Euroskeptizismus auf dem Vormarsch. Julian WessendorfЧитать онлайн книгу.
gegeben, um die in der Analyse untersuchten Parteien im Anschluss den jeweiligen Ausprägungen entsprechend zuordnen zu können.
2.1 Was ist Euroskeptizismus?
Der Euroskeptizismus ist kein unbekanntes oder neuaufgetretenes Phänomen. Die französische Politikwissenschaftlerin Cécile Leconte (2010: 3) weist darauf hin, dass bereits Mitte der 1960er Jahre, während Charles de Gaulle Präsident Frankreichs war, der Begriff Eurocrat in französische Wörterbücher aufgenommen wurde und schon damals den Unterschied zwischen der europäischen Elite und den durchschnittlichen BürgerInnen Europas klar hervorhob. Nichtsdestotrotz bemerkt sie auch, dass der Begriff zwar nicht synonym zu Euroskeptizismus verwendet werden kann, die Aufnahme des Begriffs in das französische Wörterbuch jedoch belege, dass bereits in den Anfängen der EU einige Grundideen des euroskeptischen Diskurses vorhanden waren (ebd.). Später verwendeten vor allem britische Medien den Begriff in Zusammenhang mit explizit britischem Euroskeptizismus und bezeichneten im Zuge dessen auch die ehemaligen Premierminister Winston Churchill (1940-1945 und 1951-1955), Harold Wilson (1964-1970 und 1974-1976) und Margaret Thatcher (1979-1990) allesamt als Euroskeptiker bzw. Euroskeptikerin, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Churchill (1946) war der Meinung, dass sich vor allem Kontinentaleuropa zu einem Staatenverbund zusammenschließen sollte, während er Großbritannien explizit außerhalb einer solchen Konstellation sah. Wilson (1974) hingegen war zwar ein grundsätzlicher Befürworter der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), versprach aber im Zuge seiner Wahlkampagne 1974 eine Neuverhandlung der Mitgliedsverträge Großbritanniens und stimmte einem Referendum zum Verbleib in der EWG zu, welches schließlich 1975 stattfand. Auch Thatcher (1988) hob immer wieder hervor, wie wichtig die Wahrung nationaler Interessen sei, da Europa nur unter dieser Prämisse funktionieren könne. In einer Rede zur Zukunft Europas am College of Europe in Brügge betonte sie diesbezüglich, es sei am besten, eine aktive Kooperation zwischen den unabhängigen und souveränen Mitgliedstaaten der Union aufrechtzuerhalten und zu pflegen, um eine erfolgreiche europäische Gemeinschaft aufzubauen. Sie unterstrich vor allem, dass es schädlich sei, die „nationhood“ zu unterdrücken und Europa entsprechend stärker wäre, wenn „France as France, Spain as Spain, Britain as Britain, each with its own customs, traditions and identity“ (Thatcher 1988) fortbestünde. Dennoch merkte sie an, dass es ihr besonders wichtig sei, ein geeinigtes Europa zu schaffen, welches ein gemeinsames Ziel verfolgte, auch wenn sie an dieser Stelle erneut darauf hinwies, dass dies nur bei ausreichendem Schutz nationaler Traditionen, politischer Machtverhältnisse und des jeweiligen Nationalstolzes der unterschiedlichen Länder möglich sei. Im Laufe ihrer Amtszeit gelang es ihr, in zahlreichen Punkten vorteilhafte Sonderregelungen für Großbritannien – wie bspw. den sog. Britenrabatt – auszuhandeln, die anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht eingeräumt wurden.
Bei Aufkommen des Terminus Euroskeptizismus wurde dieser in Großbritannien zunächst vornehmlich synonym zu dem Begriff „anti-marketeer“ verwendet. Als „anti-marketeer“ bezeichnete man diejenigen Personen, die grundsätzlich gegen den Beitritt Großbritanniens zum Europäischen Binnenmarkt waren und diese Position auch nach dem britischen Referendum 1975 weiterhin beibehielten. Mit der Zeit entwickelte sich die Verwendung des Terminus Euroskeptizismus aber immer mehr zu einem generischen Sammelbegriff britischer Zweifel in Bezug auf Europa (vgl. Spiering 2004: 128). Später öffnete sich der Begriff etwas und fasste von nun an verschiedenste kritische Haltungen gegenüber der Europäischen Integration im Allgemeinen und der EU im Speziellen zusammen. Harmsen und Spiering (2004: 13) gingen sogar noch einen Schritt weiter und sprachen von einem eindeutig britischen Phänomen, dass dazu beitragen sollte, „a sense of the country’s ‚awkwardness‘ or ‚otherness‘ in relation to a Continental European project of political and economic integration“ hervorzuheben. Beschränkte sich die Euroskeptizismusforschung zu Beginn noch vornehmlich auf die westeuropäischen Staaten (u. a. Taggert 1998), so öffnete sich die Debatte mit der ersten Osterweiterung 2004 auch für die Staaten aus Mittel- und Osteuropa (u. a. Hooghe & Marks 2007; Szczerbiak & Taggert 2008).
2.1.1 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Euroskeptizismus und der aktuelle Forschungsstand
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema des Euroskep-tizismus wurde hauptsächlich von der Öffnung des Begriffs und seiner Erweiterung auf ganz Europa vorangetrieben. Die Diskussion erfuhr aber auch durch verschiedenste politische Entwicklungen in den 1990er Jahren zusätzliche Aufmerksamkeit, wie bspw. die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) oder des Vertrags von Maastricht (1992). In dieser Zeit wurden vor allem zwei Ebenen des Euroskeptizismus wissenschaftlich untersucht: parteibasierter Euroskeptizismus und Masseneuroskeptizismus.1 Szczerbiak und Taggert (2003: 6) bemerken hierzu, dass die alleinige Verwendung des Sammelbegriffs Euroskeptizismus zur Beschreibung und Analyse der Auswirkung der Europäischen Integration auf Innenpolitik und Parteiensysteme vor allem dann Schwierigkeiten hervorbringe, wenn versucht würde, das Phänomen des Euroskeptizismus vergleichend – und hierbei im Speziellen – pan-europäisch zu untersuchen.
Aus diesem Grund versuchte der britische Politikwissenschaftler Paul Taggert (1998) eine allgemeine Definition des Euroskeptizismus, welche vor allem für den politischen Diskurs verwendbar sein sollte und eine präzisiere Differenzierung erlaubte. In diesem Zusammenhang unterteilte er den Euroskeptizismus zunächst in drei verschiedene Arten, die sich mit der Einstellung zur EU erklären lassen. In der ersten Kategorie definiert er den Euroskeptizismus im Sinne eines vollständigen Widerstandes gegen die europäische Integration und damit auch gegen die EU an sich (Taggert 1998: 365). Während diese Kategorie eine klar ablehnende Haltung gegenüber der EU impliziert, ist die Unterscheidung der anderen beiden Charakterisierungen nicht so eindeutig. Beide richten sich nicht prinzipiell gegen die europäische Integration, stehen jedoch der Annahme skeptisch gegenüberstehen, die EU verfolge die beste Art der Integration. Kategorie 2 argumentiert, die EU sei zu inklusiv und versuche Dinge zusammenzuführen, die zu unterschiedlich sind. Taggert (1998: 366) fasst hierunter diejenigen SkeptikerInnen zusammen, die der Meinung sind, die Rechte der einzelnen Staaten würden eingeschränkt werden und eine europäische Integration würde zwangsläufig große Migrationsströme mit sich ziehen. Typus 3 hingegen argumentiert, die EU sei sowohl auf geografischer als auch auf sozialer Ebene zu exklusiv. Hier bezieht sich Taggert vor allem auf diejenigen KritikerInnen, die bspw. meinen, die EU sollte auch außereuropäische Länder aufnehmen oder sie würde die Interessen der internationalen Arbeiterklasse übergehen. Zusammenfassend stellt Taggert (1998: 366) fest, dass Euroskeptizismus „the idea of contingent or qualified opposition, as well as incorporating outright and unqualified opposition to the process of European integration” ausdrückt. Nur kurze Zeit später konkretisierten Taggert und Szczerbiak Taggerts ursprüngliche Definition des Euroskeptizismus und führten die Unterscheidung zwischen weichem und hartem Euroskeptizismus ein, um vor allem den Grad der Ablehnung der europäischen Integration in der Definition deutlicher zu differenzieren. Demnach sehen sie im harten Euroskeptizismus einen generellen Widerspruch zur Europäischen Integration, der per definitionem die Forderung nach dem EU-Austritt nach sich zieht (Taggert & Szczerbiak 2001: 10).2 Auf der anderen Seite bezeichnen sie es als weichen Euroskeptizismus, wenn nur ein anteiliger Widerspruch gegen die Europäische Integration und die Mitgliedschaft in der EU besteht, die VertreterInnen dieser Form des Euroskeptizismus aber nicht grundsätzlich antieuropäisch eingestellt sind (Taggert & Szczerbiak 2001: 10). Einen zusätzlichen Unterscheidungsfaktor sehen Taggert und Szczerbiak im politisch und nationalistisch motivierten Euroskeptizismus (ebd.). Während der politisch motivierte Euroskeptizismus vor allem eine oppositionelle Haltung gegenüber vereinzelter politischer Themenfelder oder Verfahrensweisen darstellt, die je nach Aktualität oder individuellen Neigungen variieren können, bezeichnet der nationalistisch motivierte Euroskeptizismus das vehemente Eintreten für nationale Interessen auf europäischer Ebene. Bei dieser Unterteilung ist jedoch zu beachten, dass sich beide Formen des Euroskeptizismus nicht gegenseitig ausschließen müssen und es vereinzelt zu Überschneidungen kommen kann.
Vor allem am Begriff des weichen Euroskeptizismus kritisiert