In die unbegrenzte Weite. Karoline von GünderrodeЧитать онлайн книгу.
ein ew’ges Wandern, Kommen, Gehen,
Lebend’ger Wandel! buntes, reges Streben!
O Strom! in dich ergießt sich all mein Leben!
Dir stürz ich zu! vergesse Land und Port!
Timur 3
Ermar hatte das Geschlecht von Parimor vom Thron gestoßen, Parimor selber, sein Weib und seine Freunde waren gefallen unter dem Schwerte des Ueberwinders, nur Timur sein einziger Sohn fiel lebend in Ermars Hände. Ungern unterwarf sich das Land dem Sieger, der die Burg des unglücklichen Parimor an der Nordküste der Insel bezog; und die höchste Gewalt mit seinem Bruder, dem wilden Konnar theilte.
Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte wo Timur sey, und ob er lebe? nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am Eingang der Erde wohnte, sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin und verrichtete geheimnißvolle Werke, und von allen Sterblichen wußte nur Thia, die schöne Tochter von Ermar, ihre Wohnung. Die Seherin liebte das Mädchen, sie lehrte sie mancherlei Geheimnisse, und enthüllte ihr oft die Begebenheiten der Zukunft.
Einst sprach die Prophetin zu der Tochter von Ermar: Mädchen! fürchte das Geschick deines Vaters, seine Unthat hat den Geist der Rache erweckt; sieh hierher! Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen in einem Spiegel ein tiefes Gefängniß der Burg, und in dem Gefängniß lag auf moderndem Stroh, ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Locken; Thia konnte ihre Augen nicht sättigen an dem Anblik des Gefangnen; aber die Seherin sprach: dies ist der König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone die ihm gebührt.
Gedankenvoll eilte Thia zurück zu der väterlichen Burg, und suchte allenthalben nach einer Thüre die zu Timurs Kerker führen möchte. Im Nord war die Burg von rauhen Felsen umgeben, die bis zum Meere hinabreichten, in diesen Felsen entdeckte Thia zwischen Gesträusch und Nesseln versteckt, ein Gitter, das eine dunkle Tiefe verschloß; dies Gitter hatte sie in dem Zauberspiegel gesehen; und jeden Morgen ehe die Bewohner des Schlosses erwachten, und jeden Abend wenn die milde Dämmerung die Thaten der Liebe in ihre Schleyer verbarg, gieng sie dahin, setzte sich trauernd neben das Gitter, und seufzte: Timur! Timur! und ihr war als kämen liebe unsichtbare Arme aus dem Gitter herauf und hielten sie umschlungen, daß sie die Stelle nicht verlassen konnte, und es nicht achtete daß der rauhe Nachtwind sie umwehte, und der Thau des Himmels sie benetzte.
Zwei Jahre hatte Timur in dem Kerker geschmachtet, schon waren der Rache wilde Gedanken bleich und ohnmächtig geworden, und die Träume von Erlösung und Befreiung waren verträumt; schon glaubte er sich von allen Menschen vergessen, als ihm däuchte, er höre mit süßer Stimme seinen Namen flüstern, und jeden Morgen und jeden Abend hörte er dieselbe Stimme: Timur! Timur! rufen, und wenn er auf seinem Lager schlummerte, däuchte ihm, ein Engel mit glänzenden Locken und rosigten Wangen beuge sich über ihn her, drücke leise Küsse auf seine Lippen und seufze: Timur! Aber wenn er erwachte, vergingen die rosigten Wangen in Kerkernacht, die hellen Locken erbleichten, die Küsse verglühten, doch die süße Stimme flüsterte fort; und er wußte nicht, ob der Traum wirklich, oder das wirklich Scheinende, Traum sey.
Tage und Wochen waren so vergangen, als das Mädchen zu Ermar sprach: „Vater! der Mund der Prophetin verkündet dir Unheil und Verderben, wegen des Sohnes von Parimor, der unschuldig in deinen Ketten schmachtet, deine Ungerechtigkeit wird den Geist der Rache erwecken, fürchte ihn! Timurs Kraft ist gefesselt, erwiderte Ermar: wo ist der Arm der sich der Rache leihe? Fürchte, sprach Thia, die Zukunft und der Seherin untrügliche Worte; ich habe Timur gesehen, ich liebe ihn, gieb ihm die Freiheit, gieb ihn mir, feßle ihn durch ein heiliges Band an dich, oder fürchte auch deine Tochter. Aber Ermar blieb unerbittlich bis sich die einzige Tochter ihm zu Füßen warf, und ihm schwur den Geliebten zu seinem treuen Sohne und Freund zu machen, oder ihn zu verrathen, wenn er undankbar sey, und ihm den Dolch mitten in seinen Umarmungen in die Brust zu stoßen.
Timur lag in schweren Träumen, der Geist seines Vaters erschien ihm in blutige Grabtücher gehüllt, und sprach, räche mich! die Zeit ist gekommen. Timur erwachte, aber immer hörte er noch die Worte, die Zeit ist gekommen! er dachte noch darüber nach, als das Gitter sich öffnete; ein Krieger trat herein und hies ihn folgen. Schweigend, voll seltsamer Empfindungen gieng Timur hinter seinem Führer her. Jetzt waren sie auf den Felsen angekommen, der Krieger entfernte sich, und Ermar kam dem Jüngling entgegen. Die Zeit ist gekommen, räche mich, flüsterte eine Stimme in Timurs Seele: eine unsichtbare Gewalt trieb ihn; ehe Ermar noch gesprochen hatte, ergriff ihn der Jüngling, und schleuderte ihn die Felsen hinab, daß sein Blut hinunter rauchte bis zur See.
Die Bewohner des Schlosses versammelten sich, sie erkannten den Sohn ihrer Könige, und nannten ihn freudig Herr, und Gebieter. Als es aber Nacht wurde, trat Thia zu ihm, und sprach: „Ich habe dich geliebt, ich habe an der Thüre deines Kerkers gewacht, und deinen Namen der Nacht, und den Sternen vertraut; deine Freiheit ist mein Werk, aber du hast meinen Vater ermordet, du hast die schwere Blutschuld auf meine Seele gewälzt, darum hinweg von dir!“
Und das Mädchen gieng, und kehrte nicht wieder. Da ward der König sehr traurig, die lärmende Jagd erfreute ihn nicht, und nicht der Becher, einsam stand er auf seinem Felsen, und sahe, und vernahm nichts als die Schrecken des nahenden Winters. Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, eisigte Regen fielen herab, der Nordwind zerwühlte den Wald und trieb die falben Blätter in wilden Wirblen umher, die Brandung brauste an der Küste, und der krächzende Rabe unterredete sich mit dem Wiederhall. Monde vergingen so, und immer fielen kalte Regen und Schnee und der Himmel blieb dunkel wie die Seele von Timur; da versammelten sich die Freunde um ihn und sprachen: es ist nicht gut o König! daß du so einsam trauerst, komm! laß uns Thaten thun; Konnar herrscht noch jenseits der Berge mit eisernem Zepter über das Volk, komm! erobere dein Erbe, überwinde die Verräther! Der Jüngling gehorchte, er riß sich empor aus seinen Träumereien und stürtzte sich in das Gewühl der Schlachten zu Thaten und Ruhm.
Ungewiß schwankte das Glück zwischen Konnar und Timur, Timur war tapfer, Konnar fest und klug. Eine Schlacht entschied für Konnar, Timur mußte sich zurückziehen in die Gebürge. Der Tag verfloß im Getümmel der Gefechte, in Angriff und Vertheidigung, aber wenn die Nacht herniedersank, und den Kriegsgott in Schlummer einlullte, versammelten sich die Gefährten um Timur, und in den Schlüchten einsamer Gebürge, in der Nacht dichter Wälder, wo der spähende Feind sie nicht ahndete, errichteten sie ein lustiges Zelt, hundert Fackeln erleuchteten die Wildniß, der Freudenbecher gieng umher, eine süße Musik erscholl begleitet von den Stimmen braunlockigter Mädchen, und Timur schwelgte in Ruhm und Lust und Liebe, und seine Gefährten jauchzten in wilden Freuden.
Einst aber, da Timur allein war auf seinem Lager, und der Schlummer ihn floh, däuchte ihm er höre das Geräusch leiser Tritte, und da er noch lauschte, fühlte er sich plötzlich umschlungen von zarten Armen, und heiße sehnsuchtsvolle Küsse bedeckten seine Lippen; als er aber Morgens erwachte war sein Lager verlassen. Drei Nächte hatte schon die unbekannte Geliebte des Königs Lager besucht, als sie aber zum viertenmale kam, schloß er sie in seine Arme und schwur sie nicht zu lassen, bis sie sich ihm entdeckt habe, damit er seinen Thron und seine Hoheit mit ihr theilen könne. „Laß mich nur noch diesmal ungekannt von dir“ sprach das Mädchen, „wenn die Nacht wiederkehrt und die Sterne wieder glänzen, wird ein schwarzes Roß vor dir stehen, dem vertraue dich, es wird dich dahin tragen, wo dir alles offenbar wird.“ Der König ließ das Mädchen von sich gehen. Da es aber Nacht wurde fand er das Roß; ein sonderbarer Schauer durchlief sein Gebein, aber er schwang sich auf des Thieres Rücken, und es trug ihn durch unbekannte verworrne Pfade, durch Klüfte und Wälder, und blieb stehen vor einem prächtigen erleuchteten Pallast. Die Thore öffneten sich, zwei Knaben traten heraus, hielten ihm den Zügel und führten ihn in einen Saal. Eine milde Dämmerung herrschte, denn nur ein Halbmond über einem Becken in das sich duftendes balsamisches Wasser stürzte erleuchtete das Zimmer mit wechselndem Schimmer, bald glänzte der Mond in dunklem Purpur, dann in blassem Rosenroth, dann wieder blau wie der Bogen des Himmels, dann endlich wie der grüne Schmelz der Wiesen.