Perry Rhodan 71: Fehlsprung der Tigris. Kurt BrandЧитать онлайн книгу.
TIGRIS davon befreit hatte, blickte über den Rundsichtschirm ein fremder Sternenhimmel zu ihnen herein.
Noch einmal trat das Zusatzgerät in Aktion. In wenigen Sekunden hatte es mit fünffacher Sicherung die Koordinaten des Handelsschiffes festgestellt, und bei Vergleich zwischen der Folie der kleinen Positronik und der Order 19 stellte Major Ostal hundertprozentige Übereinstimmung fest.
Order 20 war jetzt zu erledigen.
In der Kabine VIII summte der Wecker zweimal kurz, einmal lang. Vier Männer hatten darauf gewartet. Eilig verließen sie ihre Kabine in Richtung der Kommandozentrale. Wortlos machten sie sich dort an die Arbeit, das immerhin drei Zentner schwere Zusatzgerät von der bis jetzt stilliegenden Bordpositronik abzuschalten und jeden Hinweis zu beseitigen, dass jemals ein Aggregat dem großen Rechengehirn vorgeschaltet gewesen war.
Sie waren noch mit den letzten Arbeiten beschäftigt, als ein Arbeiterrobot hereinstampfte und auf die Anweisung wartete, das Zusatzgerät fortzuschaffen.
Seine stählernen Glieder knackten nicht einmal, als er das 3-Zentner-Aggregat anhob und damit die Zentrale verließ.
An der kleinen Schleuse B wurde er schon erwartet. Die innere Schleusentür öffnete sich, der Robot trat ein, und dann rollte die Tür hinter ihm wieder zu.
Major Clyde Ostal und drei Offiziere beobachteten den Rundsichtschirm. Plötzlich zeigte er einen eckigen Gegenstand, der draußen im Raum am Schiff vorbeischwebte: das Zusatzgerät, das vom Arbeiterrobot hinausgeworfen worden war.
Für wenige Minuten schaltete Ostal sämtliche Schutzschirme der TIGRIS ab. Mit konstanter Geschwindigkeit schwebte das Aggregat immer weiter davon.
Leutnant S. Seegers schaltete sein Rillenmikrophon ein und rief die Desintegrator-Feuerstellung an. »Feuer frei auf treibenden Körper!«
Drei Sekunden später schlossen alle Männer in der Zentrale kurzfristig vor der Blendung, die über den Schirm hereinstürzte, die Augen. Das Zusatzgerät war in einer Feuerkaskade eines blitzschnellen atomaren Zerfallprozesses untergegangen.
Nichts mehr verriet, dass die TIGRIS mit Hilfe eines technischen Tricks, der ziemlich kostspielig gewesen war, bis zu diesem Punkt im Weltraum gekommen war.
Order 21, die vorletzte, war zu befolgen.
Major Clyde Ostal stellte die Verbindung zur Funkzentrale seines Schiffes her. »Melden Sie unserer Niederlassung auf Goszuls Planet im Tatlira-System, dass Frachter TIGRIS, Heimathafen Terrania, Terra, in drei Stunden zehn Minuten zur Landung ansetzt. Spruch wie angeordnet, nur in Handelskode verschlüsselt und mit Normalraffer abgestrahlt. Ende.«
Es war dem Solaren Imperium seit einigen Wochen bekannt, dass die galaktischen Springer wieder einmal den terranischen Handelskode entschlüsseln konnten sowie auch in der Lage waren, Hyperfunksprüche über Normalraffer ohne Schwierigkeiten auf ihre natürliche Länge zu bringen.
»Leutnant Hasting?« Major Clyde Ostal drehte sich nach ihm um und übergab ihm den Ordner mit den Befehlen 1 bis 22. »Vernichtung der Unterlagen wie besprochen. Sie haften mir dafür, dass nicht einmal Asche übrigbleibt!«
Clyde Ostals Gesicht, das sonst etwas flach wirkte und alles verbarg, was dieser Mann an Qualitäten besaß, war jetzt scharf gezeichnet. Der fünfundvierzigjährige Chef dieses Kommandounternehmens ließ seine Männer nun sehen und fühlen, dass sie sich dem entscheidenden Punkt näherten.
»Transition nach Tatlira-System!«, befahl er. Aber ein spöttisches Lachen spielte plötzlich um seinen Mund. Rechts von ihm, vor der Bordpositronik, schalteten zwei Offiziere das Gerät voll neuer Daten. Die Koordinaten des augenblicklichen Standortes, die inzwischen vom Rechenabschnitt der Positronik ausgeworfenen Energiewerte, die erforderlich waren, um in Nullzeit durch den nur mathematisch zu begreifenden Zwischenraum nach Tatlira zu gelangen – das alles war an Angaben notwendig, um eine einwandfreie Transition zu gewährleisten.
Obwohl das große Rechengehirn der TIGRIS in vielstündiger Teamarbeit irdischer Wissenschaftler völlig »verstellt« war, arbeitete es trotz der verfälschten, gespeicherten Werte und Daten jetzt so, wie es Marschall Allan D. Mercant einmal gefordert und die Wissenschaftler es anschließend erstellt hatten.
Mit vollkommen irrsinnigen Unterlagen und einem Zehntel richtiger Daten und Werte einen Hypersprung zu wagen und dabei überzeugt zu sein, an der »falschen Stelle im Weltraum« trotzdem »richtig« herauszukommen, war kein fahrlässiger Leichtsinn, sondern einfach die Überzeugung der Bordbesatzung der TIGRIS, dass Perry Rhodans wissenschaftlicher Stab die Aufgabe so gelöst hatte, wie die Planung die Lösung vorsah.
»Transition in zehn Minuten«, plärrte der Zeitzähler der Positronik und gab dann die neue X-Zeit durch.
Bei X minus fünf Minuten rief Clyde Ostal wieder die Funkzentrale an. »Alles klar ... Spruch ausstrahlbereit schon in der Automatik? Sind vor der Endstufe ... Zerhacker und Raffer vorgeschaltet?«
»Ja, Major, alles klar, Text aber unverschlüsselt, wie befohlen!« Der diensttuende Offizier am Sender wollte noch einmal ausdrücklich auf das Ungewöhnliche hinweisen. Unverschlüsselte Hyperfunksprüche waren eine Seltenheit.
Über die Bordverständigung hörte er Major Clyde Ostals Selbstgespräch mit: »Das gibt ja noch nicht mal einen Pieps.«
Der Major hat recht, dachte der Offizier am Sendetisch und überhörte dabei, was sein Nebenmann ihm sagte.
In der TIGRIS begannen die letzten Aggregate zu laufen. Alle Kraftstationen waren eingeschaltet, sämtliche Transformatoren. Vor Ostal am Schaltpult flackerte eine Kontrolle nach der anderen ihr grellgrünes »frei«. Der Major konzentrierte sich nicht einmal besonders scharf darauf. Was sich vor ihm tat, war ihm mittels arkonidischer Hypnoschulung derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass eine Fehlleistung von seiner Seite her kaum eintreten konnte.
X minus eins ...
Bei Null transitierte die TIGRIS durch den Hyperraum unter Aufwendung fast unvorstellbarer Energien.
Der Schirm mit seiner Schwärze und dem kalten Gleißen zehntausender naher und ferner Sonnen schien auseinanderzufliegen, und auch der Mensch an Bord des Kugelraumers hörte auf, wirklich zu sein. Der Hyperraum nahm ihm die Existenz in seiner gewohnten Form, aber er nahm ihm nicht das Leben.
Und dann war alles schon vorbei, in einer Zeit geschehen, die als Zeit nicht zu messen war, weil die TIGRIS während dieser »Zeit« sich nicht in dem Zeit-Raumgefüge aufgehalten hatte, wo der Maßstab »Zeit« Gültigkeit hatte.
Stöhnend krümmten sich dreiunddreißig Männer, die mit der TIGRIS den Sprung erlebt hatten, aber die Schockwirkung war bei keinem von langer Dauer, und die Wirklichkeit zwang sie, hart gegen sich selbst zu sein.
Keine Lichtstunde weit vor ihnen, genau im Kurs des Schiffes, strahlte eine kleine, gelblich getönte Sonne. Mit 0,9 Lichtgeschwindigkeit hielt der Frachtraumer der Erde darauf zu.
Jeder Offizier in der Zentrale fieberte vor Spannung. Jeder wusste, dass die TIGRIS nicht vor dem Tatlira-System aus dem Hyperraum herausgekommen war, sondern im System der Sonne Naral, 4536 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Der dritte Planet, Ekhas, der einzige von insgesamt acht Planeten, der bewohnt war, stellte ihr Ziel dar.
Nacheinander stellten im Schiff die gewaltigen Kraftstationen, die Speicherbänke, die für den Sprung aufgebauten Kraftfelder und die Umformstationen ihre Tätigkeit ein. Zum Schluss lief der Strukturkompensator aus, unter dessen Schutz das Handelsschiff seinen Sprung über mehr als viereinhalbtausend Lichtjahre vollführt hatte.
In der Zentrale plärrte eine neue Zeitansage ununterbrochen.
Sie gab die Zeit an, die seit dem Eintritt in das normale Universum verlaufen war.
Hinter dem Ortungstaster saßen zwei Mann und konzentrierten sich nur auf ihr Gerät.
»Drei Minuten und eine Sekunde«, gab die positronische Zeitansage an.
Kein Mensch in der Zentrale sprach. Über keine Verbindung kam ein Anruf herein. Jeder der dreiunddreißig wusste, dass