Reisen unter Osmanen und Griechen. David UrquhartЧитать онлайн книгу.
kann die ganze Höhe der Umwallung vom Boden des Grabens aufwärts nirgends über zwölf Fuß sein. Ich spreche nach dem Augenmaß und dem Gedächtnis, aber ich denke, ich habe eher zuviel angegeben als zuwenig.
Die Türken zogen drei Parallelen rund um die Stadt, die nächste etwa vier oder fünf Yards vom Graben, mit zahllosen Zickzacks. Diese, nebst den Breschebatterien und den entfernteren Linien zum Schutze der verschiedenen Lager, haben die ganze Ebene auf eine höchst merkwürdige Weise durchfurcht. Die Tatsache, daß Messolonghi endlich nur durch Hunger bezwungen wurde, ungeachtet der so regelrecht geführten Belagerung, die Unbedeutendheit der Verteidigungsmittel und die Menge der Angreifer rechtfertigt oder entschuldigt wenigstens die Eitelkeit der tapferen Verteidiger.
Das Erdreich ist zu lauter Höhlungen geworden und aufgeworfen durch das Zerspringen der Granaten und das Einschlagen der Kugeln. Der Boden ist ein Gemisch von Erde und Eisen, Splittern von Granaten und Kugeln, die gleich Steinen drinstecken, und innerhalb und außerhalb der Stadt liegen die bleichenden Gebeine und Schädel von Menschen und Pferden zerstreut.
Man hatte gerade die Schädel der Griechen gesammelt, die sich von denen der Türken durch die Stellung unterschieden, in der sie lagen. Besondere Verehrung wurde denen erzeigt, welche auf dem Weg lagen, den der Überrest der Besatzung bei dem letzten und verzweifelten Ausfall genommen hatte, wobei es nur wenigen gelang, sich durchzuschlagen. Ich nahm aus dem Haufen einen schön geformten Schädel, der die Spuren von vier Wunden an sich trug. Er war an der Stirn von einer Pistolenkugel gestreift, hinten rechts, waren zwei Säbelhiebe eingedrungen, aber nicht durchgedrungen; über dem linken Auge klaffte eine tiefe Spalte, Wunden die wohl bei dem versuchten Durchschlagen gefallen waren. Dieser Schädel war lange mein trauriger Gefährte.
Die Besatzung wohnte in Erdhöhlen dicht unter den Wällen, wurde aber durch das von allen Punkten kreuzende türkische Feuer arg mitgenommen. Jede Spur eines Gebäudes, von dem, was sonst die Stadt ausmachte, war verschwunden, bis auf die Trümmer einiger steinernen Häuser nahe der Bucht. Im Verhältnis zu der Ausdehnung des Umkreises fielen die meisten Granaten in den Mittelpunkt und wurden von den Türken so hoch geworfen, daß sie sehr tief in die Erde drangen und so, unter der Oberfläche zerspringend, wenig Schaden taten. Zweihundert Häuser waren jetzt schnell wieder aufgebaut oder hergestellt; ein kleiner Basar sah schon ganz hübsch aus und die Kaffeehäuser füllten sich mit Müßiggängern, die Billard spielten und Eis aßen. Wir waren bei dem Rasieren des Bräutigams und der Toilette der Braut, des ersten Brautpaares seit der Zerstörung und Widerherstellung der Stadt.
Wir plauderten lange mit dem Vater der Braut, der sie allein von einer zahlreichen Familie gerettet hatte. Ihre vergangenen Leiden schienen vergessen in der glücklichen Gegenwart. Ganz unmöglich kann ich das alle Stände durchdringende Jubelgefühl beschreiben; es war eine Wiederholung dessen, was ich ein Jahr vorher in Morea erlebt hatte: Kein Verschmachten mehr, keine Schrecken, keine eilige Flucht oder ängstliche Erwartung, keine abgezehrten Gestalten und gräßlichen Blicke, keine gebrochenen Herzen und zerrissene Kleider mehr, sondern statt dessen Kraft und Gesundheit, Friede, Hülle und Freude, festliche Kleider und lustige Töne. Freilich gehörten zu diesen fröhlichen Leuten nicht die Angehörigen der vom Protokoll betroffenen Ortschaften.
Wir verließen Messolonghi mit Bedauern und wurden bis an das Tor von einem Teil der Familie des Marki geleitet, eines alten Anführers, der vor Jahren eine Art von Unabhängigkeit auf den Echinaden behauptete, als legitimer Nachfolger des Königs, der bei der Belagerung Trojas dreißig Schiffe befehligte. Er war einer der Hauptverteidiger von Messolon -ghi; seine Frau und Töchter hatten die Weiberhaufen angeführt, die so wacker während der Nächte an den Festungswerken arbeiteten; bei Tage zu arbeiten verbot ihnen die morgenländische Sitte. Als wir in die Ebene kamen, wurden wir unaufhörlich durch die mit Wasser und Schlamm angefüllten Gräben, Zickzacke und Einschnitte gehemmt. Nicht ohne Verlust und Schaden, und nach einer mehrstündigen Mühseligkeit erreichten wir den Fuß des Hügels, auf dem die Ruinen stehen, die man „Kyria Iríni“ nennt, zwischen zwei und drei Meilen von Messolonghi. Wir hielten diese Trümmer nach ihrem Stil, ihrer Ausdehnung und Lage für Neu-Pleurona; der Hügel, auf dem sie liegen, ein Teil von Zygos, ist eine Fortsetzung des Kallidromos. Von seinem Gipfel hatten wir eine schöne und weite Aussicht auf die unmittelbar unter uns liegende Ebene von Messolonghi und auf die Küste von dem herrlichen Berge Chalkis bis an die Echinaden, die Lagunen und die Vivaria (Fischteiche), die von der See abgeschnitten und durch lange gerade Linien voneinander getrennt waren. Rechts seitwärts liegt das venezianische Anatolikó, gleich einer Lotusblume auf seinem kleinen Golf schwimmend. Meerabwärts entrollt die Ebene ihre reiche Anschwemmung vom Achelous und Evenus, bietet jetzt aber wenig mehr dar, um Almatheas Wahl Ehre zu machen, obgleich jetzt ein fetterer Segen als das Zentaurenblut die kalydonischen Gefilde befruchtet und der Achelous mit seinen „fetten Wellen“ neue Inseln angesammelt hat. Schon Strabo erzählt uns, Römer in Patras hätten die Fischteiche gepachtet, aber sie müssen jetzt viel größer und reicher sein als früher, und sind so erstaunlich voll, daß sie ganz lebendig scheinen. Ich hörte einen Ausdruck auf sie anwenden, von dem ich mich erinnere, daß die Ungarn ihn gebrauchen, wenn sie von ihrer Theiß reden: „Sie riechen nach Fischen.“ So ist also die Fruchtbarkeit der Erde durch die Ergiebigkeit der See ersetzt; Neptun ist auf das Land gelockt, um Behälter für die Flossenträger zu bilden, statt wie sonst überall ausgeschlossen zu werden, um Ceres’ Ähren Platz zu machen, und Amaltheas Horn muß, will man den Reichtum ihrer Lieblingsebene andeuten, jetzt ihre goldenen Garben und purpurnen Früchte mit Tonnen gesalzener Fische und Fäßchen geräucherten Rogens vertauschen.
Der Schauplatz vor uns aber, der sich von den Curzolero-Felsen oder Echinaden bis an die gegenüberliegende Küste von Morea erstreckt, hat noch ein anderweitiges Interesse. Hier wurde nämlich eine der größten Seeschlachten gefochten, die von größerem und dauernderem Einfluß auf Europas Verhältnisse gewesen, als irgend ein anderes Seegefecht von der Schlacht bei Actium an bis zu der von Trafalgar. Am 7. Oktober 1571, dicht an der Küste, die nun schweigend zu unseren Füßen ruht und auf den Gewässern, die jetzt so ruhig sind wie ein Landsee und nur von einem Segel befahren werden, waren fünfhundert Galeeren im tödlichen Kampf begriffen; zehn Meilen weit war das Wasser mit einer Masse menschlicher Wesen dick bedeckt, die Wut atmeten und Tod verbreiteten, die wilde Furie des alten Kriegs und der alten Waffen mit den erhabenen Schrecken des neuen Geschützes verbindend. Als die Sonne niedersank über diesem grausen Gemetzel, lagen 250 Schiffswracke regungslos auf den Wellen, gerötet vom Herzblut von 35 000 Menschen. Das war das Bild, welches die denkwürdige Schlacht von Lepanto darbot, von der Cervantes im hohen Alter sagte, die Erinnerung daran sei ihm lieber als der rechte Arm, den er dabei verlor.15
Die Streitkräfte der Türken und der Verbündeten (des Papstes, Spaniens und Venedigs) waren beinah ganz gleich; beide Teile waren gleich kampfbegierig, gleich siegvertrauend; auf beiden Seiten flößten ausgezeichnete Heerführer Vertrauen ein, erregten Nacheiferung, sicherten die kriegser fahrene Führung und verhießen einen verzweifelten Kampf. Die Türken östlich von Messolonghi, die venezianische Flotte segelte die Küste von Akarnanien herab, und als sie zwischen den Curzolero-Inseln durchfuhr, kam sie unerwartet dem Feind zu Gesicht. Die erste Abteilung der Verbündeten unter Doria16 ging soweit seewärts, daß das Zentrum und das Hintertreffen aussegeln und eine gerade Schlachtlinie bilden konnten; diese erstreckte sich vier Meilen weit, zwischen je zwei Schiffen war immer eine Schiffslänge freigeblieben.
„Sobald man die Ungläubigen bemerkte“, sagt Contarinis lebhafte Erzählung17, „erscholl die frohe Nachricht von Schiff zu Schiff. Dann begannen die Christen in der Freude ihrer Herzen die Verdecke zu räumen, Waffen überall zu verteilen, wo es not tat und sich selbst zu rüsten, je nach ihrer Art und Weise, einige mit Hakenbüchsen und Hellebarden, andere mit eisernen Kolben, Piken, Schwertern und Dolchen. Kein Schiff hatte weniger als zweihundert Soldaten an Bord; auf den Flaggschiffen waren drei oder vierhundert. Mittlerweile luden die Büchsenmeister ihr Geschütz mit viereckigen, runden und Kettenkugeln und rüsteten ihr Ernstfeuerwerk18 mit den Töpfen, Granaten, Kugelnetzen und anderen zum Abfeuern nötigen Dingen. Jedes Schiff war wie zu einem Fest- und Freudentag mit Flaggen, Wimpeln, Fähnchen, Panieren und Fahnen geschmückt; die Trommeln, Trompeten, Pfeifen und Hörner ertönten; ein allgemeiner Freudenruf erscholl durch die Armada, und jeder einzelne betete für sich zur heiligen Dreieinigkeit und zur gebenedeiten