Slumlords. Alexander BroicherЧитать онлайн книгу.
mir, während er sein Gesicht vom Geschmack der Droge verzog. Es war eine absolut nutzlose Information für mich, denn ich hielt mich von solchen Geschäften fern, aber Kokain ließ selbst Banalitäten wie die Entdeckung der Relativitätstheorie wirken. Entsprechend staatstragend musterte er mich, als hätte er mir soeben ein hoch brisantes Dossier zugespielt.
»Sieht man noch was?«, erkundigte er sich und gewährte mir einen Blick in seine Nasenlöcher. Sie waren frei von Kokainspuren. Ich schüttelte den Kopf. »Gut«, sagte er. »Ich muss jetzt nämlich in ein Meeting mit Private Equity-Fuckern.«
An einem Wochentag war Frankfurt um kurz vor Mitternacht tot. Als hätte man der Bevölkerung einen Hausarrest angeordnet. Perfekt für mich, um viel von dem Spam zu löschen, der sich auf der Festplatte in meinem Kopf angesammelt hatte: Die Zustände im Ghetto, Hakan, Luisa Strahlenberg, ein geplantes Kidnapping, Harro und die zwei Geldeintreiber. Nach einer Dreiviertelstunde an der frischen Luft war ich in einer Wohngegend gelandet, in der schön renovierte Altbauten standen und die Laternen ein sanftes Licht warfen. Die ganze Straße runter parkten fette Karossen ordentlich hintereinander aufgereiht, blitzblank wie in einem Werbespot der deutschen Automobilindustrie. Es war so idyllisch und leise wie es mitten in einer Großstadt nur sein konnte. Hier lebten Familien mit Kindern. Leute in meinem Alter, die spießig waren wie ihre Großeltern, sich aber für total modern und weltoffen hielten, weil sie eine türkische Putzfrau hatten und ihren Nachwuchs auf eine internationale Schule schicken konnten.
Doch irgendwas irritierte mich an dieser gelackten Kulisse. Ich hatte etwas wahrgenommen, das ein Fuchs sein konnte, der sich aus der nahegelegenen Parkanlage verirrt hatte. Oder ein Junkie aus dem Bahnhofsviertel, der wartete, bis ich an ihm vorbei war, um mir dann von hinten eins über den Schädel zu hauen. Ich war augenblicklich angespannt und hellwach. Nicht, dass ich viel Geld bei mir trug, aber so ein durchgeknallter Freak, der dich mit einer Aids-infizierten Spritze bedrohte, war nicht lustig.
Dann bemerkte ich auf der anderen Straßenseite in circa 30 Metern Entfernung eine dunkle Gestalt hektisch zwischen den Wagen hin und her rennen. Ich blieb stehen und stellte mich in den Schatten, um zu checken, was da los war. Ich hatte keine Lust, in dieser einsamen Ecke einer Jugend-Gang in die Arme zu laufen, die hier gerade teure Autos anzündete. Aber es war nur ein Einzelner. Der Typ im schwarzen Hoodie sprang mit einem Karatetritt gegen einen Außenspiegel und trat ihn von einem Mercedes ab. Dasselbe machte er mit dem Audi dahinter. Dem Renault trat er eine tiefe Delle in die Seitentür. Auch wenn hier nur Biofresser und grüne Karrieristen wohnten, aber mir gingen diese radikalen Studenten auf die Nüsse, die einfach nur Bock hatten, Besserverdienenden die schicken Limousinen zu demolieren. Also duckte ich mich und schlich mich an ihn heran. Einem BMW zerkratzte er mit einem Schlüssel den Lack. Es quietschte grässlich. Dann nahm er Anlauf und sprang in die Beifahrertür. Der Aufprall ließ ihn auf den Bürgerstieg krachen. Er keuchte und lag am Boden, was ich nutzte, um ihn zu stellen.
»Geht’s dir noch gut, du Penner?«, fragte ich ihn mit geballter Faust, um ihn notfalls sofort umhauen zu können.
Ein entsetztes Gesicht starrte mich an. Ich holte mein Handy hervor, schaltete die Taschenlampen-Funktion ein und leuchtete der Person ins Gesicht. Sie hielt ihre schmutzigen Handflächen schützend hoch. Ich riss ihr die Kapuze runter, als wäre ich Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes.
»Ich wollte das nicht!«, antwortete eine atemlose und verängstigte Mädchenstimme mit osteuropäischem Akzent.
Es war tatsächlich ein Girl! Sie hatte langes Haar. War vielleicht 25. Und sauhübsch. Ich machte die Funzel wieder aus.
»Was soll der Scheiß?«, wollte ich wissen.
»Bitte keine Polizei«, flehte sie mich an.
»Was bist du? So eine von diesen Occupy-Aktivisten?«
»Ich gehöre keiner Organisation an«, raunzte sie zurück, als wäre ich vom KGB und sie eine tapfere Widerstandskämpferin.
»Du kommst aus Tschechien oder Polen und bist aber gegen die Globalisierung, oder wie?«
»Ich bin aus Russland«, antwortete sie stolz, als hätte ich sie mit meiner Vermutung beleidigt.
Den Sachschaden, den sie angerichtet hatte, das waren locker ein paar tausend Euro. Sie sah nicht aus, als hätte sie die in bar dabei. Ich guckte mich um, ob Nachbarn durch den Krawall aufmerksam geworden waren, aber irgendwie hatte es niemand mitbekommen. »Steh auf«, forderte ich sie auf. »Wir müssen weg hier.«
Das kräftige Fräulein richtete sich auf. Sie war fast einsachtzig. Modelmaße. Sie blickte mich erwartungsvoll an. Aus großen braunen Augen hinter perfekten Wangenknochen. Ich war so fasziniert von ihrem Aussehen, dass ich nicht mal die Polizei geholt hätte, wenn sie meinen Geländewagen vor meinen Augen abgefackelt hätte.
»Wie heißt du?«, fühlte ich sachlich vor.
Sie zögerte erst. »Ludmilla«, sagte die schönste Frau der Stadt. Dann fing sie ganz langsam an zu lächeln. Weil sie wusste, dass sie gewonnen hatte. Ich war verschossen und würde sie weder anzeigen, noch dazu nötigen meinen Schwanz zu lutschen.
»Ich lad dich auf einen Drink ein«, bot sie mir an.
Bis wir eine Kneipe fanden, hatte sie mir eine Story erzählt, die ihren Wutausbruch entschuldigen sollte: Ludmilla war bei einer wohlhabenden Russin in einem Botox-Salon als Empfangsdame angestellt, aber gekündigt worden, weil sie angeblich in die Kasse gegriffen haben soll. Das sei Unsinn, aber die reiche Schlampe wäre neidisch auf ihre Jugend gewesen und wollte sie deshalb demütigen. Darum hatte sie ihre Aggressionen an kostspieligen Autos auslassen müssen. Der Zusammenhang erschloss sich mir zwar nicht komplett, aber in meinem frisch verliebten Zustand hätte sie mir auch erzählen können, dass es die späte Rache dafür war, dass ihr Großvater in Stalingrad von Deutschen abgeknallt wurde. Eine Art Wiedergutmachung für die Verwüstung, welche die Wehrmacht damals angerichtet hatte.
»Wie alt bist du?«, erkundigte ich mich am Tresen.
»24«, sprach sie es wieder mit diesem holprigen Akzent aus. Es klang sexy bei ihr.
»Willst du einen Wodka?«, fragte ich.
»Nein! Ich hasse Wodka! Lieber ein Bier vom Fass«, überraschte sie mich.
»Eine Russin, die keinen Wodka mag?«, musterte ich sie erstaunt.
»Ich finde das Zeug zum Kotzen!« Sie verzog das Gesicht.
Ich sah den schnauzbärtigen Kellner an. »Ein Gezapftes und einen Cuba Libre«, bestellte ich absichtlich einen Drink für mich, in dem kein Wodka drin war.
»Und womit verdienst du dein Geld?«
Ludmilla gab mir zumindest das Gefühl, dass sie sich auch für mich interessierte.
»Ich bin an einer kleinen Bar beteiligt«, hielt ich mich bedeckt.
»Oh! Braucht ihr noch eine Aushilfe?«
»Derzeit nicht, aber in der Branche herrscht ja eine gewisse Fluktuation«, machte ich ihr ein wenig Hoffnung. Aber ich würde einen Teufel tun und meine Neuentdeckung gleich auf eine Bühne stellen, auf der sie gut betuchten Geschäftsleuten ausgeliefert war. Der Kneipier stellte uns die Getränke hin und Ludmilla reichte ihm dafür ein paar Münzen. Sie stieß mit mir an und sah mir tief in die Augen.
»Könnte ich heute bei dir pennen?«, fragte sie.
»Du kannst sofort bei mir einziehen«, antwortete ich.
Wir lächelten uns an. Erst danach versuchte ich zu sortieren, was mit dieser ergreifend reizenden Russin los sein könnte? War sie die schönste Obdachlose der Welt? Hatte ein reicher Gönner sie vor die Tür seiner Villa gesetzt? War sie wegen Mietschulden aus ihrer Bude geflogen? »Ich habe gerade eine Art Trennung hinter mir«, erklärte mir Ludmilla unaufgefordert, als ob sie meine Gedanken lesen konnte.
»Wie jetzt? Bist du solo oder nicht?«
Ludmilla nahm lieber einen Schluck Bier, bevor sie präziser wurde. »Diese Chefin von der Botox-Praxis, sie ist lesbisch. Sie ist total in mich verliebt und hat mich bei sich wohnen