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Fettnäpfchenführer Brasilien. Nina BüttnerЧитать онлайн книгу.

Fettnäpfchenführer Brasilien - Nina Büttner


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       LINDA VERLIERTSICH IMDSCHUNGEL DERNAMENS GEBUNG

       WARUM ES SELBST BEI DER ARBEIT NIESÜSS GENUG SEIN KANN

      Linda tritt in ein unscheinbares weißes Haus mit der typischen dunklen Verglasung gegen die Sonneneinstrahlung. Im Inneren herrscht die bekannte Klimaanlagenkühle, doch empfangen werden sie und Marcelo herzlich von einer gut gelaunten Rezeptionistin – Mariana. Kurz darauf macht Marcelo sie mit der Spanischlehrerin Lucia aus Uruguay bekannt.

      »Wie heißen Sie mit Nachnamen?«, möchte sich Linda höflich vergewissern und blickt in das erstaunte Gesicht der Lehrerin.

      Beim Rundgang durch die Räumlichkeiten treffen sie den Englischlehrer, dessen Namen Milton (ist das jetzt ein Vor- oder ein Nachname?) Linda sich auch noch zu merken versucht. Im mittleren Saal, einer Art klimatisiertem Pausenhof, stehen ein Wasser- und ein Kaffeespender.

      Marcelo zapft Linda einen cafezinho, ein Käffchen, in eines der winzigen Trinkhütchen aus Plastik, und nachdem sie sich erfolglos nach Milch und Zucker umgeschaut hat, leert sie ihren Kaffee, so wie sie ihn bekommen hat, in einem Schluck. Anstatt der erwarteten Bitterkeit bringt ihr eine Ladung Zucker einen Hustenanfall und ihren Zähnen regelrecht eine Gänsehaut, also, wenn das möglich wäre.

       CAFEZINHO ODER: WIE TOTE ZUM LEBEN ERWECKT WERDEN

      Kaffee aus Brasilien ist ein Exportschlager. Auch im Land selbst gibt es eine ausgeprägte Kaffeekultur, auch wenn Brasilianerinnen bei Weitem nicht an die in Deutschland gekippten Literzahlen pro Person und Jahr herankommen. Das liegt auch daran, dass ein Fingerhut brasilianisch gebrühten Kaffees in Koffeingehalt und Wirkung etwa einem Becher deutschen Filterkaffees entspricht. Wegen der kleinen Portionen wird der Kaffee verniedlichend cafezinho, Käffchen, genannt. Selbst Espresso, wie er in Deutschland serviert wird, würden eingefleischte brasilianische Kaffeegenießer noch abschätzig als chafé bezeichnen, als einen Kaffee (café), der so dünn ist wie Tee (chá).

      Brasilianer sind nicht nur in puncto Temperament, sondern auch in kulinarischen Angelegenheiten keine Anhänger von Bitterkeit: Kaffee muss süß sein. Und um das dickflüssige Gebräu süß zu bekommen, muss man schon mal die Hälfte der Kanne mit Zucker auffüllen. Kaffee statt durch Zucker mit Milch abzumildern, gilt als eher exotische Idee der milchfarbenen Europäer. Es sei denn, Sie setzen sich im Shoppingcenter in eines der Cafés, die in Sachen Angebot den spanischen und italienischen Stil imitieren und eine Espressomaschine besitzen.

      Das Geheimnis der Stärke des populären brasilianischen Kaffees, wie er an jedem Imbiss serviert wird, liegt nicht so sehr in der Brauart: In einem auswaschbaren Stofffilter wird großzügig Espressopulver mit wenig Wasser übergossen – Espressokocher sind weitgehend unbekannt. Es ist vor allem die kräftige Bohne, die Tote zum Leben erweckt.

      Wenn sie selbst im Supermarkt vor der Wahl stehen, greifen Sie zu einer der beiden Kultmarken: Café brasileiro oder für ganz Hartgesottene Pilão – o café forte do Brasil – der starke Kaffee aus Brasilien.

      Während unsere hustende Kaffeetrinkerin noch dabei ist, sich zu fangen, kommt ein Herr mittleren Alters in den Saal, wird von Marcelo sehr höflich begrüßt und Linda als einer ihrer zukünftigen Schüler vorgestellt: »Das ist Diegão, du wirst deine Freude an ihm haben. Diegão, das ist Linda, deine neue Lehrerin.«

      »Linda, schöne Name, schöne Lehrerin!«, freut sich Diegão in fast korrektem Deutsch. Immer mehr Menschen bevölkern den Saal – es sind Lindas Schüler, die überpünktlich zum Unterricht erscheinen. Da hatte sie sich auf Unpünktlichkeit eingestellt ... aber, denkt sie weiter, die Pünktlichkeit ist nachvollziehbar, schließlich bezahlen die Lernenden nicht wenig Geld für ihren Unterricht an dieser fast luxuriösen privaten Sprachschule. Viel Zeit zum Grübeln bleibt ihr nicht, denn nun übernimmt Diegão die Regie und stellt sie allen anderen eintreffenden Schülern vor.

      »Hier ist unsere neue Lehrerin Linda. Ja, sie heißt wirklich Linda und sie kommt direkt aus Deutschland zu uns! Linda, hier haben wir Ana Paula, eine große Geschäftsfrau.«

      Er wartet, bis die beiden sich mit Küsschen begrüßt haben.

      »Muito prazer« – Schön, dich kennenzulernen, sagt Ana Paula.

      »Die beiden hier, die aussehen wie Deutsche, sind Italiener, die Brüder Mano und Edo.«

      Linda begrüßt beide, ohne zu wissen, welcher nun welcher ist.

      »Prazer em conhecê-la«»prazer«, kommentieren die beiden die Vorstellung mit Varianten eines Satzes, der sich im Deutschen beträchtlich länger hinzieht: Es freut mich, Sie kennenzulernen.

       VORSTELLUNG

      Pausenlos wird man in Brasilien neuen Leuten vorgestellt. Das Ritual dazu ist nicht zu vernachlässigen. Ein typischer Dialog verläuft folgendermaßen:

      »Quero te apresentar o Pedro« – Ich möchte dir Pedro vorstellen. Oder formeller: »Vou-lhe apresentar o Pedro.«

      »Oi Pedro, prazer te conhecer. Tudo bom?« – Hallo Pedro, es freut mich, dich kennenzulernen. Wie geht es dir? Oder formeller: »Oi Pedro, prazer em conhecê-lo.«

      »Prazer Linda, tudo bem. E você?« – Nett, dich kennenzulernen, Linda, mir geht es gut. Und dir? Oder einfach: »Prazer.«

      »Und hier kommt die Schönste der Runde: Terezona, die Königin der Copacabana«, freut sich Diegão über eine sportliche, hoch gewachsene Frau mit langen schwarzen Haaren.

      »Olha Linda, que lindo seu estilo, tão diferente« – Schau an Linda, was für einen schönen Stil du hast, so ganz anders, sagt Terezona eher zu den Umstehenden als zu Linda, die noch fast an Terezonas Wange hängt und gar nicht mehr versucht, alle Namen zu behalten.

      Diegão ist schon beim Nächsten, der klein und schlaksig und mit mehreren Büchern unterm Arm hinter Terezona zum Vorschein kommt.

      »Linda, das ist unser Philosoph João. Kleiner Mann, großer Denker.«

      »Uma alemã de verdade, que legal« – Eine echte Deutsche, wie cool, begrüßt João Linda.

      »Da kommen ja unseren Deutschen!«, eilt Diegão schon weiter zu drei Eintretenden, die aus einer Familie sein dürften, so ähnlich, wie sie sich sehen.

      »Gertrude, unsere gute Deutsche aus Santa Catarina im Süden. Und ihre Töchter, die schönen Carolzinha und Renatinha.«

       SPITZNAMEN: VERKLEINERUNG, VERGRÖSSERUNG

      Kaum jemand entkommt dem apelido, dem Spitznamen. Besonders beliebt sind in Brasilien Verniedlichungen. Die Endung des Diminutivs, -inho /-inha, kennen wir von den Fußballstars: Ronaldinho heißt so viel wie Ronaldlein oder Ronaldchen. Bei besonders stattlichen Leuten wird die Vergrößerungsform verwendet, das -ão /-ona, das Diego verpasst bekommen hat. Ebenso Tereza, die eine mulherão ist, also eine Art Steigerung einer normalen Frau, und die daher Terezona genannt wird. Bei Frauen signalisiert die Vergrößerungsform eher eine hohe Attraktivität als kräftigen Körperbau.

      Verniedlichungen sind in Brasilien so beliebt, dass sogar Adjektive verkleinert oder vergrößert werden können. In jedem Satz mindestens eine Sache zu verkleinern oder zu vergrößern, gehört zu den Freuden des Alltagsplausches. Nüchterne Geister und Verfechter der schnörkellosen Sprache lässt das zum Teil so erschöpft zurück wie der Zuckerschock durch einen cafezinho.

      Gertrude schaut Linda ganz begeistert an: »Ela é linda, não é?« – Ist sie nicht schön?, fragt sie in die Runde. »Lehrerin, du bist sehr schön!«, wendet sie schon ihr erstes Deutsch an. Ihre Teenager-Töchter kichern etwas verlegen.

      »Onde você está morando aqui no Rio?« – Wo wohnst du hier in Rio?, erkundigt sich Ana Paula.


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