Fettnäpfchenführer Vietnam. David Frogier de PonlevoyЧитать онлайн книгу.
ganz vielen anderen namenlosen Verkäufern, Handwerkern, Taxifahrern, Busgästen und Menschen im Park, die in einem kurzen Gesprächsmoment mehr erklärt haben als hundert Bücher.
Hinweis: Einheimische und Ausländer unterhalten sich in Vietnam meist auf Englisch (wenn nicht auf Vietnamesisch). In diesem Buch wurden solche Gespräche eingedeutscht. Ebenfalls eingedeutscht wurden der Einfachheit halber einige geläufige vietnamesische Ortsnamen (zum Beispiel Vietnam und Hanoi). Vietnamesische Namen von Personen wurden in ihrer vietnamesischen Schreibweise belassen. Deswegen erhält Hồ Chí Minh die vietnamesischen Tonalzeichen, Ho-Chi-Minh-Stadt jedoch nicht.
VORWORT
IN EINEM CAFÉ IN HANOI
David: »Die Episode über die Schweineschwänze gefällt mir echt gut, aber dass die gleichzeitig gedämpften Hund servieren, ist etwas übertrieben – da sollten wir vielleicht was ändern.«
Anemi: »Die Szene ist Wort für Wort wahr ... Aber deine Betel kauende alte Frau im Pyjama, die an dem Baby herumzerrt, die find ich zu arg klischeehaft.«
David: »Klischeehaft? Die hab ich eins zu eins aus dem Gedächtnis kopiert. Absolute Klasse, die Frau! Und was machen wir jetzt mit dem Schmatzen beim Essen?«
Anemi: »Hmmm ... Lass uns noch eine Rundmail verschicken.«
Manche Anekdoten konnten wir uns gegenseitig selbst nicht glauben – wenn sie nicht wahr wären, wären sie schlecht erfunden. Dieses Buch enthält Erlebnisse, die wir in unseren Jahren in Vietnam gesammelt haben. Die Protagonisten in diesem Buch sind frei erfunden. Zahlreiche ihrer Abenteuer aber haben wir selbst so erlebt, ergänzt haben wir sie durch Erzählungen aus unserem Freundeskreis. Die Erklärteile zu den Episoden setzen sich zusammen aus Gesprächen, aus Fachliteratur, aus Medienberichten und aus unseren eigenen Erfahrungen und Einschätzungen. Wir haben zusammengetragen, hinterfragt, ergänzt, wir haben oft gelacht, immer wieder gestaunt, und manchmal sind wir nachdenklich geworden. Aus all dem entstand dieses Buch.
Wir laden Sie ein auf eine turbulente Reise durch das Wunderland der Reisschnapsgläschen, der Hautbleich-Cremes, der neugierigen Handwerker und komplizierten Anredepronomen.
Anemi Wick und David Frogier de Ponlevoy
Hanoi, im Jahr der Schlange
1
DIE WELT UMARMEN?
BEGRÜSSUNGSRITUALE UND KÖRPERKONTAKT
Nina hört das Taxi in die Gasse rollen. Sie tritt auf ihre Dachterrasse und spürt auf der Haut die unsichtbare, dicke Wand aus feuchtheißer Luft, auf der ein dunstig grauer Himmel sitzt. Der Himmel über Hanoi, der Hauptstadt Vietnams im Norden des Landes.
Es ist noch früh, kurz nach sieben Uhr. Phương, Ninas Kollegin aus dem Büro, hatte schon vor einer halben Stunde unten geklingelt. Sie hatte Drachenfrüchte, Mangostanfrüchte und Rambutans zum Frühstück mitgebracht. Nachher wollen sie gemeinsam zu einem Termin beim Arbeitsministerium fahren. Nina und Phương arbeiten bei einer deutschen Klimaschutzorganisation. Es ist Ninas erste Stelle in Südostasien, nach einem Aufbaustudium in Internationalem Management.
Hanoi hat Nina von der ersten Sekunde an in ihren Bann gezogen und auf ganz besondere Weise provoziert. »Man liebt sie oder man hasst sie, diese Stadt. Oder manchmal auch beides gleichzeitig. Kalt lässt sie kaum jemanden«, hatte sie auf Skype zu Florian gesagt.
Nina sieht, wie Florian unten vor dem Haus aus dem Taxi steigt und sich einen riesigen Rucksack auf den Rücken wuchtet. Dann wendet er sich dem Taxifahrer zu, faltet die Hände feierlich vor der Brust und verbeugt sich zum Abschied ein paarmal. Die Bewegung erinnert Nina an einen dieser kleinen Wackeldackel fürs Auto. Nina lächelt. Florian ist ihr bester Freund seit Kindertagen und gerade fertig mit seinem Informatikstudium. Er kommt sie besuchen und will durch Vietnam reisen. »Aber dir gefällt’s doch in Vietnam, oder?«, hatte Florian sie auf Skype gefragt. »Ja«, hatte Nina gesagt. Und dann geschwiegen. Wie kann man jemanden in drei Sätzen auf Vietnam vorbereiten, oder allein schon auf Hanoi? Florian, dachte sie, wird mir ohnehin nicht glauben. Nina rennt die drei Stockwerke hinunter und öffnet erst die Haustür und schließlich das große Eisentor. Florian, der jetzt vor ihr steht, scheint wie aus einer anderen, fernen Welt zu kommen, mit seinen Berlin-Turnschuhen, dem Hipster-Shirt und der teuren Sonnenbrille. Eine Welt, die in den vier Monaten, seit Nina selbst in Vietnam angekommen ist, in ihrem Kopf weit in den Hintergrund gerückt war. Nina kann sie fast riechen, die Welt der pünktlichen Verabredungen und funktionierenden Automaten, der leeren Bürgersteige, der kurz gemähten Wiesen, der Wartenummern und Umweltzonen, als die beiden sich mit großem Hallo in die Arme fallen.
»Und das hier ist Phương«, stellt Nina ihre vietnamesische Kollegin vor. Florian drückt auch Phương herzlich an sich. Dann schaut er sich um, im geräumigen Eingangsbereich mit Steinplattenboden, einer großen Küche, einem massiven Holztisch, einer Helmablage aus Bambus und Gemälden an den Wänden. Eine breite Treppe aus dunklem Holz führt in die oberen Stockwerke. »Wow!«, sagt Florian. »Dafür, dass du in einem Drittweltland lebst, lässt du es dir aber ziemlich gut gehen.«
Wen Sie wie und wo berühren dürfen
Willkommen in Vietnam! Mit der Begrüßung fängt alles an: Sollte man dieses Land knuddeln, es umarmen, ihm erst mal schüchtern zuwinken oder sich verbeugen? Wie sagt man sich in Vietnam hallo?
Phương wurde von Florians stürmischer Begrüßung wohl ein bisschen überrumpelt. Die Umarmung ist in Vietnam nicht besonders verbreitet. Ebenso befremdend kann es wirken, wenn Ausländer mit einem Wangenküsschen-Gruß auffahren.
Auch die Verbeugung mit vor der Brust gefalteten Händen, wie man sie vielleicht aus anderen asiatischen Ländern wie Thailand kennt, werden Sie in Vietnam sehr selten antreffen. Hier besteht eine Begrüßung im Allgemeinen aus einem freundlichen, respektvollen leichten Kopfnicken.
Händeschütteln ist in Vietnam inzwischen vor allem im Geschäftsleben weitverbreitet, es handelt sich hierbei um einen Import aus westlichen Ländern. Aber bitte sanft – nicht quetschen! Wer einer um einiges älteren Person die Hand reichen möchte, umfasst als Zeichen des Respekts die rechte Hand dieser Person zum Gruß mit beiden Händen.
Auch das Überreichen und Entgegennehmen von Dingen wie Geld oder Visitenkarten darf mit beiden Händen geschehen. Dies gilt als besonders höflich. Eine zackig-auffordernd hingestreckte Hand hingegen könnte unter Umständen, gerade gegenüber älteren Personen, zu forsch wirken.
Abgesehen davon gibt es in Vietnam zwischen Frauen und Männern, die kein Paar sind, im Allgemeinen keinen Körperkontakt. Dies sollten Sie im Umgang mit vietnamesischen Freunden oder Kollegen nicht ganz außer Acht lassen. Auch in sehr ungezwungener Atmosphäre, etwa auf Partys, könnte es Ihrem Gegenüber vom anderen Geschlecht unangenehm sein, wenn Sie vermeintlich harmlose, freundschaftlich-vertraute Gesten wie etwa Umarmungen, Schulterklopfen, Hand auf die Schulter oder Berührungen der Hand oder am Arm verteilen. Insbesondere in der Öffentlichkeit rücken Sie Ihre vietnamesischen Bekannten damit möglicherweise unwissentlich in ein falsches Licht.
Umso mehr gehören Berührungen zwischen Frauen sowie von Mann zu Mann in Vietnam zum Alltag: Befreundete Frauen haken sich auf der Straße beim Gehen häufig unter, berühren einander beim Reden am Arm, und auch Ausländerinnen werden von Frauen oft sehr ungezwungen berührt. Eine amerikanische Bekannte in Hanoi zum Beispiel wird von der vietnamesischen Haushaltshilfe regelmäßig am Po getätschelt. Auch unter Männern kommt es in Vietnam weit häufiger als bei uns in der Öffentlichkeit zu zärtlichen Berührungen – sie halten sich gerne mal brüderlich umschlungen.