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Der Erste Weltkrieg. Daniel Marc SegesserЧитать онлайн книгу.

Der Erste Weltkrieg - Daniel Marc Segesser


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      Auch wenn im 19. Jahrhundert der Prozess, der zur Schaffung einer Weltgesellschaft führte, beschleunigt wurde, so muss doch festgehalten werden, dass diese Entwicklung damals zu großen Teilen von europäischen Mächten bestimmt wurde. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, dass der Auslöser des Ersten Weltkrieges in Europa lag und die europäischen Mächte die ersten waren, die in diesen Krieg verwickelt wurden. Da dieser aber global wurde, soll im Folgenden auch auf die Entwicklung ausgewählter Teile der außereuropäischen Welt vor 1914 eingegangen werden. Unmittelbar als erste Großmacht beteiligt war durch den Mord an Thronfolger Erzherzog Franz-Ferdinand Österreich-Ungarn, welches auch als Habsburgermonarchie bezeichnet wird. Die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Vorfeld des Ersten Weltkrieges soll daher an dieser Stelle zuerst berücksichtigt werden, bevor Analoges für die anderen führenden europäischen sowie einige wichtige außereuropäische Mächte getan werden wird.

      Im Jahre 1914 galt Österreich-Ungarn zwar immer noch als eine wichtige europäische Großmacht, mehr und mehr wurde es jedoch als Juniorpartner des Deutschen Reiches betrachtet (Fisch 2002, 99). Dies lag nicht zuletzt daran, dass das Land seit der Revolution von 1848/49 zunehmend durch die Frage des Umgangs mit den Nationalitäten im Innern bestimmt wurde. Zwar gelang es Kaiser Franz-Joseph und der um ihn gruppierten Elite aus primär deutschsprachigen Bürokraten in den Jahren nach 1848 die territoriale Integrität des Reiches mit Ausnahme der 1859 und 1866 verlorenen Gebiete in Norditalien (Lombardei, Venetien) zu erhalten und das eigene Staatsgebiet auf dem Balkan durch die Besetzung und spätere Annexion Bosnien-Herzegowinas sogar auszubauen. Nach dem Krieg von 1866 mussten sie jedoch endgültig auf die Vormachtstellung in Deutschland verzichten und einen Ausgleich mit den Eliten Ungarns akzeptieren. Dieser sah eine weitgehende Teilung des Reiches in eine cisleithanische Hälfte mit den österreichischen Erzherzogtümern, den Ländern der Wenzelskrone (Böhmen, Mähren und Restschlesien), Galizien und Lodomerien sowie Dalmatien einerseits und in eine transleithanische Hälfte mit den Ländern der Stephanskrone (Ungarn), Kroatien-Slawonien, dem Banat und Siebenbürgen vor. Mit ihrer Expansion auf dem Balkan provozierten der Kaiser und seine Bürokratie allerdings den Widerstand Russlands, welches seit dem 18. Jahrhundert danach strebte, die Kontrolle über die vom Osmanischen Reich kontrollierten Meerengen zu gewinnen. Zwar hätte durchaus die Möglichkeit eines Ausgleichs mit dem Zarenreich bestanden, ein solcher stieß aber auf den heftigen Widerstand der ungarischen Eliten, die, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass namhafte russische Truppen 1848/49 den eigenen ›Volksaufstand‹ niedergeschlagen hatten, eine solche Lösung vehement ablehnten. Die große Balkankrise von 1875-78 brachte schließlich die Entscheidung und führte 1879 zu einem wesentlich gegen Russland gerichteten Bündnis Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Reich. In der Folge konzentrierte sich die Regierung der Habsburgermonarchie darauf, die eigene Position auf dem Balkan zu konsolidieren und auszubauen, dies allerdings ohne dabei planmäßig oder konsequent vorzugehen. Das hatte sowohl innen- wie außenpolitische Gründe. Angesichts der Reduktion der Militärausgaben, die im Jahr 1910 nur 15,7 % der Staatsausgaben betrugen sowie des im Vergleich zu anderen europäischen Mächten geringen Anteils der Bevölkerung unter Waffen waren die Behörden der Habsburgermonarchie mehr und mehr auf die Unterstützung des Deutschen Reiches angewiesen. Andererseits galt es innenpolitisch auf die Interessen der Nationalitäten im Reich selbst Rücksicht zu nehmen, da viele davon auch jenseits der Grenze über Angehörige verfügten. Dies führte in den Jahren nach der Jahrhundertwende zu einer steigenden Immobilität der österreichisch-ungarischen Außenpolitik, die immer weniger in der Lage war, auf die seit einem gewaltsamen Dynastiewechsel in Serbien im Jahre 1903 verstärkte südslawische Agitation wirkungsvoll zu reagieren. Nach der Ermordung von Erzherzog Franz-Ferdinand nahm die Führung der Habsburgermonarchie deshalb das Risiko eines allgemeinen Krieges in Kauf, um ihre Handlungsfähigkeit auf dem Balkan zurückzugewinnen.

      Im Innern war die Habsburgermonarchie ethnisch wie sprachlich heterogener als fast jeder andere europäische Staat. Ausdrucksform dieser Vielfalt waren die Sprachen, zumal die Bürokratie keine offizielle Definition des Nationalitätsbegriffs oder der Volksstämme, wie damals gesagt wurde, kannte. Gemäß den Statistiken der Regierungen in Wien und Budapest veränderte sich die Zusammensetzung dieser Sprachgruppen in der Zeit zwischen 1880 und 1914 nur unwesentlich. Einzig die ungarische sowie die polnische Sprachgruppe wiesen leichte Steigerungen ihrer Zahl auf, doch machte keine davon, gemessen an der Bevölkerung des Gesamtreiches, mehr als 27 % aus. Innerhalb der jeweiligen Reichshälften kam die deutsche Sprachgruppe als größte auf einen Anteil von um die 35 % in Cisleithanien, während die ungarische in Transleithanien zwischen 1880 und 1910 von 41,2 % auf 48,1 % stieg und damit knapp die Hälfte der Bevölkerung ausmachte. Angesichts dieser Vielfalt stellte sich für die Zentralregierung in Wien die Frage nach der für das Reich zu wählenden politischen Struktur. Nachdem in den Jahren nach 1848 der Versuch unternommen wurde, den Staat unter möglichst vollständiger Beseitigung der historischen Sonderrechte zu zentralisieren, zwangen die Niederlagen in den Kriegen von 1859 und 1866 zu einer neuen Lösung. 1867 wurde ein Ausgleich mit den Eliten Ungarns gefunden, dessen primäres Ziel allerdings nicht eine Lösung der Problematik der Vielfalt des Reiches war. Vielmehr ging es den Eliten der beiden stärksten Nationalitäten darum, die eigene Hegemonie über alle andern zu sichern. Primär ging der Ausgleich von 1867 auf Kosten der slawischen Nationalitäten. Exemplarisch zeigte sich dies daran, dass 1871 eine Vereinbarung mit den Eliten der tschechischen Nationalität am energischen Widerstand der ungarischen Regierung scheiterte. Mit dem Ausgleich entstand eine Staatskonstruktion, die meistens als Dualismus bezeichnet wird und die Österreich und Ungarn als zwei weitgehend souveräne Staaten konzipierte. Diese wurden durch die Personalunion des Kaisers von Österreich und des Königs von Ungarn zusammengehalten. Zudem verblieben Außenpolitik und Militär inklusive der dafür notwendigen Finanzen als gemeinsame Aufgaben. Ein gemeinsames Parlament wurde nicht gebildet, was dazu führte, dass die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger der beiden Reichshälften sehr unterschiedlich blieben. Auch im Umgang mit den Sprachen unterschieden sich die beiden Teile der Habsburgermonarchie. Während in der cisleithanischen Reichshälfte alle Sprachen ihre Anerkennung fanden, ohne dass dies allerdings eine integrative Wirkung entfaltete, förderte die ungarische Regierung durch ihre Bildungspolitik ihre eigene Sprache auf Kosten der Minderheiten. Obwohl entsprechende Pläne auf verschiedenen Ebenen immer wieder diskutiert wurden, entwickelte sich die Nationalitätenpolitik deshalb nie zu einem Ausgangspunkt für eine grundlegende Reform der Monarchie auf föderalistischer Grundlage. Die Nationalitäten wurden von den herrschenden Eliten vielmehr immer wieder im Sinne eines divide et impera gegeneinander ausgespielt. Dies galt auch und gerade für das Parlament der cisleithanischen Reichshälfte, welches speziell nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1907 zu einem Ort oft endloser Diskussionen und zum Teil sogar handgreiflicher Auseinandersetzungen verkam.

      Wirtschaftlich hatte sich die Habsburgermonarchie im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts trotz ungünstiger Rohstoffbasis und Verkehrslage von einem stark agrarisch geprägten Staat zumindest teilweise zu einem modernen Industrieland westeuropäischen Zuschnitts entwickelt. Dies galt vor allem für die cisleithanische Industrie, die sich in den österreichischen Ländern vor allem um die Zentren Wien, Linz, Graz sowie in Böhmen und Mähren entwickelte. Die transleithanische Reichshälfte blieb wie Galizien oder die Bukowina weithin stark agrarisch geprägt, was nach dem Ersten Weltkrieg zu großen Diskussion darüber führte, wer von der Zollunion der beiden Reichshälften mehr profitiert habe. Während ältere Untersuchungen auch mit Blick auf die neu geschaffenen Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg von einem Ungleichgewicht sprachen, gilt heute weitgehend als gesichert, dass beide Reichshälften wirtschaftlich einen Gewinn aus der Existenz des Zentralstaates zogen, die cisleithanische Industrie durch den geschützten Absatzmarkt in Transleithanien, die transleithanische Landwirtschaft durch den vor billigem russischen und amerikanischen Getreide abgeschirmten Markt in Cisleithanien.

      Im Unterschied zu Österreich-Ungarn galt das Deutsche Reich 1914 sowohl politisch wie wirtschaftlich als aufstrebender Nationalstaat, auch wenn Bismarck nach der durchaus als Meisterleistung zu bezeichnenden Entstehung des kleindeutschen Reiches (Fisch 2002, 95) das eigene Land zum ›saturierten Staat‹ erklärt hatte. Besonders auf wirtschaftlicher Ebene avancierte das Deutsche Reich bis 1914 zur industriellen Führungsmacht, die problemlos mit Großbritannien, aber auch den USA konkurrieren konnte. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die


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