Fettnäpfchenführer Thailand. Daniel MullerЧитать онлайн книгу.
Sie schon entschieden, ob Sie mich zur Vorstellung meines Sohnes bei einem möglichen Arbeitgeber begleiten können?«
Da geht Martin endgültig die Hutschnur hoch: »Aber doch nicht jetzt! Wir haben im Moment Wichtigeres zu besprechen als Ihre Privatangelegenheiten. Außerdem bin ich doch nicht Ihr Kindermädchen!«
Nun ist die Stimmung endgültig auf den Gefrierpunkt gesunken. Sogar der gewitzten Pantisa hat es vorübergehend die Sprache verschlagen. Seine Mitarbeiter scheinen ja so dermaßen durch den Wind zu sein, da machen weitere Erörterungen einfach keinen Sinn. Martin vertagt die Besprechung. Ratlos sitzt er in seinem Büro und zerbricht sich den Kopf darüber, warum diese erste Runde derart katastrophal gelaufen ist.
Was ist da schiefgelaufen?
Kulturelle Eigenheiten schlagen sich in allen Lebensbereichen nieder. Da stellt auch und gerade die Arbeitswelt keinen Sonderfall dar, in der es bekanntlich besonders reglementiert zugeht. Hinzu kommt, dass man sich hier nicht einfach umdrehen und seines Weges gehen kann. Diese Einschätzung ist zwar spontan einleuchtend. Dennoch müssen die entsprechenden Verhaltensweisen in der Praxis erst mühsam erlernt werden. Anfängliche Missverständnisse lassen sich da kaum vermeiden.
Die größte Herausforderung für eine Führungskraft in Thailand liegt darin, den kniffligen Anforderungen, die sich aus den hierarchischen Beziehungsgeflechten ergeben, gerecht zu werden. Dies gilt sowohl für das Bedürfnis nach glasklaren Ansagen als auch für die Erwartung der Untergebenen nach fürsorglichem Schutz. Mit dieser Doppelerwartung hat Martin, der flache Hierarchien gewohnt ist, seine liebe Not.
Thais schätzen es gemeinhin, eine Rolle zugewiesen zu bekommen, bei der sie präzise wissen, was sie zu tun und zu lassen haben. Und wenn sie eines garantiert nicht mögen, dann unklare Stellenbeschreibungen. Auch bei der Übernahme von verantwortungsvollen Aufgaben stehen sie – so viel Klischee muss sein – nicht unbedingt Schlange. Diese Haltung lässt sich gut mit der Redewendung »faa suung pen din tam« umschreiben, übersetzt: »Himmel oben, Erde unten«, was sinngemäß bedeutet, dass man die Dinge dort lassen sollte, wo sie hingehören. Dies gilt nicht zuletzt auch für die einzelnen Gesellschaftsschichten. Zugleich wird erwartet, dass die nahezu bedingungslose Unterordnung mit einer umfassenden Protektion von oben vergolten wird. Insofern hat Martin einen klaren Tabubruch begangen, als er Herrn Tammawong vor versammelter Mannschaft offen kritisiert hat.
Dies kann sich gleich in zweifacher Weise als kontraproduktiv erweisen: Zum einen wird sich nach einem solchen Affront die Arbeitsleistung des Mitarbeiters mit großer Sicherheit nicht verbessern. Zum anderen kann der erlittene Gesichtsverlust den Mitarbeiter derart mitnehmen, dass er seinem Chef langfristig sehr unfreundlich gesonnen ist. Da manche Thais unter der beherrschten Oberfläche ein leicht entzündliches Gemüt haben, sind Kurzschlussreaktionen nicht auszuschließen.
Auch in puncto Arbeitsmoral ticken die Uhren in Thailand selbst in Zeiten der Globalisierung anders. In Umkehrung des teutonischen Dogmas »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen« müsste es dort heißen: Ohne ein Minimum an Vergnügen ist überhaupt keine vernünftige Arbeit möglich! Nicht sehr clever wäre jedenfalls der Versuch, »deutsche Verhältnisse« herstellen zu wollen. Denn dieser wird aller Voraussicht nach gerade nicht zu einer Steigerung der Produktivität führen. Wahrscheinlicher ist stattdessen eine schleichende Demotivierung der Mitarbeiter. Mit alemannischen Gründlichkeitsidealen gewinnt man in Thailand keinen Blumentopf. Es bleibt dabei: Thais brauchen ihre tägliche Dosis Spaß wie die Luft zum Atmen – und entspannt währt am längsten.
Wie geht es entspannter?
Zunächst sollte sich jeder, der in Thailand geschäftlich aktiv werden will, bewusst machen, dass hier der äußere Eindruck eine sehr maßgebliche Rolle spielt. Thais unterliegen einem hohen sozialen Druck, sich nach außen hin als wohlhabender zu präsentieren, als sie es in Wirklichkeit sind. Understatement gilt mithin nicht als Tugend, sondern führt zu unnötigen Missverständnissen. Für den Ausländer, der das Handicap seines Standes außerhalb der Thai-Gesellschaft wettmachen muss, kann es also nicht schaden, hier ausnahmsweise ein wenig auf den Putz zu hauen. Dies gilt insbesondere im Kontakt mit potenziellen Geschäftspartnern. In einer Luxuskarosse vorzufahren, ist da keine schlechte Idee. Beispielsweise einen Stern auf der Motorhaube zu haben, kommt in Thailand immer gut an.
In Bezug auf seine Mitarbeiter ist es für Martin trotz seines mittleren Alters angeraten, in die Rolle eines strengen, aber treu sorgenden Familienoberhauptes zu schlüpfen. Mit all den daraus folgenden Obliegenheiten. Das bedeutet zum einen, eine klare Distanz gegenüber den Untergebenen zu halten. Für den Wachmann hätte in diesem Sinne ein dezentes Zunicken völlig gereicht. Zum anderen muss der Chef aber zugleich ein offenes Ohr für die Anliegen seiner Untergebenen haben.
Martin hätte also zumindest eine generelle Aufgeschlossenheit für die Probleme seines Mitarbeiters zeigen sollen. Ob er ihm tatsächlich helfen kann, steht auf einem anderen Blatt. Was hier primär zählt, ist der gute Wille. Ein harsches und vor allem öffentliches Maßregeln eines Mitarbeiters ist dagegen nicht nur für den Betroffenen selbst unerträglich. Es ist ein regelrechter Anschlag auf die Gruppenharmonie. Sie erinnern sich? Konsens und Gelassenheit sind die tragenden Säulen der thailändischen Gesellschaft. Gerade als Vorgesetzter ist es das A und O, in absolut jeder Situation die Fassung zu bewahren. Eine vernünftige Reaktion hätte so ausgesehen, dass Martin Herrn Tammawong unter vier Augen und mittels unmissverständlicher Instruktionen die Möglichkeit einräumt, sein Versäumnis nachzuholen. In Thailand ist es manchmal erforderlich, Aufträge mehrmals zu erteilen. Nach einer angemessenen Frist werden diese dann normalerweise in einer ordentlichen Qualität erledigt. Diesen Vorlauf gilt es einzukalkulieren.
Das gesteigerte Harmoniebedürfnis der Thais kann aber auch ein Ansatzpunkt zur Verbesserung der Arbeitsleistung sein. Immer wieder mal ein geschickt platziertes Lob oder eine gut vernehmbare Anerkennung auszusprechen, kann als Motivationshilfe Wunder wirken. Und sollte der farang-Chef in seiner grenzenlosen Unwissenheit dennoch einmal die Harmoniebalance aus den Angeln gehoben haben, so hilft es, einen netten Betriebsausflug oder einen ausgiebigen Restaurantbesuch zu veranstalten. Denn das ist in jedem Fall sanuk und hilft dabei, ein Wir-Gefühl herzustellen, das die Thais über alle Maßen schätzen.
TIGERWIRTSCHAFT – VIEL MEHR ALS REIS UND STRÄNDE
Thailand hat seit den 1970er-Jahren einen imposanten ökonomischen Aufstieg erlebt. Dabei hat sich das Land schrittweise von einem Agrarland zu einem industrialisierten Schwellenland gemausert. Thailands Außenwahrnehmung, die noch stark vom Bild eines attraktiven Ferienziels geprägt ist, hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. So ist die Überraschung meist groß, wenn etwa bekannt wird, dass Thailand 2017 auf Rang 12 der weltweit größten Standorte zur Automobilherstellung stand. Um diese Erfolgsgeschichte fortschreiben zu können, soll künftig die Elektromobilität gezielt gefördert werden. 2018 lag das Jahreseinkommen pro Kopf bei umgerechnet rund 7.200 US-Dollar. Bis 2020 soll es weiter auf 8.500 US-Dollar ansteigen. Damit steht Thailand bei den Einkommen in Südostasien hinter Singapur, Brunei und Malaysia an vierter Stelle.
Anders als die meisten asiatischen Staaten, die sich zumindest grob an den Wirtschaftsmodellen der früheren kolonialen Herrscher orientieren konnten, musste Thailand seinen eigenen Entwicklungsweg finden. Schon in den 1950er-Jahren zeigte sich das Land offen für Investitionen aus dem Ausland, wobei man speziell von Ansiedlungen japanischer Konzerne wie Toyota und Mitsubishi profitierte. Dabei setzte Thailand von Anfang an stark auf Exporte: Wurden zuerst Nahrungsmittel und Rohstoffe ausgeführt, kamen später Textilien, Konsumgüter und Elektronik hinzu. Der Sprung zum Tigerstaat gelang in den 1990er-Jahren noch nicht, weil das wirtschaftspolitische Umfeld mit der Entwicklung nicht Schritt gehalten hatte und exzessiv ungesicherte Kredite an »Freundesfreunde« vergeben wurden.
1997 war Thailand Ausgangspunkt der Asienkrise, die das Land herb getroffen hat. Ab der Jahrtausendwende konnte dann wieder an alte Erfolge angeknüpft werden. Unter Premier Thaksin Shinawatra spielte der Staat eine aktivere Rolle im Wirtschaftsgeschehen (Thaksinomics), und es wurde ein stärkeres Augenmerk