein furchtbarer Ruck ging durch meinen Körper. Mir war, als hätte man mich zwischen zwei startende Gleiter gespannt, um mich zu vierteilen. Mein linker Arm sauste durch die Luft, das rechte Bein schwebte hinterher. Sie zerlegten mich! Und ich war wehrlos!
»Kleines das kannst du nicht machen!«
Das linke Bein wurde von Titanenkräften zerquetscht und abgerissen, meine letzte Extremität wurde zusammengerollt wie ein Kupferdraht und in meine Körperhülle gerammt. Ein ungeheurer Druck legte sich auf mein Gesichtsfeld, mein Kopf platzte auseinander wie eine Frucht, die unter die Räder eines Holprigs geraten war.
Ich war nur noch ein Torso, aber die Demontage ging weiter. Die Rumpfabdeckung wurde zerknüllt wie Silberpapier und von Riesenfäusten zerpflückt. Die Gewalten, die da auf mich einwirkten, waren furchtbarer als ein Naturereignis, ich war nicht mehr als ein Spielball entfesselter Psi-Energien.
Und dann spürte ich die telekinetischen Kräfte in meinem Innern, in mir selbst, aber sie wurden nicht so roh und blindwütig eingesetzt wie bisher, sondern eher tastend, forschend, vorsichtig. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Wollte man mich quälen wie ein Lebewesen? Das war absurd. Man konnte mich deformieren, demontieren, doch seelischen Schaden würde ich durch solche Maßnahmen nicht davontragen.
Diese unbeschreiblichen Energien wurden zielstrebiger, mehr kanalisiert, stießen zu meinem eigentlichen Ich vor. Mein Wissen wurde isoliert, komprimiert, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Und dann, wie bei einer plötzlichen Entladung, waren meine gesamten Programme auf einmal genullt, aber sie waren nicht gelöscht worden, sondern fanden sich komprimiert in einer Speicherzelle wieder. Jemand hatte sie mit seinen Psi-Fähigkeiten transformiert.
Das konnte nur Perlmutt gewesen sein. Vielleicht hatte sie im letzten Moment so etwas wie Mitleid mit mir bekommen, vielleicht hatte auch EVOLO die Bande unserer früheren Freundschaft nicht völlig zerreißen können.
Ich – nunmehr nur noch ein positronisches Fragment – wurde telekinetisch emporgerissen und mit der Schubkraft einer startenden Rakete in die Atmosphäre geschleudert. Mit rasender Geschwindigkeit durchstieß ich die Luftschichten des Planeten und ließ Aytab hinter mir.
Ein letzter Impuls Perlmutts erreichte mich. Sie lag im Sterben. Die Drillinge hatten bemerkt, dass sie mich gerettet hatte, und stuften ihre Tat als Verrat und sie selbst als Fehlentwicklung ein. Dafür wurde sie mit dem Tod bestraft.
Die Gedanken meiner kleinen Freundin verwehten, und ich taumelte mit unbekanntem Ziel durch die Dimensionen. Der Sieg EVOLOS auf Aytab war vollkommen, ich hatte verloren – nicht nur meine Perlmutt, um die ich trauerte, sondern um ein Haar auch meine Existenz.
Nun war ich wieder das positronische Paket. Was wurde aus mir? Stand mir wieder eine jahrelange Odyssee bevor? Würde ich Atlan jemals wieder begegnen? Die Sterne um mich herum schwiegen.
ENDE
Dass EVOLO zu einer größeren Gefahr für Manam-Turu wird, als der Erleuchtete, sein Schöpfer, es je gewesen war, hat sich bereits abgezeichnet.
Dieser Trend wird noch verdeutlicht durch die Tatsache, dass EVOLO selbst auf Aklard, der von den Invasoren des Neuen Konzils befreiten Welt, unbemerkt unheilvolle Manipulationen vornehmen kann.
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