Der Golem. Gustav MeyrinkЧитать онлайн книгу.
von neuem zu entfachen.
Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen und locken den Rasenden heimtückisch hinter sich her in dunkle Gänge, wo sie aus rostigen Faßreifen, die in die Höhe schnellen, wenn man auf sie tritt, und eisernen Rechen – mit den Spitzen nach oben gekehrt – bösartige Fallen errichtet haben, in die er stürzen muß und sich blutig fällt.
Von Zeit zu Zeit denkt sich Rosina, um die Folter aufs äußerste anzuspannen, auf eigene Faust etwas Höllisches aus.
Dann ändert sie mit einem Schlage ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als fände sie plötzlich Gefallen an ihm. Mit ihrer ewig lächelnden Miene teilt sie dem Krüppel hastig Dinge mit, die ihn in eine fast irrsinnige Erregung versetzen, und sie hat sich dazu eine geheimnisvoll scheinende, nur halbverständliche Zeichensprache ersonnen, die den Taubstummen rettungslos in ein unentwirrbares Netz von Ungewißheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muß.
Einmal sah ich ihn im Hofe vor ihr stehen, und sie sprach mit so heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen auf ihn ein, daß ich glaubte, jeden Augenblick würde er in wilder Aufregung zusammenbrechen.
Der Schweiß lief ihm übers Gesicht vor übermenschlicher Anstrengung, den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen.
Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in Erwartung auf den finsteren Stiegen eines halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung der engen, schmutzigen Hahnpaßgasse liegt – bis er die Zeit versäumt hatte, sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln.
Und als er spät abends halbtot vor Hunger und Aufregung heim wollte, hatte ihn die Pflegemutter längst ausgesperrt.
Ein fröhliches Frauenlachen drang aus dem anstoßenden Atelier durch die Mauern herüber zu mir.
Ein Lachen! – In diesen Häusern ein fröhliches Lachen? Im ganzen Getto wohnt niemand, der fröhlich lachen könnte.
Da fiel mir ein, daß mir vor einigen Tagen der alte Marionettenspieler Zwakh anvertraute, ein junger, vornehmer Herr hätte ihm das Atelier teuer abgemietet – offenbar, um mit der Erwählten seines Herzens unbelauscht zusammenkommen zu können.
Nach und nach, jede Nacht, müßten nun, damit niemand im Hause etwas merke, die kostbaren Möbel des neuen Mieters heimlich Stück für Stück hinaufgeschafft werden.
Der gutmütige Alte hatte sich vor Vergnügen die Hände gerieben, als er es mir erzählte, und sich kindlich gefreut, wie er alles so geschickt angefangen habe, keiner der Mitbewohner könne auch nur eine Ahnung von dem romantischen Liebespaar haben.
Und von drei Häusern aus sei es möglich, unauffällig in das Atelier zu gelangen. – Sogar durch eine Falltüre gäbe es einen Zugang!
Ja, wenn man die eiserne Tür des Bodenraumes aufklinke – und das sei von drüben aus sehr leicht –, könne man an meiner Kammer vorbei zu den Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benützen … Wieder klingt das fröhliche Lachen herüber und läßt in mir die undeutliche Erinnerung an eine luxuriöse Wohnung und an eine adlige Familie auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altertümern kleine Ausbesserungen vorzunehmen.
Plötzlich höre ich nebenan einen gellenden Schrei. Ich horche erschreckt.
Die eiserne Bodentür klirrt heftig, und im nächsten Augenblick stürzt eine Dame in mein Zimmer.
Mit aufgelöstem Haar, weiß wie die Wand, einen goldenen Brokatstoff über die bloßen Schultern geworfen. »Meister Pernath, verbergen Sie mich – um Gottes Christi willen! –, fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!«
Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine Tür abermals aufgerissen und sofort wieder zugeschlagen.
Eine Sekunde lang hatte das Gesicht des Trödlers Aaron Wassertrum wie eine scheußliche Maske hereingegrinst.
Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor mir auf, und im Schein des Mondlichtes erkenne ich wiederum das Fußende meines Bettes.
Noch liegt der Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel, und der Name Pernath steht in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.
Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? – Athanasius Pernath?
Ich glaube, ich glaube, vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo meinen Hut verwechselt, und ich wunderte mich damals, daß er mir so genau passe, wo ich doch eine höchst eigentümliche Kopfform habe.
Und ich sah in den fremden Hut hinein – damals und – – ja, ja, dort hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weißen Futter:
ATHANASIUS PERNATH
Ich hatte mich vor dem Hut gescheut und gefürchtet, ich wußte nicht warum.
Da fährt plötzlich die Stimme, die ich vergessen hatte und die immer von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie Fett ausgesehen habe, auf mich los, gleich einem Pfeil.
Schnell male ich mir das scharfe, süßlich grinsende Profil der roten Rosina aus, und es gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der sich sogleich in der Finsternis verliert.
Ja, das Gesicht der Rosina!
Das ist doch noch stärker als die stumpfsinnig plappernde Stimme; und gar, wo ich jetzt gleich wieder in meinem Zimmer in der Hahnpaßgasse geborgen sein werde, kann ich ganz ruhig sein.
Wenn ich mich nicht getäuscht habe in der Empfindung, daß jemand in einem gewissen, gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt, in der Absicht, mich zu besuchen, so muß er jetzt ungefähr auf dem letzten Stiegenabsatz stehen.
Jetzt biegt er um die Ecke, wo der Archivar Schemajah Hillel seine Wohnung hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen auf den Flur des oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.
Nun tastet er sich an der Wand entlang, und jetzt, gerade jetzt, muß er, mühsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem Türschild lesen.
Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und blickte zum Eingang.
Da öffnete sich die Türe, und er trat ein.
Nur wenige Schritte machte er auf mich zu und nahm weder den Hut ab, noch sagte er ein Wort der Begrüßung.
So benimmt er sich, wenn er zu Hause ist, fühlte ich, und ich fand es ganz selbstverständlich, daß er so und nicht anders handelte.
Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.
Dann blätterte er lange drin herum.
Der Umschlag des Buches war aus Metall, und die Vertiefungen in Form von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefüllt. Endlich hatte er die Stelle gefunden, die er suchte, und deutete darauf.
Das Kapitel hieß »Ibbur«, »die Seelenschwängerung«, entzifferte ich.
Das große, in Gold und Rot ausgeführte Initial »I« nahm fast die Hälfte der ganzen Seite ein, die ich unwillkürlich überflog, und war am Rande verletzt.
Ich sollte es ausbessern.
Das Initial war nicht auf das Pergament geklebt, wie ich es bisher in alten Büchern gesehen, schien vielmehr aus zwei Platten dünnen Goldes zu bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelötet waren und mit den Enden um die Ränder des Pergaments griffen.
Also mußte, wo der Buchstabe stand, ein Loch in das Blatt geschnitten sein?
Wenn das der Fall war, mußte auf der nächsten Seite das »I« verkehrt stehen?
Ich blätterte um und fand meine Annahme bestätigt. Unwillkürlich las ich auch diese Seite durch und die gegenüberliegende.
Und ich las weiter und weiter.
Das Buch sprach zu mir, wie der Traum spricht, klarer nur und viel deutlicher. Und es rührte mein Herz an wie eine Frage.
Worte strömten aus einem unsichtbaren Munde, wurden lebendig und kamen auf