Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola LarsenЧитать онлайн книгу.
viel allein. Sie schreibt lange heimwehkranke Briefe an Tante Tabea, übt gewissenhaft und wartet sehnsüchtig auf irgendein noch so kleines Zeichen Wolfharts, das ihr verraten könnte, dass alles wieder gut zwischen ihnen ist.
Aber nichts geschieht. Mehr denn je zieht sich Fürst Wolfhart von ihr zurück.
Wäre Rulle nicht, würde Sabrina völlig verzweifeln. Rulle ist rührend um sie bemüht. Er führt sie stundenlang durch die City, zeigt ihr die Sehenswürdigkeiten der Weltstadt und wird nicht müde, ihr alles liebevoll zu erklären und zu erläutern.
So naht der Abend des Londoner Konzertes, dem Sabrina völlig teilnahmslos entgegensieht. Sie ist seelisch einfach zu müde, zu sehnsuchtskrank und zu erschöpft, um sich wegen des Konzertes noch aufzuregen.
Selbst die Generalprobe lässt sie kalt. Sie erledigt ihren Auftritt künstlerisch gewissenhaft, aber ohne innere Teilnahme.
Das stimmt Rulle, der ebenfalls plötzlich von einer merkwürdigen inneren Nervosität gepackt worden ist, bedenklich. Besser viel Lampenfieber als gar keines, denkt er, und er würde etwas darum geben, wenn Marcus Mauris Tochter auch nur einen Bruchteil jener fiebrigen Erwartung zeigen würde, die sie vor ihrem ersten Konzert in Paris ausstrahlte.
Sabrina ist selbst verwundert darüber, dass sie keine Angst vor dem Konzert hat und sich auch gar keine Gedanken darüber macht, ob es ein Erfolg sein wird oder nicht.
Dabei ahnt sie nicht, dass Fürst Wolfhart, der die Stunden nach der Generalprobe in seinem Appartement verbringt und selbst Rulles Fürsorge abweist, ebenfalls dem am Abend stattfindenden Konzert völlig gleichgültig gegenübersteht.
*
Auch an der Kasse des Londoner Konzerthauses hängt ein Schildchen, dass der Saal ausverkauft ist, aber weder Fürst Wolfhart noch Sabrina achten darauf. Schweigend gehen sie zum Künstlerzimmer, und Rulle denkt tief bekümmert, dass es ganz bestimmt ein Unglück geben wird.
Seine Hände zittern ein wenig, als er die Stühle der Musiker zurechtrückt, die Standsicherheit der Notenständer prüft und schließlich den Flügel öffnet.
Wenn nur dieser Abend schon herum wäre, denkt er immer wieder, und gewohnheitsgemäß geht er zum Vorhang und wirft durch das Guckloch einen Blick in den Saal.
Auch hier ist die Prominenz der Londoner Gesellschaft versammelt, und Rulle erkennt einige berühmte Persönlichkeiten. Dann weiten sich plötzlich seine wasserblauen Augen, mit einem Ruck hebt er den Kopf, und seine Hände krampfen sich ängstlich ineinander.
Das ist doch einfach unmöglich, denkt er, das kann doch nicht wahr sein! Sekundenlang ist er überzeugt davon, dass ihn ein Spuk narrt, aber das Bild, das ihn so erschreckte, bleibt unverändert vor seinen Augen.
Es ist das Bild einer faszinierend schönen Frau, die gelangweilt in einer der ersten Sesselreihen sitzt. Sie trägt ein fantastisches Gewand aus kardinalroter Seide und ist niemand anders als Simone Prinzessin von Bernadette.
»Allmächtiger!«, murmelt Rulle verstört. »Jetzt haben wir die Pastete!« Und vor lauter Verzweiflung vergisst er vollkommen, nach altem Brauch dreimal auf die Rampe zu spucken.
Der kleine, gebeugte Mann ist nun erst recht von bösen Ahnungen erfüllt, als er das Podium wieder verlässt. Aber er reißt sich zusammen und ist bald darauf liebevoll um Sabrina bemüht, die im Künstlerzimmer teilnahmslos auf ihren Auftritt wartet.
»Es wird schon gut gehen«, sagt er betont zuversichtlich. »Die Engländer sind lediglich etwas zurückhaltender mit Beifall als die Franzosen. Erschrecken Sie darum also nicht, wenn der Jubel nicht so laut und stürmisch ist wie in Paris.«
»Ja«, sagt Sabrina leise und abwesend, »ja – ja …«
Sie denkt aber, dass im Grunde genommen alles gleichgültig geworden ist, denn was bedeuten ihr Erfolg und Ruhm, wenn der Mann, den sie liebt, sich nicht zu ihr bekennt?
Wenige Minuten später steht sie auf dem Konzertpodium im strahlenden Scheinwerferlicht. Sie ist bezaubernd schön, genauso schön wie in Paris, aber Rulle hat vollkommen recht: Die Engländer sind weitaus zurückhaltender und weniger begeisterungsfähig als die Franzosen. Während Sabrina in Paris allein schon durch ihre jungmädchenhafte, zarte Schönheit die Herzen der Zuhörer im Fluge gewann, verhält sich das Londoner Publikum abwartend, kühl und distanziert.
Auch Fürst Wolfhart wirkt an diesem Abend keineswegs so sicher wie sonst. Er ist merkwürdig nervös und gibt ungeduldig das Zeichen zum Einsatz.
Sabrina nickt unmerklich und beginnt ihr Spiel, aber heute jubiliert ihr Herz nicht.
Es erfüllt sie nicht das starke und beglückende Bewusstsein ihrer jungen Liebe, sondern ihr Herz ist stumm und still. Sie spielt das Adagio technisch einwandfrei und gekonnt, aber ihre Geige singt und klingt nicht, denn Sabrina vermag es nicht, ihr eine Seele einzuhauchen.
Dann ist Sabrinas Solospiel zu Ende. Es bleibt totenstill im Saal. Lediglich nach dem Finale des Orchesters setzt ein lauter Höflichkeitsapplaus ein, der aber schnell wieder verebbt.
»In London gibt es keinen offenen Skandal«, murmelt Rulle halblaut vor sich hin, »dieser erbärmliche Beifall ist aber schon Skandal genug.«
Rulle ist so verzweifelt, dass er nicht einmal die Kraft findet, Sabrina, die nun blass und verstört ins Künstlerzimmer zurückkommt, ein gutes Wort zu schenken, und stumm warten sie beide auf das Erscheinen Fürst Wolfharts.
Als dieser dann auch eintritt, stehen feine Schweißperlen auf seiner Stirn, und seine Haltung ist nicht so straff wie sonst. Er sagt kein Wort, beachtet weder Sabrina noch Rulle und nimmt schweigend auf dem altmodisch grünen Sofa Platz, das in der Ecke am Fenster steht.
Wie anders war alles in Paris! Dort konnten sich Sabrina und Fürst Wolfhart der begeisterten und hingerissenen Verehrer kaum erwehren, aber in London will niemand zu ihnen. Es werden auch keine Blumen abgegeben. Man kümmert sich überhaupt nicht um sie.
Plötzlich pocht es an die Tür, und ein uniformierter Page übergibt Gebinde blassroter Rosen. Rulle wirft einen einzigen Blick auf die elegante Handschrift des Begleitbriefes und wird blass. Er drückt dem Pagen ein Trinkgeld in die Hand und reicht Blumen und Brief dem Fürsten, der beides zuerst achtlos auf den Tisch legen will, dann aber die Handschrift des Begleitschreibens erkennt und das zartgrün getönte Kuvert doch rasch öffnet.
Nach einem Blick auf die schmale Briefkarte zuckt ein bitteres und verächtliches Lächeln um seinen Mund. Rasch legt er die Rosen und die Karte zur Seite.
Dann steht er auf und beginnt unruhig in dem schmalen, altmodisch ausgestatteten Künstlerzimmer hin und her zu gehen. Eine steile Falte gräbt sich zwischen seine dunklen Brauen und wächst drohend in die hohe vorgewölbte Stirn.
Voller Angst beobachtet Sabrina den heimlich geliebten Mann, der ihr so nah und zugleich doch so fern ist. Sie möchte weinen, aber ihr Herz ist so erschöpft und leer, dass sie nicht einmal mehr Tränen findet.
Auch während des zweiten Programmteils ändert sich die Haltung der Zuhörer nicht. Es bleibt drohend still im Saal, als Sabrina auftritt. Eisige Ablehnung weht ihr entgegen.
Aber das berührt sie nicht. Jetzt ist ihr alles gleichgültig, und sie ist darauf bedacht, sorgfältig und gewissenhaft zu spielen, um die anderen nicht auch noch durch einen Fehler zu verwirren.
Kein noch so höflicher Applaus dankt der jungen Künstlerin, als sie nach ihrem Spiel Geige und Bogen sinken lässt. Die Stille ist beschämend, und gesenkten Hauptes tritt Sabrina von der Rampe zurück.
Fürst Wolfhart jagt nun das Programm förmlich zu Ende. Nachdem der letzte Ton verklungen ist, verlässt er, ohne sich dem Publikum überhaupt noch einmal zuzuwenden, raschen Schrittes das Podium.
Rulle hat bereits einen Wagen gerufen, und so können er, Fürst Wolfhart und Sabrina die Konzerthalle sofort verlassen und in das Palace Hotel zurückkehren.
Sabrina ist wie gelähmt. Es drängt sie, Wolfhart zu sagen, wie leid es ihr tut, dass sie so versagt hat, aber kein einziges Wort ringt sich über