Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband). Andreas BrandhorstЧитать онлайн книгу.
würde ihr Status augenblicklich in den freien Fall übergehen. Sie hatte das Peschtan nicht genommen. Sie hatte sich von ihrem Trupp abgesondert. Schlimm genug. Würde aber der ID-Stift ihre Darstellung nicht belegen, sie stünde bestenfalls als Lügnerin da, schlechtestenfalls als Verwirrte, als Soldatin, die der psychischen Belastung des Kampfs nicht standgehalten hatte. Eigentlich ein Fall für die Ärzte hinter den Linien. Nur, dass niemand mehr hinter die Linien gebracht wurde, der noch auf zwei Beinen stehen konnte. Zu wenige Kämpfer waren noch übrig. Jeder wurde gebraucht, auch solche, deren Verstand angegriffen war.
Beide Vorstellungen waren An-Keyt zuwider. Sie war keine Lügnerin. Sie wusste, was sie erlebt hatte. Ihre Körperhaare hatten sich noch immer nicht beruhigt. Und sie hatte ihren Verstand beisammen, auch wenn sich der Loowerin das Tiefenbewusstsein mit einer Hartnäckigkeit entwand, wie es das noch nie getan hatte, seit sie zu ihm durchgebrochen war, vor Jahren.
Sie musste also darauf setzen, dass der Stift korrekt gearbeitet hatte. Dann ...
An-Keyt stoppte abrupt, als ihre Gedanken einen Sprung machten. Die einzig mögliche Folgerung zogen. Was dann? Angenommen, der Stift hatte ihre Begegnung aufgezeichnet – den Beweis, dass sie einem Flachauge begegnet war, ohne den geringsten Versuch unternommen zu haben, es zu töten. Ebenso wenig, ihm zu folgen, um herauszufinden, wo es und seine Brut hausten. Ohne irgendetwas unternommen zu haben. Diese Möglichkeit, erkannte An-Keyt, war noch niederschmetternder als alle übrigen. Sie würde sich keine Sorgen um ihren Status innerhalb des Trupps mehr machen müssen, sie würde keine Subeinheit mehr bei ihm bleiben. Das Oberkommando würde sie versetzen, in eine der Strafeinheiten, von denen die Soldaten einander flüsternd erzählten, wenn sie glaubten, dass Negan-Parr sie nicht hören konnte. Niemand hatte je eine solche Einheit gesehen, aber An-Keyt zweifelte nicht an ihrer Existenz. Und genauso wenig daran, dass sie in einer Strafeinheit der baldige Tod erwartete.
Ein Geräusch schreckte An-Keyt auf. Ein leises Zischen. Sie brachte ihren Strahler in Anschlag, den sie nicht mehr aus den Greiflappen gelegt hatte, seit sie wieder auf die Beine gekommen war. Sein Lauf zeigte auf ein Helk-Modul. Es war hier, um sie sicher in das Nachtlager ihres Trupps zu geleiten. An-Keyt ließ es mit sich geschehen. Sie nahm ihre Umwelt kaum wahr, zu sehr nahm das innere Ringen sie in Anspruch. Sie musste melden, was geschehen war. Ihre entelechische Schulung verlangte es von ihr. Eigeninteresse steht hinter dem der Gemeinschaft zurück. Dieser Glaube war der Fels, auf dem ihre Überzeugungen ruhten. Deshalb hatte sie sich dem Krieg für das Leben angeschlossen, deshalb war sie an diesen Ort zwischen die Dimensionen gereist und säte Tod und Vernichtung. Die Gemeinschaft war alles. Sie war nichts.
Ich bin nichts.
Ich bin nichts.
Ich bin nichts.
An-Keyt wiederholte den Satz, wie um sich selbst zu hypnotisieren. Ohne Erfolg. Ein anderer Impuls war stärker. Sie wollte leben. Leben, leben, leben. Sie hatte es sich geschworen.
Als die Schleuse des Nachtlagers vor ihr zur Seite glitt, hatte An-Keyt ihre Entscheidung getroffen.
An-Keyt hatte sich in den wenigen Momenten, die ihr vor dem Eintreffen in das Nachtlager blieben, eine Geschichte zurechtgelegt. Ohne würde sie nicht durchkommen. Schließlich hatte sie sich mehrere Subeinheiten lang vom Trupp entfernt. Negan-Parr würde darauf bestehen, zu erfahren, wo sie gewesen war, was sie getan hatte und, natürlich, wieso sie sich ohne Befehl entfernt hatte. Negan-Parr würde jedes Detail wissen wollen, sich erst zufrieden geben, wenn alle offenen Fragen zu seiner Zufriedenheit geklärt waren.
Und die übrigen Soldaten? Einem Teil würde ihr Schicksal egal sein. Eigentlich den meisten. Sie würden sich auf sie stürzen, außer sich vor Wut, dass An-Keyt ihnen den wertvollen, immer zu knappen Schlaf gestohlen hatte. Sie würden jede Ungenauigkeit erkennen, sie ans Licht zerren, sie zerreden ... kurz: An-Keyts hastig zusammengezimmertes Lügengebilde in der Luft zerfetzen.
Die Loowerin betrat das Nachtlager. Ihr Körperhaar, das eben erst wieder zu einer gewissen, wenn auch elektrisierten Ruhe gefunden hatte, war in Aufruhr. Gnädig gedämpftes Licht empfing sie – und sechs fest schlafende Loower.
An-Keyt verharrte auf der Stelle, überprüfte ungläubig die Zeitanzeige ihres Anzugs. Es war zu früh, viel zu früh. Der Trupp kam niemals schon um diese Zeit zur Ruhe. Die Anspannung des Tages, selbst die eines Tages ohne jedes Ereignis, das eine Nachricht an das Bereichskommando wert gewesen wäre, war zu groß. Die Zweidenker mussten erst langsam herunterkommen, bevor sie Schlaf fanden, trotz der beruhigenden Tabletten, die sie schluckten. Die Soldaten versuchten, jeder auf seine Weise, die Spannung abzubauen. Negan-Parr mit seinen endlosen Analysen der strategischen Lage. Der Söldner, indem er sich aus dem Helk-Netz die besten Gefechte des Tages zog und sie regungslos verfolgte, eingehüllt in den feinen Dunst, den seine vibrierende Sprachblase erzeugte. Lef-Krar und Mirton-Kehn mit ihren endlosen Liebesspielen. Die übrigen mit geflüsterten Gesprächen, die sich unweigerlich auf die Trümmersphäre konzentrierten, die perfekte Welt, die sie zurückgelassen hatten, zu der es kein Zurück mehr gab. Im Nachtlager erwartete An-Keyt um diese Zeit alles, nur nicht Loower im Tiefschlaf.
Vorsichtig machte die Loowerin einen Schritt in den Raum. Es stank nach Schweiß und Verdauungsgasen. Und da war noch etwas, was An-Keyt nicht einordnen konnte. Ein süßlicher Geruch. Unpassend. Und widerwärtig, wie sie nach einigen Atemzügen feststellte.
Was war hier los? Ihre Kameraden trugen ausnahmslos Kampfanzüge, lediglich die Helme hatten sie eingeklappt. Die Anzüge sahen mitgenommen aus, als wäre der Trupp durch furchtbare Gefechte gegangen. Sie waren fleckig. Manche der Flecken waren Spritzer, wie von einem Regenschauer, andere waren großflächig, als hätte man Kübel von Flüssigkeit über dem Träger ausgeschüttet. Gemeinsam war allen Flecken ihre dunkle Farbe. Auf den ersten Blick hätte man sie für Elemente eines Tarnanstrichs halten können, aber als An-Keyt die Blicke ihrer Stielaugen über den Raum wandern ließ und die süßliche Luft in ihre Lungen pumpte, kam ihr ein Verdacht, so furchtbar, dass sie versucht war, auf der Stelle kehrtzumachen und wieder hinauszurennen in das Labyrinth der Gänge der PAN-THAU-RA, um sich den Flachaugen auszuliefern.
Nein. Nicht!, dachte sie. Bitte nicht!
Ihre Bitte wurde nicht erhört. Die Blicke ihrer Stielaugen blieben an einer Ecke des Raums hängen. Kein Loower schlief dort. Auf einem ungeordneten Haufen, achtlos aufeinander geworfen, lagen Messer. Es waren schwere Werkzeuge, so lang wie loowerische Flughäute. Mit Doppelschneiden, eine glatt und scharf, die zweite gezahnt wie eine Säge. An-Keyt erinnerte sich an den Tag, als die Messer auf dem Transporter ausgegeben worden waren. Wie die Soldaten die primitiven Werkzeuge ungläubig angestarrt und gescherzt hatten, ob der Neundenker etwa von ihnen erwartete, dass sie sich mit Messern den Weg durch das Sporenschiff schnitten. Seit die Soldaten durch die PAN-THAU-RA marschierten, war noch kein Tag vergangen, an dem sie die klobigen, schweren Messer nicht verflucht hätten. Nur das entelechische Kredo, niemals Ressourcen zu vergeuden, hat sie daran gehindert, sie einfach wegzuwerfen.
Nun hatten die Messer ihren Zweck gefunden. Die glänzende Legierung ihrer Schneiden war stumpf, verborgen unter einer klebrigen Schicht, bei der es sich nur um das Blut von Flachaugen handeln konnte.
An-Keyt wurde übel. Sie hatte seit dem vorigen Abend nicht mehr gegessen – zu wenig, wie üblich, auf der PAN-THAU-RA wollte sich kein normaler Appetit einstellen – und so gut wie nichts getrunken. Ihre Kräfte neigten sich dem Ende zu. Ihre Beine knickten ein. Sie waren mit einem Schlag leb- und kraftlos.
An-Keyt fiel – und fing sich auf, gerade in dem Moment, als ihr Höckerwulst auf den Stahlboden prallen wollte. Ihre Tentakel schnellten vor und stoppten den Fall, richteten sie mit einer Kraft auf, die sie längst nicht mehr in sich vermutet hätte.
An-Keyt wollte leben. Immer noch.
Sie tastete nach dem Messer, das an der Seite ihres Anzugs baumelte, hob es hoch und betrachtete das Glitzern seiner makellosen, unbenutzten Klinge im Dämmerlicht. Keiner ihrer Kameraden rührte sich. Das Peschtan hatte sie immer noch im Griff, ließ sie nach der Raserei des Tages wie Tote schlafen. Nicht einmal ein Angriff der Flachaugen oder ein Anruf des Neundenkers persönlich würde sie wecken. An-Keyt umfasste den Griff fester,