Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.
nur dem Adel und den freien Städten freie Religionsausübung zugestanden wäre, die fraglichen Städte aber nicht frei wären. Die Defensoren, welche eingesetzt waren, um die im Majestätsbrief bewilligten Rechte zu wahren, bestritten das, was sie insofern auch wohl konnten, da die betreffende Stelle im Dokument nicht genau genug gefasst war, um nicht verschiedene Auffassungen aufkommen zu lassen. Wie nun ein scharfer Brief des Kaisers eintraf, der zum Gehorsam ermahnte und widrigenfalls mit Strafen drohte, ergriffen die Stände die Gelegenheit, auf ihrem Recht zu bestehen. Thurn, der, weil er rechtzeitig gewarnt hatte, mehr als früher gehört wurde, drängte, jetzt müsse das Versäumte nachgeholt und die Regierung endlich so eingerichtet werden, dass die Rechte des Adels nicht mehr verkürzt würden; andere dachten, sie wollten es darauf ankommen lassen, wie der Kaiser und der König sich zu ihren Forderungen stellte, und mit etwaiger Nachgiebigkeit sich zufrieden geben. Den Kaiser glaubte man an der ganzen Sache weniger beteiligt als Ferdinand, die Hauptschuld aber maß man den katholischen Kronbeamten bei, Popel von Lobkowitz, der den Majestätsbrief nicht mit unterschrieben hatte, ferner Martinitz und Slawata, die von jeher Gegner der evangelischen Stände gewesen waren und die über alle Vorfälle an den Hof berichteten, wie es ihnen beliebte.
An einem warmen Maimorgen versammelten sich die Stände bei Wilhelm von Lobkowitz, um sich nach gemeinschaftlich eingenommenem Frühtrunk auf das Schloss zu begeben und die Vertreter der Krone zur Rede zu stellen. Jetzt wollten sie sich vor Kompromissen hüten, sagte Kolonna von Fels unter dem Trinken, einmal müsse gründlich aufgeräumt werden mit den Habsburgern, sonst würden sie nie zur Ruhe kommen. Ja, sagte Kinsky, einmal müsse man Mut zum Handeln finden, ein einmaliger starker Bluterguss sei nicht so gefährlich wie das stete Tröpfeln aus einer offenen Wunde.
Das sei nicht gesagt, meinte Wilhelm von Lobkowitz kopfschüttelnd, bei einem starken Bluterguss fahre oft die Seele zugleich heraus. Unvorbereitet loszuschlagen sei sinnlos, man müsse gerüstet sein, wenn es auf einen Krieg auslaufen sollte.
Das sei gewiss, sagte Thurn, dass der Zeitpunkt bei der Wahl Ferdinands geeigneter gewesen wäre. Es sei doch ein anderes, wenn man sich im Rechte wisse. Jetzt hätte man gewissermaßen zugegeben, dass Böhmen ein habsburgisches Erbland sei.
Was? rief Kinsky, wodurch sie das zugegeben hätten? Sie hätten Ferdinand aus Recht und Freiheit, nicht pflichtschuldig gewählt. Übrigens würde geschriebenes Recht doch nicht geachtet, die Faust gäbe den Ausschlag. Verträge wären nichts anderes als der Schafspelz wölfischer Fürsten, töricht, wer sich dadurch blenden ließe. Und ob sie etwa damals kriegsgerüstet gewesen wären? Wer es ehrlich meine, verschanze sich nicht hinter Ausflüchten.
Auf diese Worte fielen heftige Entgegnungen, mehrere sprangen von den Sitzen, und es wurde laut durcheinandergeschrien. Nachdem sich der Lärm gelegt und die Streitenden sich beruhigt hatten, sagte Thurn, sie wären ja darin einig, dass sie mit dem Hause Österreich nicht weiter wirtschaften wollten. Es wäre voll Lug und Trug, dabei lendenlahm, faul und blöde, ließe übermütige Diener schalten. Alle stimmten zu: Matthias wisse wohl kaum etwas von dem scharfen Schreiben, das in seinem Namen an sie abgelassen wäre, Martinitz und Slawata hätten es verfasst, es wäre wohl niemals aus Prag herausgekommen. Den Prahlhansen müsse einmal gründlich das Maul gestopft werden. Einzelne Stimmen wurden laut, man müsse sie defenestrieren, sie hätten es vollauf verdient, Langmut mache sie nur dreister.
Erhitzt und in wilder Laune stiegen die Herren zu Pferde und ritten den Weg zum Schloss hinan; Goldregen, Rotdorn und Schneeball quollen in dicken Gebüschen über die Mauern der Gärten, und die Luft war von süßen Gerüchen durchkreuzt, als würfen sich spielende Frühlingsgötter mit Haufen von Fliederduft.
Die Vertreter der Krone, die bereits im Schlosse versammelt waren, nahmen die ungestümen Fragen der Stände, sie wollten wissen, wer den kaiserlichen Drohbrief verfasst habe, mit anscheinend hochmütiger Gelassenheit und ein wenig hämischer Höflichkeit entgegen; aber sie konnten ihre Unsicherheit und Ängstlichkeit nicht ganz verbergen, die durch das umgehende Gerücht von der Wut und dem gefährlichen Vorhaben der Evangelischen über sie gekommen war. In den feindlichen Blicken, die unter den Fragen und Antworten auf sie gerichtet waren, bemerkten Martinitz und Slawata plötzlich eine böse Lust, die ihnen Entsetzen einflößte. Martinitz wurde bleich, stotterte etwas von der Gerechtigkeit des Kaisers und dass er nicht vom Majestätsbrief abweichen würde, und wich dabei zurück, um durch ein anstoßendes Gemach zu entfliehen; aber schon wurde er umringt, von mehreren Fäusten gepackt und an das offenstehende breite Fenster geschleppt, vor welchem der goldene Mai sich ausbreitete. Unter Sträuben und Zappeln hörte er lautes Brüllen: »Fahre zur Hölle, Teufelsbraten!«, worauf ihm, bevor er noch an der steilen Mauer hinuntersauste, die Sinne vergingen. Inzwischen hatten schon verschiedene Fäuste den erschrocken zur Flucht sich wendenden Slawata ergriffen und schleuderten den kläglich um Gnade Flehenden dem ersten nach; die beiden Schelme gehören zusammen! hieß es unter höhnischem Gelächter. Den Schreiber der beiden, namens Fabritius, der dem geschwinden Vorgang schlotternd zugesehen hatte, warfen sie nachträglich hinterher, damit er, wie sie ihm lachend zuriefen, sich des fatalen Briefschreibens nicht mehr unterstehen könne.
Der Ausgang dieser raschen Tat war überraschend, indem die drei aus einer Höhe von vierzig Ellen herabgestürzten Männer, durch einen Misthaufen weich aufgefangen, keine Verletzungen erlitten, sondern sich vor der Wut ihrer Feinde, die ihnen noch einige Schüsse nachknallten, in das nahegelegene Haus des Popel von Lobkowitz flüchten konnten. Während die Geretteten sich des Beistandes der wundertätigen Mutter Gottes rühmten, erließen die Direktoren eine umständliche Rechtfertigung: sie hätten verräterische Leute, die sie zu Rebellen gegen des Kaisers Majestät hätten machen wollen, nach alter Weise durch die Defenestration justifiziert und hofften, der Kaiser, dessen treue Untertanen sie wären und auch bleiben wollten, werde künftig ihre Anliegen gnädig erhören und die Ungerechtigkeiten abstellen, wodurch der liebe Frieden wieder hergestellt werden könne.
25.
Von der Oberpfalz kommend, fuhr am Sonntag, dem 27. Mai, um die Mittagszeit ein breiter, gedeckter Wagen in Regensburg ein, aus dem zwei in unansehnliche Mäntel gehüllte Reisende stiegen, während zwei andere sitzen