Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike LautenschlägerЧитать онлайн книгу.
so beginnt der Ärger schon mit dem Visum, denkt Sophie entmutigt, nimmt ihren Pass und dreht sich zur Tür. Da fällt ihr gerade noch rechtzeitig ein, dass sie nie etwas von Volksrepublik gelesen hat, sondern immer nur Republik China.
»Oder wollen Sie vielleicht nach …«
»… Taipeh, nach Taipeh in Taiwan will ich«, fällt ihm Sophie ins Wort.
»Ja, dann sind sie hier richtig. Nach Taiwan, in die Republik China wollen Sie also, nicht in die Volksrepublik China.«
»Ist das nicht dasselbe … mit oder ohne Volk im Namen? Gibt es in Taipeh kein Volk?«
Der Botschaftsangestellte lächelt nachsichtig und sieht ihre Unterlagen an, darunter die schriftliche Zusage des Sprachzentrums: »Huānyíng guānglín! – Willkommen!«, sagt er freundlich zu ihr.
Sophie sieht ihn stumm mit großen Augen an. Er nickt nur kurz, sagt dann nichts weiter und beginnt mit seiner Arbeit.
Als Sophie nach Hause kommt – sie ist inzwischen wieder bei ihren Eltern eingezogen –, schwenkt sie ihren Pass mit Visum darin. »Ich fahre nach Taiwan!«
»Da willst du hin? Da war doch erst dieser schreckliche Tsunami«, meint Sophies Mutter besorgt, die Taiwan mit Thailand verwechselt, und Sophies Vater ist, wie Sophie noch vor wenigen Stunden, davon überzeugt, dass sie nach China fliegt, was am Ende das Gleiche wie Vietnam gleich nach dem Vietnamkrieg sei, und das sei ja so gut wie Nordkorea.
Im Internet sucht Sophies Familie dann gemeinsam auf der Website des Auswärtigen Amtes: »Deutschland erkennt Taiwan nicht als souveränen Staat an und unterhält deshalb keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan.« Wenigstens ist aber kein landesspezifischer Sicherheitshinweis vermerkt. Trotzdem machen sich nun alle etwas Sorgen: Sophie fährt in ein Land, das offiziell gar nicht existiert?
Die anderen Verwandten und Sophies Freunde schütteln später auch fragend den Kopf. »Made in Taiwan« kennen sie alle, aber wo soll dieses Taiwan denn liegen?
Sophie checkt noch einmal ihre E-Mails. Nichts von Jan. Dann klickt sie auf »Buchung bestätigen« – und damit ist ihr Flug nach Taipeh gebucht. Einfach so. Da es einen Flughafen und Flugtickets dorthin gibt, muss dieses Taiwan auch tatsächlich existieren. Und nächste Woche wird sie schon dort sein.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Noch bevor Sophie taiwanischen Boden betritt, hat sie einfach so schon das erste Fettnäpfchen erwischt: Taiwan ist nicht China. Und der Ort, an dem Sophie ihr Visum beantragt, heißt Taipeh-Vertretung, weil Deutschland Taiwan nicht anerkennt, nicht, weil Taipeh eine so große Stadt ist. Auch Sophies Familie und Freunde liegen falsch: So wenig wie die Schweiz und Schweden dasselbe Land sind, so wenig ist Taiwan gleich Thailand. Taiwan, mit offiziellem Namen Republik China, ist auch nicht die Volksrepublik China, selbst wenn es ähnlich klingt.
Die Taiwaner sehen es gelassen – sie wissen, dass Taiwan eine kleine Insel und ein kleines Land ist. Das wird sie aber nicht davon abhalten, Unwissende stolz und energisch über ihre Heimat und deren politische Situation aufzuklären.
Wenn Sie nach Taiwan fahren, dann fahren Sie in ein anderes China, in einen melting pot aus Chinesen, die in verschiedenen Einwanderungswellen und aus allen Ecken Chinas auf der Insel eintrafen, aus Ureinwohnern, Migranten, Chinesischschülern aus der ganzen Welt, Expats – also internationalen Fachkräften – und zurückgekehrten Auslandschinesen, gewürzt mit Einflüssen aus der japanischen Kolonialzeit und der heutigen koreanischen und japanischen Pop-Kultur. Viele Traditionen, die auf dem chinesischen Festland mit der Kulturrevolution längst verschwunden sind, sind hier erhalten geblieben und werden gepflegt – selbst von der jungen Generation und im modernen Alltag.
Was können Sie besser machen?
Wenn Sie nach Taiwan reisen, haben Sie keine Angst! Für konsularische Dienstleistungen (Visa- und Passangelegenheiten, Beglaubigungen etc.) oder sonstige Hilfe, z. B. in Notfällen, gibt es auf beiden Seiten zwar keine Botschaften, dafür aber sogenannte Auslandsvertretungen, die genau dieselbe Funktion erfüllen. Die Taipeh-Vertretung in Deutschland sitzt in Berlin und hat auch Büros in Hamburg, München und Frankfurt am Main. Das Deutsche Institut Taipeh sitzt hoch über den Dächern der Millionenstadt im Hochhaus Taipeh 101 – schwer zu verfehlen. Beruhigen Sie Ihre Verwandten und Freunde. Sie fahren in ein sicheres, modernes Land. Seien Sie aber trotzdem vorsichtig. Unfälle passieren natürlich in Deutschland wie auch in Taiwan.
說到 … APROPOS … GESCHICHTE VON TAIWAN
Die Insel Taiwan wurde 1517 von den Portugiesen entdeckt. Sie nannten sie Ilha Formosa – schöne Insel. Circa hundert Jahre später ging sie von den Niederländern an die Spanier, dann 1662 kurz an einen vor den Mandschuren flüchtenden chinesischen Armeeführer. 1682, in der Qing-Dynastie, wurde Taiwan dem chinesischen Festland angegliedert, dann 1895–1945 von Japan kolonialisiert. 1949 flüchtete Chiang Kai-shek mit zwei Millionen Anhängern vor Mao Zedong und den Kommunisten von Festlandchina nach Taiwan und rief hier die provisorische Regierung der Republik China aus. In den 1980er-Jahren entwickelte sich Taiwan langsam von einer Militärdiktatur zu einer der dynamischsten, modernsten und stabilsten Demokratien Asiens. Bedeutend hierfür war auch das »Taiwanwunder« – die schnelle Industrialisierung und das Wirtschaftswachstum während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, eben »Made in Taiwan«.
Obwohl Taiwan bzw. die Republik China ein Territorium, eine eigene Währung, eine eigene Verwaltung und sogar ein eigenes Militär besitzt – also alle äußeren Merkmale eines souveränen Staates –, unterhalten nur noch 18 Staaten diplomatische Beziehungen mit Taiwan. China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und setzt anderen Ländern und Organisationen die Daumenschrauben in Form von wirtschaftlichem und politischem Druck an, der sogenannten »Ein-China-Politik« zu folgen. So ist Taiwan zum Beispiel kein Mitglied der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Zu den Olympischen Spielen tritt Taiwan gezwungenermaßen unter dem Namen »Chinese Taipei« an. Doch auch wenn Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan unterhält, so gibt es zumindest enge und gute Beziehungen im Bereich Wirtschaft und Kultur.
2
不好意思! – BÙHǍOYÌSI! – ENTSCHULDIGUNG!
WIE SOPHIE GEISTER UND TOD INS FLUGZEUG LOCKT
Einfach so ist der Tag der Abreise gekommen. Sophie sitzt mit Schmetterlingen im Bauch auf dem zum Bersten vollgepackten Koffer in der Warteschlange des Check-ins. Über Jans Couchsurfing-Account hat sie eine Unterkunft für die erste Woche gefunden – bei Chen Zi-ting. Viel stand nicht im Profil, nur dass sie eine Frau Mitte 30 sei und schon öfter Couchsurfer aufgenommen habe. Fotos gab es, die waren aber alle durch Grimassen verzerrt. Dafür waren da aber vier positive Bewertungen. Sophie hofft, innerhalb einer Woche dann eine dauerhafte Bleibe zu finden – erst mal für drei Monate. Und dann mal sehen … Selbst wenn Jan jetzt sofort zurückkommen würde, wäre er insgesamt schon ein halbes Jahr weg gewesen. Da kann sie ja auch mal einfach so ein Jahr …
»Bùhǎoyìsi! Excuse me! Sie reisen allein?«
Sophie dreht sich um, sie ist dran. Die Dame vom Check-in sieht sie aufmerksam an. Sophie nickt.
»Bùhǎoyìsi! Wir sind heute überbucht. Es würde Ihnen doch sicher nichts ausmachen, wenn Sie in der Businessclass statt Economy reisen.«
Sophies Reise scheint unter einem guten Stern zu stehen. Wer tauscht nicht gern den engen Sitzplatz in der zweiten Klasse gegen einen bequemen Sitzplatz in der ersten, besonders wenn es sich um 13 Stunden Flug handelt.
Während sie auf das Boarding wartet, spricht Sophie »Bùhǎoyìsi!« in die neue App auf ihrem Handy. »Tut mir leid, Entschuldigung« erscheint als Übersetzung auf dem Display. Wie praktisch! »Bùhǎoyìsi! Bùhǎoyìsi!«, wiederholt