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Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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Mar­ti­nitz nie­der; er müs­se durch­aus demje­ni­gen Ver­eh­rung er­wei­sen, sag­te er, den die Hei­li­ge Jung­frau so sicht­bar­lich be­schützt habe. Das wol­le er nicht leug­nen, ent­geg­ne­te Mar­ti­nitz, den Rek­tor auf­he­bend, freue sich viel­mehr der Tat­sa­che, dass die Jung­frau Ma­ria sich in Per­son sei­ner an­ge­nom­men habe; aber er über­he­be sich des­sen nicht, son­dern schrei­be es ein­fäl­ti­ger­wei­se der Kraft des Ge­be­tes zu, wor­auf er seit frü­her Ju­gend sich zu ver­las­sen ge­wöhnt sei. »Was für Zei­tun­gen, was für Zei­tun­gen!« rief der Rek­tor, das müs­se der Bi­schof hö­ren; wenn es Mar­ti­nitz recht sei, woll­ten sie sich un­ver­weilt zu ihm be­ge­ben. Wäh­rend der La­kai, der Mar­ti­nitz be­glei­tet hat­te, zu der üb­ri­gen Rei­se­ge­sell­schaft ins Wirts­haus ging, eil­ten der Rek­tor und sein Gast zum Bi­schof, der, von den Vor­fäl­len in Prag be­reits im All­ge­mei­nen un­ter­rich­tet, be­gie­rig war, das Nä­he­re zu ver­neh­men. Er ließ sich kaum Zeit, Mar­ti­nitz zu um­ar­men und zu seg­nen, und über­stürz­te ihn dann mit Fra­gen: er kön­ne und kön­ne es nicht glau­ben, dass Men­schen so keck und böse sein soll­ten, from­me, un­schul­di­ge Leu­te und hoch­vor­neh­me Die­ner des Kai­sers aus dem Fens­ter zu wer­fen! Und dass er nun eins von die­sen jäm­mer­li­chen Op­fern mit Au­gen vor sich sähe! Ob er denn arg zer­schun­den und zer­schla­gen sei? Der­glei­chen sei ja kaum bei Tür­ken und Ta­ta­ren oder den heid­nischen Ja­pa­ne­sen üb­lich!

      Wahr sei es, sag­te Mar­ti­nitz la­chend, da­von kön­ne er zeu­gen, der es am ei­ge­nen Lei­be er­fah­ren habe; aber un­er­hört sei es frei­lich, und der gute Herr von Sla­wa­ta, der schwer da­nie­der­lie­ge, habe auch ge­klagt, es ste­he wohl in den His­to­ri­en, dass die rö­mi­schen Pa­trio­ten den ehr­gei­zi­gen Cäsar mit Dol­chen er­mor­det hät­ten, aber aus dem Fens­ter pfle­ge man nur Kat­zen oder etwa ein jun­ges Hünd­lein zu wer­fen. Ein sol­cher Schimpf sei un­aus­steh­lich, und es wäre kein Wun­der, wenn man vor Kum­mer dar­über hin­stür­be.

      Wie es denn zu­ge­gan­gen sei? frag­te der Bi­schof. Mar­ti­nitz sol­le ihm doch um Got­tes wil­len al­les haarklein er­zäh­len. Und was für eine Be­wandt­nis es denn mit sei­ner Er­ret­tung habe?

      Mar­ti­nitz er­zähl­te, dass sie am Tage zu­vor ge­warnt wor­den wä­ren, als ob die Un­ka­tho­li­schen mit Mord­ge­dan­ken um­gin­gen, sie hät­ten es je­doch nicht be­ach­tet, son­dern wä­ren, auf Gott und ihr gu­tes Ge­wis­sen trau­end, zur an­be­raum­ten Sit­zung auf die Burg ge­gan­gen; dass ihre Wi­der­sa­cher sie so­gleich mit un­ge­rech­ten Vor­wür­fen an­ge­bellt und ihre Verant­wor­tung kaum an­ge­hört hät­ten und dass Graf Thurn das Zei­chen ge­ge­ben und ge­schri­en hät­te, we­gen ih­rer Ver­bre­chen müss­ten sie jetzt des To­des sein, wor­auf er und der Smir­sitz­ky ihn ge­packt und un­ter Hohn­la­chen aus dem Fens­ter ge­wor­fen hät­ten. Im Fal­len habe er aber den Kopf nicht ver­lo­ren, son­dern fort­wäh­rend ge­mur­melt: »Je­sus Ma­ria, Ma­ria steh mir bei, Ma­ria ver­lass mich nicht«, un­ter wel­chem Be­ten er wohl­be­hal­ten im Gra­ben an­ge­langt und wie von müt­ter­li­cher Hand auf einen ge­pols­ter­ten Ses­sel sanft nie­der­ge­setzt sei. Gleich­zei­tig sei in der un­te­ren Stadt eine Pro­zes­si­on über die Brücke ge­gan­gen, und ein red­li­cher Mann, der da­bei ge­we­sen sei, habe die al­ler­se­ligs­te Jung­frau im blau­en Man­tel in der Luft flat­tern ge­sehn, wie sie ihn, Mar­ti­nitz, ge­tra­gen und sorg­fäl­tig im Gra­ben ab­ge­setzt habe.

      »Was für ein herr­li­ches Wun­der!« rief der Bi­schof, und der Rek­tor füg­te mit fun­keln­den Au­gen hin­zu, da al­les so wohl ab­ge­gan­gen sei, müs­se man sich freu­en, müs­se man frohlo­cken, dass die Un­ka­tho­li­schen ein­mal ihre Tücke und mehr als he­ro­di­sche Grau­sam­keit gründ­lich of­fen­bart hät­ten. Nun müs­se doch je­der­mann und auch der Kai­ser ein­se­hen, dass Mo­de­ra­ti­on da nicht am Plat­ze wäre, son­dern dass der­glei­chen Dis­teln und Dor­nen nur mit Feu­er könn­ten aus­ge­rot­tet wer­den.

      Ge­wiss habe Gott es ei­gens so ver­an­stal­tet, sag­te Mar­ti­nitz. Er und sein lie­ber Oheim Sla­wa­ta hät­ten es im­mer ge­sagt, in Böh­men müs­se man nicht glimpf­lich, son­dern auf stei­er­mär­kisch re­for­mie­ren, sonst wä­ren die­se gott­lo­sen Schel­me nicht zu beu­gen.

      Ja, wie er denn so selt­sam und ei­gent­lich ver­schmutzt aus­sä­he? frag­te nun der Bi­schof, in­dem er des Mar­ti­nitz Ge­sicht in der Nähe mus­ter­te.

      So künst­lich hät­te ihn sein Ba­der her­ge­rich­tet, sag­te Mar­ti­nitz, hät­te ihn mit Ruß an­ge­schwärzt und auch den Kne­bel­bart ge­stutzt, um ihn un­kennt­lich zu ma­chen. Es sei auch not­wen­dig ge­we­sen; denn die Un­ka­tho­li­schen hät­ten be­rit­te­ne Mör­der nach ihm aus­ge­sandt, die ihn auch ein­ge­holt hät­ten. Er habe aber auf­recht in sei­ner Ka­le­sche ge­ses­sen und sie dreist an­ge­se­hen, die Pis­to­le in der Hand, wor­auf sie wei­ter­ge­rit­ten wä­ren, sei es, dass sie ihn nicht er­kannt oder sich nicht an ihn ge­wagt hät­ten.

      Der Herr von Sla­wa­ta, be­rich­te­te Mar­ti­nitz fer­ner, sei schlim­mer dar­an als er, kön­ne das Bett nicht ver­las­sen und kaum re­den, so zer­schla­gen sei er; aber die hoch­ge­bo­re­ne Frau Po­ly­xe­na von Lob­ko­witz pfle­ge ihn un­ter ih­rem Da­che; das sei eine so klu­ge und ma­je­stä­ti­sche Frau, dass die Un­ka­tho­li­schen sich kei­ner Ge­walt ge­gen sie un­ter­fan­gen wür­den.

      Der Bi­schof tisch­te sei­nen Gäs­ten ein präch­ti­ges Abendes­sen auf, wäh­rend Mar­ti­nitz sei­nen Be­richt wie­der­ho­len und im ein­zel­nen aus­ma­len muss­te. Am fol­gen­den Tage ver­sah er den Flücht­ling mit ei­nem klei­ne­ren und leich­teren Wa­gen, da man auf den schma­len und ge­fähr­li­chen bay­ri­schen We­gen, wie er sag­te, mit ei­ner schwe­ren Ka­le­sche, wenn sie etwa in den Gra­ben stürz­te oder im Schlam­me ste­cken­blie­be, übel dar­an sei. So aus­ge­rüs­tet, kam Mar­ti­nitz glück­lich nach Lands­hut und am Tage dar­auf nach Frei­sing; aber von dort an nahm die Un­weg­sam­keit der Stra­ße so zu, dass der Die­ner, wel­cher die Zü­gel führ­te, in große Sor­ge ge­riet und end­lich an­hielt mit den Wor­ten, dass er sich nicht wei­ter traue oder we­nigs­tens der Verant­wor­tung ent­ho­ben sein wol­le. Der Ba­der Tho­ma­son stieg aus, um die Ge­le­gen­heit zu be­trach­ten, und sag­te nach ei­ner Wei­le, zu Fuße wür­den sie vollends ste­cken­blei­ben, da sie kei­ne ho­hen Stie­fel hät­ten, und weil sie doch nach Mün­chen woll­ten, sei sein Vor­schlag, dass sie es mit Gott ver­such­ten, hin­durch­zu­fah­ren. Mar­ti­nitz warf nur oben­hin einen Blick auf die Stra­ße und sag­te, frei­lich müss­ten sie wei­ter, nach­dem ihn die Him­mels­kö­ni­gin eben erst beim Stur­ze von der Burg so tap­fer be­hü­tet habe, wol­le er sich jetzt nicht durch Zwei­fel be­fle­cken. Auch hät­ten sie ja vier Pfer­de vor dem Wa­gen, man sol­le nur in Got­tes Na­men dar­auf­schla­gen. Un­ter Peit­schen­knal­len, Stol­pern und Zie­hen wur­de die Rei­se lang­sam fort­ge­setzt; in­des­sen als die Däm­me­rung her­ein­brach, kam es doch da­hin, dass der Wa­gen um­schlug, wo­bei zwar die In­sas­sen mit ei­ni­gen Quet­schun­gen und Schram­men da­von­ka­men, aber die Deich­sel zer­brach. Mar­ti­nitz half den Wa­gen auf­rich­ten, was nach schwe­ren Be­mü­hun­gen glück­te, und setz­te sich dann auf einen Stein am Wege und be­te­te, wäh­rend die an­de­ren mit den we­ni­gen Werk­zeu­gen, die sie bei sich hat­ten, das Fahr­zeug leid­lich zu­sam­men­flick­ten. Über den Saat­fel­dern und fer­nen sam­metschwar­zen Wäl­dern schweb­te der Him­mel wie ein un­ge­heu­rer Ad­ler, von des­sen Sturm­flu­ge ein lei­ser, ste­ti­ger Luft­zug über die tie­fe Erde strich.


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