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Der Golem. Gustav MeyrinkЧитать онлайн книгу.

Der Golem - Gustav Meyrink


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lehnte am Eingang der dunklen Wölbung und zwickte mit einer Beißzange an seinen Fingernägeln herum.

      War die rothaarige Rosina seine Tochter oder seine Nichte? Er hatte keine Ähnlichkeit mit ihr.

      Unter den Judengesichtern, die ich Tag für Tag in der Hahnpaßgasse auftauchen sehe, kann ich deutlich verschiedene Stämme unterscheiden, die sich so wenig durch die nahe Verwandtschaft der einzelnen Individuen verwischen lassen, wie sich Öl und Wasser vermengen wird. Da darf man nicht sagen: Die dort sind Brüder oder Vater und Sohn.

      Der gehört zu jenem Stamm und dieser zu einem andern, das ist alles, was sich aus den Gesichtszügen lesen läßt. Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trödler ähnlich sähe!

      Diese Stämme hegen einen heimlichen Ekel und Abscheu voreinander, der sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft durchbricht – aber sie verstehen, ihn geheimzuhalten vor der Außenwelt, wie man ein gefährliches Geheimnis hütet.

      Kein einziges läßt ihn durchblicken, und in dieser Übereinstimmung gleichen sie haßerfüllten Blinden, die sich an ein schmutzgetränktes Seil klammem: der eine mit beiden Fäusten, ein anderer nur widerwillig mit einem Finger, alle aber von abergläubischer Furcht besessen, daß sie dem Untergang verfallen müssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von den übrigen trennen.

      Rosina ist von jenem Stamme, dessen rothaariger Typus noch abstoßender ist als der der andern. Dessen Männer engbrüstig sind und lange Hühnerhälse haben mit vorstehendem Adamsapfel.

      Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr ganzes Leben leiden sie unter brünstigen Qualen, diese Männer – und kämpfen heimlich gegen ihre Gelüste einen ununterbrochenen, erfolglosen Kampf, von immerwährender, widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert.

      Ich war mir nicht klar, wieso ich Rosina überhaupt in verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Trödler Wassertrum bringen konnte.

      Nie habe ich sie doch in der Nähe des Alten gesehen oder bemerkt, daß sie jemals einander etwas zugerufen hätten.

      Auch war sie fast immer in unserem Hofe oder drückte sich in den dunklen Winkeln und Gängen unseres Hauses herum.

      Sicherlich halten sie alle meine Mitbewohner für eine nahe Verwandte oder zumindest Schutzbefohlene des Trödlers, und doch bin ich überzeugt, daß kein einziger einen Grund für solche Vermutungen anzugeben vermöchte.

      Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreißen und sah von dem offenen Fenster meiner Stube hinab auf die Hahnpaßgasse.

      Als habe Aaron Wassertrum meinen Blick gefühlt, wandte er plötzlich sein Gesicht zu mir empor.

      Sein starres, gräßliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist.

      Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.

      Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben? Ich wußte es nicht.

      An den Mauerrändern seines Gewölbes hängen unverändert, Tag für Tag, jahraus, jahrein dieselben toten, wertlosen Dinge.

      Mit geschlossenen Augen hätte ich sie hinzeichnen können: hier die verbogene Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt, mit den so sonderbar zusammengestellten Soldaten.

      Und vorne auf dem Boden, dicht nebeneinandergeschichtet, so daß niemand die Schwelle des Gewölbes überschreiten kann, eine Reihe runder eiserner Herdplatten. Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein Vorübergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder andern, geriet der Trödler in heftige Erregung.

      In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgendetwas Unverständliches in einem gurgelnden, stolpernden Baß hervor, daß dem Käufer die Lust, weiterzufragen, verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.

      Der Blick des Aaron Wassertrum war blitzschnell von meinen Augen abgeglitten und ruhte jetzt mit gespanntem Interesse an den kahlen Mauern, die vom Nebenhause an mein Fenster stoßen.

      Was konnte er dort nur sehen?

      Das Haus steht doch mit dem Rücken gegen die Hahnpaßgasse, und seine Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die Straße gekehrt.

      Zufällig schienen die Räume, die nebenan in derselben Stockhöhe wie die meinigen liegen – ich glaube, sie gehören zu einem winkligen Atelier –, in diesem Moment betreten worden zu sein, denn durch die Mauern hörte ich plötzlich eine männliche und eine weibliche Stimme miteinander reden.

      Unmöglich konnte das aber der Trödler von unten aus wahrgenommen haben!

      Vor meiner Tür bewegte sich jemand, und ich erriet: Es ist immer noch Rosina, die draußen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, daß ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle.

      Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbwüchsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die Tür öffnen würde, und ich spüre förmlich den Hauch seines Hasses und seine schäumende Eifersucht bis herauf zu mir.

      Er fürchtet sich, näher zu kommen und von Rosina bemerkt zu werden. Er weiß sich von ihr abhängig wie ein hungriger Wolf von seinem Wärter und möchte doch am liebsten aufspringen und besinnungslos seiner Wut die Zügel schießen lassen!

      Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten und Stichel hervor.

      Aber ich konnte nichts fertigbringen, und meine Hand war nicht ruhig genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern.

      Das trübe, düstere Leben, das an diesem Hause hängt, läßt mein Gemüt still werden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf.

      Loisa und sein Zwillingsbruder Jaromir sind wohl kaum ein Jahr älter als Rosina.

      An ihren Vater, der Hostienbäcker gewesen, konnte ich mich kaum mehr erinnern, und jetzt sorgt für sie, glaube ich, ein altes Weib.

      Ich wußte nur nicht, welche es war unter den vielen, die versteckt im Hause wohnen wie Kröten in ihrem Schlupfwinkel.

      Sie sorgt für die beiden Jungen, das heißt: Sie gewährt ihnen Unterkunft; dafür müssen sie ihr abliefern, was sie gelegentlich stehlen oder erbetteln.

      Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich konnte es mir nicht denken, denn erst spät abends kommt die Alte heim.

      Leichenwäscherin soll sie sein.

      Loisa, Jaromir und Rosina sah ich, als sie noch Kinder waren, oft harmlos im Hof zu dritt spielen.

      Die Zeit aber ist lang vorbei.

      Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenmädel her.

      Zuweilen sucht er sie lange umsonst, und wenn er sie nirgends finden kann, dann schleicht er sich vor meine Tür und wartet mit verzerrtem Gesicht, daß sie heimlich hierherkomme.

      Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste draußen in dem winkligen Gange lauern, den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend vorgebeugt.

      Manchmal bricht dann durch die Stille plötzlich ein wilder Lärm.

      Jaromir, der taubstumm ist und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene wahnsinnige Gier nach Rosina erfüllt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell, das er, vor Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstößt, klingt so schauerlich, daß einem das Blut in den Adern stockt.

      Er sucht die beiden, die er stets beieinander vermutet – irgendwo in einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel versteckt –, in blinder Raserei, immer von dem Gedanken gepeitscht, seinem Bruder auf den Fersen sein zu müssen, daß nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse.

      Und gerade diese unaufhörliche Qual des Krüppels ist, ahnte ich, das Reizmittel, das Rosina antreibt, sich


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