Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband). Uwe AntonЧитать онлайн книгу.
Erfahrungen gesammelt.
Manche Wissenschaftler behaupteten, es sei unmöglich, Vibrationen der Schiffszelle zu spüren, oder gar, wie sie sich veränderten, und das Dröhnen der Triebwerke wahrzunehmen, und wie es lauter oder leiser wurde.
Sie mochten Recht haben, zumindest, was die neueren Schiffe betraf, die Wunderwerke der Technik aus den Werften auf Luna oder im Arkon-System. Rhodan hätte ihnen nicht widersprochen, es nicht auf eine Diskussion mit ihnen ankommen lassen. Er akzeptierte ihre Beweisführung. Andererseits jedoch konnten sie ihm erzählen, was sie wollten. Er wusste längst nicht mehr, wie viele Raumschiffe er geflogen oder als Kommandant oder Einsatzleiter befehligt hatte. Waren es Hunderte oder Tausende gewesen? Und er hatte schon immer die Geräusche eines Schiffs deuten können.
Er hatte schon immer Vibrationen gespürt, und er spürte sie auch jetzt. Ein Ruck ging durch die JOURNEE, und die Triebwerke erhöhten auf Zim Novembers Anweisung ihre Leistung, um die Geschwindigkeit zu halten.
Der Emotionaut war nicht nur eins mit dem Schiff, er war das Schiff. »Meine Arme sind sechsfach gestaffelte Paratronschirme oder Prallfelder oder Transformkanonen«, hatte er einmal versucht, Rhodan zu erklären, wie er sich fühlte, wenn er mit Hilfe der SERT-Haube die LEIF ERIKSSON steuerte. »Meine Beine sind Metagrav- oder Protonenstrahl- oder Gravojettriebwerke. Mein Körper besteht aus Hypertropzapfern oder Nugas-Schwarzschild-Reaktoren oder Fusionsreaktoren. Meine Augen sind eine Maxim-Orter-Ringphalanx, meine Ohren SPARTAC-Feldteleskope, meine Nervenenden Tiefenraumsensoren. Ich bin dann nicht mehr ich und gleichzeitig viel mehr als ich.«
Rhodan verdrängte die Erinnerung und konzentrierte sich auf die Gegenwart.
»Etwas versucht, uns aus dem Hyperraum zu drängen«, bestätigte Zim. »Ich kann die Geschwindigkeit nur halten, indem ich den Triebwerken mehr Energie zuführe.«
»Tess?«, fragte Rhodan.
»Hyperphysikalische Ortungen, aber wie zuvor nicht verifizierbar. Da ist etwas, aber ich kann nicht sagen, was.«
»Geschwindigkeit senken auf eine Million Überlicht«, befahl Rhodan.
Einen Augenblick lang glaubte Rhodan, das würde ausreichen. Die Triebwerke arbeiteten plötzlich wieder viel leiser, das Vibrieren des Schiffskörpers wurde schwächer, die JOURNEE schien wie ein Fisch im Wasser geradezu vorwärts zu schnellen.
Dann begann es von neuem. Der Antrieb brummte, und der Schiffskörper vibrierte.
»Tess, Cita«, sagte Rhodan. »Ich brauche dringend mehr Daten. Was hat es mit diesem Phänomen auf sich?«
Die kräftig gebaute Plophoserin zuckte hilflos mit den Achseln. »Ich kann mit keinen neuen Einzelheiten dienen.«
»Könnt ihr nicht einmal feststellen, welche Ausmaße diese hyperphysikalische Anomalie hat?«, fragte Rhodan. »Ist es möglich, sie im Unterlichtflug zu überwinden?«
»Es tut mir Leid«, sagte Tess. »Ich kann die Ausdehnung nicht ermitteln. Von der Stärke einer mehrdimensionalen Störung kann man keinerlei Rückschlüsse auf einen dreidimensionalen Umfang ziehen. Ich kann deine Frage nicht beantworten. Aber aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass die Auswirkung dieses Phänomens sich über einige Lichtwochen, wenn nicht sogar Lichtmonate erstreckt.«
Rhodan nickte düster. Wochen oder Monate ... Wenn sie nur lichtschnell flogen, würde genau diese Zeit vergehen, bis sie die Barriere überwunden hatten und den Überlichtflug fortsetzen konnten.
Aber sie hatten keine Wochen oder gar Monate. Einmal ganz abgesehen von der Lage im Hayok-Sektor, zu dem er so schnell wie möglich zurückkehren musste ...
Kiriaades Bitte um Hilfe hatte dringend geklungen. Rhodan befürchtete, dass in Wochen oder Monaten das unermessliche Leid, das Kiriaade mit seiner Hilfe verhindern wollte, längst über Andromeda hereingebrochen sein würde.
»Erhöhte Alarmbereitschaft«, befahl er. »Alle Posten doppelt besetzen. Technische Abteilung, Bericht über den Zustand der Triebwerke! Haben sich in der letzten Stunde Veränderungen ergeben?«
Bruno Thomkin rief einige Holos auf. »Keine Veränderungen. Die vier Haupt-Metagrav-Triebwerke arbeiten einwandfrei, keine erkennbaren Störungen bei den Neben-Metagravs und den Unterlicht-Triebwerken. Das Grigoroff-Triebwerk ist einsatzbereit.«
»Energieversorgung?« Rhodan stellte die Frage rein rhetorisch. Bei dem kurzen Stopp im Normalraum hatten sie sämtliche Energiespeicher bis zum absoluten Maximum gefüllt.
»Keine Veränderung. Die Energie der Hochleistungs-Gravitrafspeicher im Andockmodul reicht für fünf Etappen von jeweils dreißigtausend Lichtjahren bei einem Überlicht-Faktor von zweihundert Millionen.«
»Danke. Geschwindigkeit auf dreißig Millionen Überlicht erhöhen! Bruno, sorge dafür, dass sämtlichen Triebwerken die erforderliche Energie zur Verfügung steht. Notfalls andere Systeme ausschalten!«
»Verstanden.«
Zim November schien einen Augenblick zu zögern, bevor er den Befehl ausführte. Rhodan lächelte schwach. Wahrscheinlich verstand der junge Emotionaut den Sinn der Anweisung nicht.
Ob sie nun mit einem Überlichtfaktor von zehn oder dreißig Millionen flogen ... Das fremdartige Phänomen, das sie zurückdrängen wollte, schien sich nach kurzer Zeit auf unterschiedliche Geschwindigkeiten einzustellen und den Triebwerken bei gleicher Leistung einen höheren Energieverbrauch abzuverlangen. Und die Zeit schien eine Rolle zu spielen. Je höher der Überlichtfaktor, desto schneller würden sie den Bereich des Phänomens wieder verlassen.
Rhodan schaute auf den Chronometer. Es war kurz vor 15 Uhr Bordzeit.
Er kniff die Augen zusammen. Einen Moment lang schienen die digitalen Ziffern zu erstarren, vier Sekunden lang, fünf Sekunden, bevor sie dann von der 14:57:09 auf die 10 übersprangen.
Er schüttelte den Kopf, als wolle er ihn frei bekommen. 16 ... 17 ... 18 ... Er hatte kurz den Eindruck gehabt, als schien die Zeit selbst zu erstarren, doch offensichtlich hatte er sich getäuscht.
»Die für den Verbleib im Hyperraum notwendige Triebwerkslast steigt beträchtlich«, meldete Zim, »der zum Vortrieb notwendige Energiebetrag ebenfalls.«
»Geschwindigkeit auf vierzig Millionen erhöhen«, befahl Rhodan. Ja, ihnen blieb nicht mehr viel Zeit.
Die Energiegewinnung bereitete ihm Sorgen.
Die Gravitrafspeicher der JOURNEE versorgten sämtliche technischen Systeme an Bord mit Energie. Der Gravitraf sammelte die Hyperenergien, die der neu entwickelte Multi-Hyperzapfer aus dem Hyperraum schöpfte, und speicherte sie in Art einer stehenden Welle. Bei Bedarf wurden diese Wellen dann durch spezielle Energiewandler modifiziert und an die verschiedenen Bordsysteme und das Metagrav-Triebwerk abgegeben. Die Entleerungsrate war dem Energieverbrauch proportional, der Speicher musste daher in bestimmten Abständen wieder aufgeladen werden.
Es war jedoch nicht möglich, während des Hyperraumflugs Energie aus dem übergeordneten Kontinuum abzuzapfen, weder mit dem Hypertron, der die hyperenergetischen Ausstrahlungen einer nahe stehenden Sonne in die Gravitrafspeicher leiten konnte, noch mit dem Hypertrop, der das energiereichere und damit entropieärmere Kontinuum eines anderen Universums anzapfte.
Sie mussten also mit der Energiemenge auskommen, die ihnen zurzeit zur Verfügung stand.
Und das ist mehr als genug, versuchte Rhodan sich zu beruhigen. Aber leise Zweifel blieben.
Ein leises Summen breitete sich in der Zentrale aus. Schwingungen der gewaltigen Energiemengen, die von den Gravitrafspeichern an die Triebwerke weitergeleitet wurden? Rhodan glaubte zu spüren, dass auch die Vibrationen stärker wurden.
Was geschah hier? Bei aller Phantasie konnte er es sich kaum vorstellen. Es hatte den Anschein, dass das Medium Hyperraum an sich, falls man überhaupt davon sprechen konnte, seine Konsistenz veränderte. Er schien irgendwie dichter zu werden, der JOURNEE immer mehr Widerstand entgegenzusetzen. Und der JOURNEE fiel es immer schwerer, sich von diesem Widerstand nicht zurückdrängen zu lassen.