Der kleine Fürst Staffel 14 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
und jedes Mal gebe ich mir die gleiche Antwort darauf: Nein, das hätte er nicht fertig gebracht. Er hätte es vielleicht versucht, um Lisa keinen Kummer zu bereiten, aber irgendwann hätte er ihr doch lieber die Wahrheit gesagt. Und da das nicht geschehen ist, glaube ich nicht an Frau Roeders Geschichte, mag auch noch so viel dafür sprechen.«
»So ähnlich verlaufen meine Gedankengänge auch«, erklärte der Baron, »aber die vielen Leute, die Leo nicht kannten, sehen das mittlerweile anders, sie glauben Frau Roeders Geschichte, weil sie eben so nachvollziehbar ist. Die Frau ist attraktiv, offenbar sympathisch, die meisten Männer hätten sich nur zu gern auf eine Affäre mit ihr eingelassen – warum also nicht Leo.« Er machte eine kurze Pause. »Und weil das so ist und weil sich die öffentliche Meinung immer mehr gegen uns wenden wird, je länger diese Geschichte andauert, bin ich mittlerweile doch der Ansicht, wir sollten Anzeige gegen Frau Roeder erstatten.«
»Frau von Kreyenfelss ist skeptisch, wie du weißt, und Herr Overbeck hat uns auch gewarnt.«
»Ja, das weiß ich, aber letzten Endes ist es unsere Entscheidung.«
Sofia lehnte sich an ihren Mann. »Ich wünsche mir so sehr, dass das endlich vorbei ist, Fritz.«
»Das wünschen wir uns alle.« Er umarmte sie, und so blieben sie eine Weile stehen, ohne zu reden. Endlich fragte er: »Bist du einverstanden?«
»Ohne Chris sollten wir diese Entscheidung nicht fällen.«
»Das hatte ich auch nicht vor. Wir warten auf seine Rückkehr, dann soll er sein Interview geben, und zeitgleich könnten wir Anzeige gegen Frau Roeder wegen versuchten Betruges und Verleumdung erstatten.«
»Komisch«, sagte Sofia nach einer Weile, »jetzt fühle ich mich besser. Ob das damit zusammenhängt, dass wir beschlossen haben, etwas zu unternehmen?«
»Ich denke schon. Hoffen wir nur, dass Christian mit unseren Plänen einverstanden ist.«
Wenig später wurde der Baron vom Stallmeister angerufen, da ein Problem mit einem der Pferde aufgetreten war, und so verließ er seine Frau, die nachdenklich, aber nicht mehr ganz hoffnungslos zurückblieb. Vielleicht führte ihre Entscheidung zum Gegenangriff ja dazu, die Geschichte einem baldigen Ende zuzuführen.
*
»Offenbar haben wir unseren Paparazzo in die Flucht geschlagen, Chris«, sagte Caroline am vorletzten Tag der Wanderung mit Christians Klasse. Sie waren von kleineren und größeren Katastrophen weitgehend verschont geblieben, die Gruppe war noch immer vollzählig, und das Gejammer der ersten beiden Tage hatte fast vollständig aufgehört. Nicht wenige der Jugendlichen hatte der Ehrgeiz gepackt, ihrer schönen Führerin zu beweisen, dass sie durchaus imstande waren, acht Stunden am Tag zu wandern. Manche machten sogar eine erstaunliche Entwicklung durch, wie Caroline von den beiden Lehrkräften bestätigt wurde. Erst gestern hatte Martina Früh zu ihr gesagt: »Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass selbst die Aufsässigsten der Klasse sich hier nahezu problemlos einordnen. Das ist für uns eine sehr schöne Erfahrung.« Natürlich war Caroline sehr erfreut gewesen über diese Worte, denn sie bedeuteten ja auch eine Bestätigung ihrer Arbeit.
»Zum Glück«, erwiderte Christian jetzt auf ihre Bemerkung. »Das wäre nicht angenehm gewesen, wenn der uns weiterhin verfolgt hätte.«
Sie hatten kaum über den Mann gesprochen, der ihnen am ersten Abend mit seinem Fotoapparat aufgelauert hatte, was auch daran lag, dass Caroline meistens von einer ganzen Gruppe von Jugendlichen umringt war, sie aber kein Interesse daran hatten, anderen von diesem Erlebnis zu erzählen. Christian hatte lediglich Manuel eingeweiht, von dem er jedoch sicher war, dass er den Mund halten würde. Nur ab und zu hatte er Caroline gegenüber eine knappe Bemerkung fallen lassen, aber die Augen hatten sie beide aufmerksam offengehalten, schließlich wollten sie kein zweites Mal unangenehm überrascht werden.
»Er wäre seines Lebens nicht mehr froh geworden, verlass dich drauf. Immerhin sind die Fotos bisher nirgends aufgetaucht, ich habe das aufmerksam verfolgt. Auch im Internet nicht, das hatte ich nämlich am ehesten befürchtet«, berichtete Caroline.
»Du hast gesagt, dass du den Mann schon mal gesehen hattest. Wann war das?«
»Lass mich überlegen. Zwei Tage, bevor ihr kamt, glaube ich. Oder sogar am Tag vorher? Genau weiß ich es nicht mehr. Ich hatte eine Besprechung mit meinem Chef …« Caroline unterbrach sich, als ihr einfiel, dass Henning ausgerechnet über den Jungen mit ihr hatte sprechen wollen, mit dem sie jetzt hier über aufdringliche Fotografen und Journalisten redete. War das etwa keine Ironie der Geschichte?
»Und als ich sein Büro verließ«, fuhr sie fort, »stand dieser Typ da und hat mich angestarrt.«
»Angestarrt?«
»Na ja, intensiv angesehen jedenfalls.« Caroline lächelte verlegen. »Ich fand ihn sogar interessant und gut aussehend, ich konnte ja nicht ahnen, dass er nur deshalb so geguckt hat, weil er sich vermutlich überlegt hat, wie er uns am besten auf den Fersen bleibt.«
»Aber ich war doch noch gar nicht da! Vielleicht fand er dich einfach nur attraktiv, bist du schon mal auf den Gedanken gekommen?«
»Und deshalb fotografiert er dann dich und mich mitten in der Nacht? Das glaubst du doch selbst nicht.« Caroline schüttelte den Kopf, dass die braunen Haare flogen. »Nein, nein, der wusste, dass du mit deiner Klasse herkommst, dann hat er ein bisschen herumgeschnüffelt und herausgefunden, wer eure Klasse führt – und dann hat er mich vermutlich nicht mehr aus den Augen gelassen. Ekelhaft, solche Leute, die ihr Geld damit verdienen, dass sie andere Leute belauern.«
Christian nickte, er sah es genauso. Für ihn war das Thema damit erledigt, und so sagte er nach einer Weile: »Es war eine tolle Zeit mit dir, Caro.«
»Sie ist noch nicht vorüber«, erinnerte sie ihn lächelnd, »also rede bitte nicht in der Vergangenheitsform davon.«
Zwei Mädchen gesellten sich jetzt zu ihnen, die Caroline mit Fragen bestürmten, was Christian zum Anlass nahm, nach Manuel Ausschau zu halten.
Er sah ihn weit vorn allein laufen und beeilte sich, zu ihm aufzuschließen.
*
»Baron von Kant hat angerufen«, berichtete Hagen von Boldt. »Wenn Christian einverstanden ist, wollen sie Anzeige erstatten gegen Frau Roeder. Verleumdung, versuchter Betrug – und was uns noch so alles einfällt.«
»Heikel«, bemerkte Barbara von Kreyenfelss sachlich. »Sie scheinen ihrer Sache sehr sicher zu sein.«
»Anders als wir, meinst du?«
Sie nickte. »Ich habe schon zu viele ehrenwerte Männer ihre Unschuld, ihre Treue, ihre Ahnungslosigkeit beteuern sehen – und am Ende mussten sie doch zugeben, dass sie nicht ganz so unschuldig, treu und ahnungslos gewesen waren wie behauptet. Warum sollte das bei Fürst Leopold von Sternberg anders sein?«
»Er selbst kann ja nichts mehr beteuern«, murmelte Hagen von Boldt. »Ich stimme dir zur, dass es heikel ist, aber ich denke, es ist an der Zeit, ein Zeichen zu setzen. Und mit dem Interview zusammen sind es dann schon zwei Zeichen. Ich halte die Strategie für gut, auch wenn wir leider Frau Roeders Behauptungen noch immer nicht entkräften können.«
»Wenn wir das könnten, wäre die Geschichte zu Ende«, bemerkte Barbara. »Aber anders als neulich bin ich jetzt wieder eher auf Kampf eingestellt. Das wechselt bei mir täglich, aber mittlerweile denke ich wieder, wir haben zwar keine Chance, aber wir sollten sie nutzen.«
»Sehr witzig, Barbara«, murmelte Hagen von Boldt. »Ich schicke dann also heute noch unsere Bemerkungen für Prinz Christian los, damit er sich auf das Interview vorbereiten kann, und wir beide machen uns an die Klageschrift.«
»Endlich mal wieder was Handfestes zu tun«, sagte Barbara strahlend. »Ich hasse es, zur Untätigkeit verdammt zu sein, weißt du?«
»Du wirst dich in nächster Zeit nicht beklagen können, da kommt sehr viel Arbeit auf uns zu.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
*
Jakob