Perry Rhodan 1956: Das Haus der Nisaaru. Susan SchwartzЧитать онлайн книгу.
Dann wurden die Schirme abgeschaltet. Jeder Anwesende zählte in Gedanken die Sekunden.
Nach acht Sekunden war Vincent Garrons Körper plötzlich vom OP-Tisch verschwunden.
Sonja Bargs reagierte in unheimlicher Geschwindigkeit, ohne die berüchtigte »Schrecksekunde« zu verlieren. Beide Schirme waren sofort wieder aktiviert.
Nur eine Sekunde später war auch Vincent Garron da – auf dem Boden des OPs, wo er sich schluchzend in Krämpfen wand. Der Todesmutant wurde sofort von einem Medoroboter zurück auf den Tisch gebracht und festgeschnallt.
Darla Markus spürte, wie ihr der kalte Schweiß den Nacken hinabrann. Es war alles so schnell gegangen, dass sie keine Zeit gehabt hatte, sich zu rühren.
Einige der bleichen Gesichter ihrer Kollegen zeigten offene Wut. Aber niemand sprach Vorwürfe aus; auch im 13. Jahrhundert Neuer Galaktischer Zeitrechnung war es nicht üblich, den Chefmediker öffentlich anzugreifen.
Julio Mangana hingegen schien zufrieden zu sein, er hatte nicht einmal seine gesunde Gesichtsfarbe verloren.
»Nun wissen wir also, dass Garron nach wie vor absolut unberechenbar und sehr gefährlich ist«, sagte er. »Die Metamorphose beeinträchtigt seine Psi-Fähigkeiten nur insofern, dass er sehr geschwächt ist und daher nicht weit kommen konnte. Vielleicht verhinderte auch die Nachwirkung des Anti-Esper-Schirms das Errichten einer Hypersenke.«
Und was sollte das alles dann?, dachte Darla voller Zorn. Aber sie wagte keine laute Frage, nachdem die dienstälteren Mediker ebenfalls schwiegen.
Der Mutant war inzwischen wieder an die Überlebenssysteme angeschlossen; die Mediker bemühten sich mit robotischer Unterstützung, die Hautblutungen zu stillen und die sich weiter bildenden Beulen unter Kontrolle zu bekommen.
Garron war energetisch so festgeschnallt, dass er sich kaum mehr rühren konnte, und er war wegen der künstlichen Beatmung nicht mehr in der Lage zu schreien. Aber er war nach wie vor bei vollem Bewusstsein. Was von seinen zugeschwollenen Augen noch zu erkennen war, waren riesengroße Pupillen, in denen unendliches Leid lag.
»Er muss ruhiggestellt werden«, meinte Marius Karrel. »Solange er in diesem Zustand ist, können wir nichts unternehmen. Vor allem kann er das nicht mehr lange durchhalten.«
»Ich schlage vor, ihn in ein künstliches Koma zu versetzen«, meldete sich ein weiterer Mediker zu Wort. »Damit ersparen wir ihm zudem eine Menge Leid.«
»Nein, das dürft ihr auf keinen Fall tun!«, erklang in diesem Moment eine hohe, zirpende Stimme.
Tuyula Azyk war eingetroffen, zusammen mit Mhogena. Sonja Bargs hatte die beiden Fremdwesen durch eine kurzzeitige Strukturlücke hereingelassen.
»Wenn ihm das helfen würde, hätte Vincent sich längst von selbst in ein Koma geflüchtet!«, fuhr die junge Blue erläuternd fort. »Es muss einen bestimmten Grund haben, dass er bei Bewusstsein bleiben will. Ihr dürft ihn auf keinen Fall narkotisieren, damit könntet ihr ihn umbringen!«
»Dann können wir nichts mehr für ihn tun«, kündigte Julio Mangana ernst an. »Überleg es dir gut. Es ist eine große Verantwortung, die du da übernehmen willst.«
»Ich stimme Tuyula zu«, ergriff Mhogena für Vincents einzige Freundin Partei. »Die Metamorphose kann so oder so nicht aufgehalten werden. Es ist auch nicht daran zu denken, sie mit unseren Mitteln rückgängig zu machen. Momentan können wir ihm nur helfen, indem wir ihn mit starken Schmerzmitteln vollpumpen, um ihm das Leid ein wenig zu lindern, ihn an die Lebenserhaltungssysteme anzuschließen und die Wunden zu versorgen.«
»Ich stehe aber nicht gern resignierend daneben«, meinte Mangana zögernd.
»Wir können im Moment nichts anderes tun, bis die Entscheidung gefallen ist, wie wir Vincent Garron aus dem Bereich des Sonnentresors bringen und ihn damit nicht mehr den Hyperschauern aussetzen.« Mhogena verschränkte die sechsfingrigen Hände. »Das ist wirklich alles.«
»Darüber wollte ich ohnehin gerade mit Atlan diskutieren«, beharrte Mangana.
»Selbstverständlich, ich bin derselben Ansicht«, lenkte Mhogena ein.
»Bitte hört auf mich!«, bat Tuyula und wiederholte eindringlich: »Ihr bringt ihn sonst um.«
Wobei sich die Frage stellt, ob er nicht sowieso in den nächsten Stunden stirbt, dachte Darla. Aber sie spürte keine Genugtuung mehr bei diesem Gedanken. Nur ein wenig Verwunderung über das Bluesmädchen: Nach allem, was sie erlebt hat – weshalb hängt sie so sehr an ihm?
Dr. Julio Mangana nickte nach reiflicher Überlegung seinem Team zu. »Seht zu, dass ihr ihn weiter am Leben erhaltet, bis die Entscheidung gefallen ist.« Dann eilte er aus dem Raum.
*
»Warum können wir nichts tun?«, fragte Tuyula Azyk und blickte dabei zu Mhogena auf.
Das Bluesmädchen und der Gharrer hatten sich in den Beobachtungsraum nebenan zurückgezogen, während das Medikerteam um Vincent Garron bemüht war.
»Es tut mir leid, aber meine Fähigkeiten als Psi-Reflektor versagen hier«, antwortete der Fünfte Bote freundlich.
Mhogena bemühte sich, seinen 2,32 Meter großen, in einem voluminösen Schutzanzug steckenden Körper gegenüber der kleinwüchsigen Blue nicht zu bedrohlich wirken zu lassen.
Er spürte, dass das Mädchen sich in einem labilen Zustand befand. Deshalb wollte er es nicht zusätzlich in eine instinktive Abwehrhaltung bringen, die den Stressfaktor nur erhöhte.
»Du bist sehr tapfer, Tuyula«, fuhr der Gharrer fort.
Das Bluesmädchen machte eine schnelle Abwehrgeste mit den drei Daumen der rechten Hand.
»Ich bin kein Kind mehr, Mhogena«, zirpte sie. »Du brauchst nicht so mit mir zu sprechen.«
Beide unterhielten sich in Interkosmo; Tuyula mit hoher, fast singender Stimme, Mhogena hingegen mit tieferem Tonfall, einem harten Akzent und sehr starker Betonung der Ch-Laute.
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, entschuldigte sich Mhogena sanft.
Drei seiner vier Augen, mit denen er sie ansah, waren melancholisch-dunkel, das links außen sitzende, vierte Auge jedoch befremdend gelbgrün – und starr. Es konnte Tuyula nicht folgen, als sie aufstand und in dem Raum umherging.
»Schon gut, ich habe es nicht so gemeint«, sagte sie.
Die Blue wandte dem Gharrer den Rücken zu, während sie sprach, was jedoch für den Augenkontakt kein Problem darstellte. Das rückwärtige, ellipsoide Augenpaar war jetzt auf ihren Gesprächspartner gerichtet.
»Es war alles zu viel«, zirpte sie. »Ich muss erst lernen, mich mit der neuen Realität zurechtzufinden.«
Das war kein Wunder. Seit ihrem ersten Kontakt zu dem Todesmutanten Vincent Garron hatte das zwölfjährige Mädchen, damals noch ein Kind, eine Menge durchgemacht. Eine lange Flucht, den Anblick ermordeter Menschen, die schauerlichen Hypersenken.
Nirgends hatte es Sicherheit und Geborgenheit gegeben. Tuyula konnte sich noch lebhaft an ihre ständige Angst und Unruhe erinnern und träumte oft davon.
Mitten in dieser schrecklichen Zeit war auch noch ihre Geschlechtsreife eingetreten, die sie zusätzlich und fast bis an die Grenze belastete. Tuyula merkte, dass sie durch die gewaltigen Hormonschübe nicht nur körperlich, sondern auch mental ohne Übergang eine Schwelle überschritten hatte, die sie viele Dinge auf einmal aus einer anderen Sicht sehen ließ. Sie war zudem sehr schnell und schmerzhaft um einige Zentimeter gewachsen; ihr zierlicher, von einem weichen blauen Flaum bedeckter Körper hatte sich aus der kindlichen Form gestreckt und war kräftiger geworden.
Während der Zeit ihrer Umwandlung hatte sie zeitweise ihre Fähigkeit als Psi-Konverterin verloren.
Es war ein weiterer Schock gewesen, auch noch diese besondere Gabe verloren zu haben, die schon längst zu einem Teil ihres Lebens geworden war.
Doch