Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman. Karina KaiserЧитать онлайн книгу.
lernen.«
»Ist schön auf Stern«, meinte Kim seufzend. »Als ich bin gekommen nach Deutschland, ich musste ganz viel lernen. Zuerst ich habe verstanden gar nichts und sprechen ich konnte die komische Sprache auch nicht. Schade, dass auf Erde nicht ist so einfach wie auf Stern.«
»Da sagst du ein wahres Wort«, erklärte Martin im Brustton der Überzeugung. »Wenn das hier so einfach wäre, hätten wir keine Probleme mehr mit englischen Vokabeln. Wir könnten automatisch jede Sprache und würden nur noch Einser in der Schule schreiben. Das wäre eine tolle Sache, die uns das Leben viel leichter machen würde. Wir bräuchten nie wieder Vokabeln zu büffeln und Grammatik auch nicht.«
»Dann können Kims Eltern meinen Papa sogar verstehen, wenn er Italienisch spricht«, resümierte Romina. »Deutsch kann er auch sehr gut, aber manchmal spricht er gerne Italienisch, besonders, wenn er gerade einmal aufgeregt ist oder ganz schnell etwas erklären möchte.«
»Ja, alle verstehen ihn auch, wenn er Italienisch spricht«, bestätigte Pünktchen und blickte in den Nachthimmel. Gemeinsam betrachteten die Kinder schweigend den ausgewählten Stern.
Martin und Pünktchen wussten natürlich längst, dass verstorbene Eltern nicht auf einem Stern lebten. Aber sie hüteten sich, den jüngeren Kindern diese zauberhafte Vorstellung zu nehmen, die ihnen Trost bereitete und eine Menge Kraft geben konnte.
Es schadete nicht, wenn es da ein Märchen gab, an dem sie sich festhalten konnten. Wie wichtig dieser Halt für die Kinder war, stellten Martin und Pünktchen in diesem Augenblick ganz deutlich fest. Es lag ein Lächeln auf Rominas Gesicht, als sie zaghaft die Hand hob und ihren auf dem Stern wohnenden Eltern zuwinkte.
»Hallo, Mama und Papa. Ihr könnt mich bestimmt sehen, auch wenn ich euch nicht sehen kann. Ich bin jetzt in Sophienlust. Die Eltern der anderen Kinder haben euch bestimmt schon von dem Kinderheim erzählt. Es ist schön hier. Fabio und ich dürfen für immer bleiben. Das hat Tante Isi mir versprochen. Ihr braucht euch also keine Sorgen um mich zu machen, und hoffentlich seid ihr mir nicht böse, weil ich aus dem Fenster geklettert bin und doch bei Vanessa übernachtet habe. Ich weiß, dass ich das nicht tun durfte. Aber ich weiß auch, wie lieb ihr mich habt. Ich habe ja schon oft etwas angestellt, und ihr seid mir eigentlich nie richtig böse gewesen, wenn ich mich entschuldigt habe. Also, es tut mir leid, dass ich ausgerissen und zu Vanessa gegangen bin. Damit ist alles wieder in Ordnung, nicht wahr?«
Pünktchen und Martin wechselten einen vielsagenden Blick, der von den kleineren Kindern unbemerkt blieb. Rominas Entschuldigung rührte sie ebenso wie der feste Glaube des kleinen Mädchens, dass die Eltern nun nicht mehr böse waren. Gleichzeitig mussten die beiden auch daran denken, was passiert wäre, wenn Romina sich nicht ungehorsam gezeigt hätte. Dann wäre sie jetzt wahrscheinlich nicht in Sophienlust. Dann wäre alles anders und noch weitaus schlimmer gekommen.
*
Mit der Unterstützung der Behörden war es für Denise kein Problem gewesen, Rominas Angehörige ausfindig zu machen.
Etwa zweihundert Kilometer entfernt lebten ihre Großeltern. Barbara und Thorsten Ellinger besaßen dort ein recht bekanntes Hotel. Denise erfuhr, dass die beiden Leute über den Tod ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes bereits informiert waren. Allerdings war vorläufig versäumt worden, sie davon zu unterrichten, dass Romina den Brand überlebt hatte. Diese gute Botschaft wollte Denise den Großeltern nun selbst überbringen.
Bevor sie sich auf den doch recht weiten Weg machen, entschied sie, die Ellingers zunächst telefonisch zu unterrichten. Zwar wunderte sie sich ein wenig darüber, dass Romina bisher nie von Oma und Opa gesprochen hatte, doch das führte sie auf die Schocksituation zurück, unter der das Kind noch immer stand.
Nick war anwesend, als seine Mutter die Nummer der Ellingers wählte. Er wollte gerne Zeuge des Gespräches sein und freute sich schon darauf, dass ihnen eine freudige Nachricht überbracht werden konnte.
Thorsten Ellinger, der mit seiner Frau gerade über die Neugestaltung der Hotelhalle sprach, meldete sich bereits nach dem ersten Klingeln. Verwirrt schüttelte er den Kopf, als Denise sich vorstellte und erklärte, dass sie vom Kinderheim Sophienlust aus anriefe.
»Zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, wie leid mir der Tod Ihrer Tochter und Ihres Schwiegersohnes tut«, erklärte sie. »Es ist ein schreckliches Unglück gewesen, das Sie sehr belasten muss. Aber ich habe auch eine gute Nachricht. Sie wissen es noch nicht, aber Ihre Enkeltochter Romina hat überlebt. Sie ist unverletzt und befindet sich mit ihrem Hund Fabio hier bei uns.«
Thorsten hatte den Lautsprecher des Telefons eingeschaltet, damit seine Frau mithören konnte. Barbaras Gesicht war nun ebenso erstaunt wie das ihres Mannes. Sie zog die Schultern hoch und schüttelte ratlos den Kopf.
»Entschuldigen Sie, Frau von Schoenecker, aber das muss ein Irrtum sein«, bemerkte Thorsten. »Die Sache mit dem Brand stimmt. Die Polizei hat uns darüber informiert. Aber es gibt keine Enkeltochter. Jedenfalls haben wir keine Ahnung von der Existenz eines Kindes.«
Jetzt war das Erstaunen auf Denises Seite, und auch Nick blickte verblüfft drein. »Das kann ich nicht ganz verstehen. Es besteht kein Zweifel daran, dass Romina Castello die Tochter von Jenny und Alessandro Castello ist. Jenny Castello war doch Ihre Tochter, nicht wahr?«
»Ja, sie ist unsere Tochter gewesen. Aber das ist lange her. Jenny hat sich gegen unsere Familie entschieden, und seit dieser Zeit war sie nicht mehr unsere Tochter.«
»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, gestand Denise.
»Das glaube ich Ihnen. Es ist eine lange und traurige Geschichte, die sich allerdings in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt. Wir haben zwei Töchter, Linda und ihre um vier Jahre jüngere Schwester Jenny. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir beide Kinder gleichermaßen geliebt haben. Während Linda sich sehr gut entwickelte, hat Jenny uns hingegen viele Sorgen bereitet. Sie war eigenwillig und stur. Trotzdem hat sie ihr Abitur geschafft und ein Studium begonnen. Aber sie hielt nur zwei Semester durch. Dann lernte sie bei einem Kirmesbesuch eine italienischen Schausteller kennen und hat sich in diesen Mann verliebt. Als wir ihr diese Verbindung untersagten, ist sie mit ihm praktisch durchgebrannt und von einem Kirmesplatz zum nächsten gereist. Ein halbes Jahr lang haben wir noch versucht, Jenny zur Vernunft zu bringen. Sie sollte nach Hause kommen und ihr Studium wiederaufnehmen. Das hat sie abgelehnt, und wir hatten keine andere Möglichkeit, als unsere Tochter aufzugeben. Seit mehr als acht Jahren haben wir nichts mehr von ihr gehört und auch keinen Wert mehr darauf gelegt.«
Denise fühlte Zorn in sich aufsteigen. Wie konnten Eltern ihr eigenes Kind verstoßen, nur weil sie mit der Wahl des Schwiegersohnes und der Weltanschauung nicht einverstanden waren? Doch hier ging es nicht um das Verhältnis, das die Ellingers zu ihrer Tochter Jenny gehabt hatten, und auch nicht darum, ihnen vorzuhalten, wie egoistisch und engstirnig ihre Einstellung war. Allein Romina und deren Zukunft standen im Vordergrund.
»Das Zerwürfnis zwischen Ihnen und Ihrer Tochter tut mir aufrichtig leid. Es ist immer schade, wenn eine Familie zerfällt. Aber hier gibt es ein kleines Mädchen, das seine Eltern verloren hat und trotz der ungünstigen familiären Verhältnisse Ihre Enkeltochter ist. Romina ist sieben Jahre alt und hat keinerlei Schuld auf sich geladen. Offensichtlich weiß sie bis jetzt nicht, dass sie Großeltern hat. Vielleicht wären Sie zumindest bereit …!«
»Nein, ich bin zu gar nichts bereit«, unterbrach Thorsten. »Wenn dieses Kind nicht weiß, dass es Großeltern hat, sollte das auch so bleiben. Unsere Tochter Jenny existiert für uns schon lange nicht mehr. Erst durch die Polizei haben wir jetzt erfahren, dass sie diesen Alessandro Castello wohl tatsächlich geheiratet und seinen Namen getragen hat. Mehr brauchen wir über Jenny nicht zu erfahren, und dieses Kind, dass sie mit einem italienischen Kirmesbudenbesitzer in die Welt gesetzt hat, geht uns nichts an. Mit einem Kind aus solchen Verhältnissen wollen wir nichts zu tun haben. Ich nehme an, dass sich das Jugendamt um das Waisenkind kümmern und für seine Unterbringung sorgen wird.«
»Selbstverständlich ist für Romina gesorgt«, bestätigte Denise. »Sie kann hier bei uns in Sophienlust bleiben und behütet aufwachsen. Aber der Kontakt zu Verwandten ist für Kinder, die ein so schweres Schicksal