Euroskeptizismus auf dem Vormarsch. Julian WessendorfЧитать онлайн книгу.
und dementsprechend fast jede kritische Haltung gegenüber der Politik der EU als weich euroskeptisch bezeichnet werden müsste.3 Auch Kopecký und Mudde (2002) kritisieren eine fehlende Präzision in der Unterscheidung der unterschiedlichen Ausprägungen des Euroskeptizismus.4 Ihre Kritik zielt vor allem auf vier Punkte ab. Wie auch Miliopoulos (2017) merken sie an, dass der Begriff des weichen Euroskeptizismus so weit gefasst sei, dass nahezu jede Nichtübereinstimmung mit einer EU-politischen Entscheidung in dieser Kategorie angesiedelt werden müsse und die Definition daher überinklusiv sei (Kopecký & Mudde 2002: 300). Zudem kritisieren sie, bereits die vermeintlich klare Unterteilung in hart und weich würde von Taggert und Szczerbiak selbst verwischt werden, da sie behaupten, der harte Euroskeptizismus könne als grundlegender Einwand gegenüber dem aktuellen Zustand der europäischen Integration in der EU identifiziert werden, was nach eigener Definition eher dem weichen Euroskeptizismus entspräche (Kopecký & Mudde 2002: 300). Der dritte Punkt ihrer Kritik zielt darauf ab, die Autoren würden sich nicht dazu äußern, weshalb es so schwierig sei, die Existenz verschiedener Arten des Euroskeptizismus zu unterscheiden, da die expliziten Kriterien, die zur Unterscheidung zwischen hart und weich verwendet wurden, unklar bleiben. Abschließend bemerken sie, eine Kategorisierung in harten und weichen Euroskeptizismus würde der Unterscheidung zwischen den Ideen der europäischen Integration und der EU als Körperschaft dieser Ideen nicht ausreichend gerecht werden. Folglich sei diese Definition des Begriff Euroskeptizismus fälschlicherweise Parteien und Ideologien zugeschrieben, die sowohl grundsätzlich pro-europäisch als auch gänzlich antieuropäisch eingestellt sein können. Dies könnte in der Folge dazu führen, dass es in parteipolitischen Systemen zu einer Über- aber auch zu einer Unterschätzung der Stärke dieses Phänomens kommt und dementsprechend entweder mehr oder weniger Euroskeptizismus erkennen lässt als tatsächlich vorhanden ist (ebd.).
Nichtsdestotrotz kritisieren Kopecký und Mudde (2002) nicht nur den Ansatz von Taggert und Szczerbiak (2001), sondern stellen gleichzeitig einen alternativen Definitionsversuch in vier unterschiedlichen Kategorisierungen vor. Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er weniger inklusiv ist, sondern insgesamt präziser, weil er Euroskeptizismus in den Kontext anderer (Partei-) Positionen innerhalb Europas setzt. Hierbei berufen sie sich, wie zahlreiche andere WissenschaftlerInnen, die gängige Definitionen des Euroskeptizismus hervorgebracht haben (vgl. u. a. Krouwel & Abts 2007; Weßels 2009), auf einstellungstheoretische Ansätze, die auf David Eastons Konzept der politischen Unterstützung (1965) basieren. In seinem Konzept unterteilte Easton (1965: 273) die politische Unterstützung in eine spezifische Unterstützung, die sich durch Kurzfristigkeit auszeichnet, sich an Resultaten orientiert und leistungsbezogen evaluiert wird, und eine diffuse, die eine grundsätzliche Loyalität gegenüber dem System mitbringt und langfristig gesehen an ein Gelingen glaubt. In der EU würde dies bedeuten, dass eine spezifische Unterstützung der Bevölerung immer den aktuellen Zustand der EU misst und im Zweifelsfall die Effektivität und die demografische Legitimität der institutionellen Prozesse und derzeitigen AkteurInnen in Frage stellt. Im Gegensatz hierzu steht die diffuse Unterstützung, deren VertreterInnen zwar ebenfalls negative Entwicklungen wahrnehmen, jedoch die grundsätzlichen Ideen der europäischen Integration miteinbeziehen und an ein letztliches Gelingen der EU glauben. Miliopoulos (2017: 61) merkt diesbezüglich an, dass sich diese Form der Unterstützung „im Falle der EU nicht wie bei klassischen Nationalstaaten auf eine sprachlich-kulturell und historisch konnotierte politische Gesellschaft [bezieht], […] sondern stärker auf abstrakte Ideen und Werte, auf die sich die EU als Staatenverbund sui generis gründet“. Eine weitere Unterteilung stellen die beiden Dimensionen dar, die Kopecký und Mudde (2002: 301) einführen, um die Unterstützung für die europäische Integration im Allgemeinen und den Skeptizismus im Besonderen zu betrachten. In diesem Zusammenhang unterscheiden sie zunächst zwischen europhil und europhob. Demnach glauben europhile UnterstützerInnen an die Grundideen der europäischen Integration und befürworten die Idee einer institutionalisierten Zusammenarbeit auf der Grundlage einer zusammengelegten Souveränität (als politisches Element) und einer integrierten freien Marktwirtschaft (als wirtschaftliches Element) unabhängig davon, wie die europäische Integration definiert oder durchgeführt wird. Europhobe UnterstützerInnentreten den allgemeinen Ideen der europäischen Integration entgegen oder unterstützen diese grundsätzlich nicht. Kopecký und Mudde (2002: 301) erklären hierzu, dass dies auf nationalistische, sozialistische oder isolationistische Einstellungen zurückzuführen sei oder aber daran liege, dass diese Art der UnterstützerInnen schlichtweg glaubte, die europäische Integration sei aufgrund der Vielfalt und der daraus resultierenden Unvereinbarkeit der europäischen Staaten unmöglich. Zusätzlich unterscheiden sie zwischen EU-OptimistInnen („EU-optimists“, Kopecký & Mudde 2002: 302) und EU-PessimistInnen („EU-pessimists“, ebd.). Demnach sind EU-optimistisch eingestellte Personen mit dem aktuellen Zustand der EU zufrieden und sehen auch der Entwicklung der EU grundsätzlich positiv entgegen, was auch von kritischen Haltungen gegenüber einzelnen Entscheidungen der EU nicht geschmälert wird. Im Gegensatz hierzu unterstützen EU-PessimistInnen die EU in ihrer aktuellen Form nicht oder sind mit ihrer Entwicklung unzufrieden. Auch hier ist festzuhalten, dass EU-PessimistInnen die Mitgliedschaft in der EU nicht automatisch ablehnen, sondern lediglich der Meinung sind, dass sich der aktuelle Zustand der EU und ihre Grundidee nicht decken und eine starke Abweichung von den grundlegenden Vorstellungen der europäischen Integration erkennbar ist (Kopecký & Mudde 2002: 302). Aus den Unterteilungen europhil/ europhob und EU-OptimistIn/ EU-PessimistIn leiten Kopecký und Mudde (2002: 302f.) die folgenden vier idealtypischen Kategorien der Parteipositionierung in der EU ab:
1 EuroenthusiastInnen (europhile EU-OptimistInnen, euroenthusiasts), die die generellen Ideen der europäischen Integration unterstützen und an eine positive Entwicklung der EU glauben,
2 EuroskeptikerInnen (europhile EU-PessimistInnen, eurosceptics), die zwar die generelle Idee der EU unterstützen, den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen der EU aber pessimistisch gegenüberstehen,
3 EuropragmatikerInnen (europhobe EU-OptimistInnen, europragmatics), die den der EU zugrundeliegenden Ideen der europäischen Integration ablehnend gegenüberstehen, die EU in ihrer aktuellen Form jedoch unterstützen, und
4 EurogegnerInnen (europhobe EU-PessimistInnen, eurorejects), die sich weder den grundlegenden Ideen der europäischen Integration noch der EU verschreiben.
Im Vergleich zum zweistufigen Modell von Taggert und Szczerbiak (2001) weisen die idealtypischen Kategorien von Kopecký und Mudde vor allem zwei Vorteile auf. Zum einen heben sie die grundlegenden Merkmale des Euroskeptizismus wie die Ablehnung des Leitgedanken der europäischen Integration und die Opposition zu vereinzelten Politiken der EU deutlicher und differenzierter hervor und zum anderen schließen sie nicht nur vollständig ablehnende Haltungen sondern auch befürwortende Sichtweisen auf die europäische Integration in ihre Überlegungen mit ein und vermeiden so, dass es wie im Falle des weichen Euroskeptizismus zu einer zu geringen bzw. zu starken Differenzierung des Euroskeptizismus kommt. Dennoch ist anzumerken, dass auch dieses Modell Probleme in der Kategorisierung aufwirft. Henderson (2008: 118) argumentiert beispielsweise, dass es schwer wäre, „a party flexible enough to embrace EU membership for strategic reasons“ auszumachen und somit die Kategorie der EuropragmatikerInnen – zumindest auf der Parteiebene – überhaupt nicht existiere. Mudde (2007: 162) hingegen führt als europragmatische Partei im Sinne dieser Definition die rumänische PRM (‚Großrumänien-Partei‘, Partidul România Mare) auf, die in den 1990er Jahren der Meinung war, Ungarn würde mit Hilfe der EU versuchen, Transsilvanien zurückzugewinnen. Um dem vorzubeugen, sprach sich die PRM aus strategischen Gründen für einen Beitritt Rumäniens zur EU aus, obwohl sie den grundlegenden Ideen der EU ablehnend gegenüberstand.
Im Jahr 2015 führte die griechische Politikwissenschaftlerin Sofia Vasilopoulou eine Meta-Analyse von Zeitungsartikeln zu Euroskeptizismus durch, um einen Trend in der Euroskeptizismusforschung ausmachen zu können. Hierzu untersuchte sie zunächst 28 Zeitschriftenartikel, die zwischen 1998 und 2013 veröffentlicht wurden und in einem zweiten Schritt 26 Artikel aus dem Jahr 2014. Während im ersten Schritt einige Voraussetzungen in Bezug auf die Relevanz der Artikel für die Forschung vorgegeben waren – die jeweiligen Artikel mussten