Sauerland Live. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
Über dieses Buch
Ja, was passiert denn da in diesem Buch? – Alles! Das können Sie glauben. Die Familie Knippschild lebt irgendwo im Land der berühmten tausend Berge. Mittendrin. Sauerland live eben. Das ist schon eine Herausforderung und ganz was Besonderes, so mitten unter Sauerländern.
Aber im Grunde ... ist es wie bei Ihnen.
Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten noch nie gedacht, ich seh aus wie ’ne Omma, nachdem Sie vom Friseur gekommen sind, ich kann so nie wieder unter Menschen gehen. Manchmal? Na? Sehen Sie, es stimmt. Und sagen Sie nicht, Sie hätten bei dem ewigen Ärger mit diesem blöden Weh-Lahn und den verdammten Passwörtern noch nie gedacht, dass Sie digital doch nicht so ganz auf der Höhe sind, wie Sie immer dachten.
Und haben Sie etwa noch nie befürchtet, Sie seien einfach zu blöd für den Sonntags-Tatort, weil Sie mal wieder nichts verstanden haben, oder graut es Ihnen schon jetzt vor Heinz’ und Mimis Goldener Hochzeit im August, auf die Sie wenig Lust haben, weil es wieder eine von diesen berüchtigten Familienfeiern werden könnte?
Genau. So isses. Und das steht alles in dem Buch von Reiner Hänsch drin.
Sie werden sich beömmeln, denn irgendwie kommen Sie selbst drin vor – in diesem Buch, in dem alles so schrecklich normal und doch so völlig bekloppt ist. Aber so ist das Leben!
Und oft merkt man es eben erst, wenn man es in Sätzen aufgeschrieben sieht.
Manchmal, da passier’n dir Sachen
kannz‘ ers‘ später drübber lachen
Junge, Junge, allerhand!
Gibt‘s dat nur im Sauerland?
Hallo! Schön, dass Sie da sind.
Wir sind im Sauerland – live und mittendrin. Naja, also eigentlich mehr so hinten, da, wo man immer denkt, dass da nicht viel los sein kann. Aber da täuscht man sich. Hier ist immer was los.
Wir, das ist die Familie Knippschild. Meine liebe Frau Steffi, unser Sohn Max, vierzehn, und ich: Alex Knippschild, … aber für Sie gerne nur der Alex. Vielleicht kennen wir uns ja auch schon.
Wir wohnen seit einigen Jahren in dem kleinen Dorf Leckede zwischen Misthaufen, Kirchtürmen und Güllegruben, wo es wirklich sehr schön, sehr beschaulich, sehr grün, meistens am Schiffen is‘, wie der Sauerländer sagt, wenn er regnen meint - und natürlich sehr bergig.
Land der tausend Berge. Sie haben sicher schon mal davon gehört, oder wohnen vielleicht sogar selber hier. Es ist nicht exotisch, nein, denn, wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen, wie der Dichter ja so schön sagt, aber das muss es auch nicht sein.
Und ich, Alex Knippschild, kenne das Sauerland ja auch schon sehr lange, weil ich hier geboren bin. Meine Steffi übrigens auch, aber ganz woanders. Das Sauerland ist ja nicht gerade klein und da kannten wir uns einfach noch nicht. Irgendwann sind wir dann beide mal unabhängig voneinander vor den Misthaufen in die große Stadt geflohen …, um dann aber gemeinsam und zu dritt wieder zurückzukommen.
Ich bin jetzt Chefredakteur (was sich wichtiger anhört, als es ist) einer kleinen wöchentlich erscheinenden Zeitung in unserer Gegend, dem Sauerlandbeobachter.
Und wer das Sauerland sorgfältig beobachtet, der wird sich immer wieder wundern, schmunzeln oder auch mal den Kopf schütteln müssen über diese Sauerländer.
Mehr als ‘n Sauerländer kann der Mensch nich‘ werd‘n, sagen manche hier. Naja, ist ja nicht ganz ernst gemeint.
Sie werden vor allem mich und meine kleine Familie ziemlich gut kennenlernen. Unser Leben, unsere Problemchen, unseren Spaß, unsere ständigen Katastrophen, unsere Abenteuer – mitten unter Sauerländern. Unter uns Sauerländern.
Aber Sie werden vor allem sehr viel Bekanntes und sehr viel Menschliches finden. Denn auch im Sauerland ist das Leben meistens schrecklich normal und doch so völlig bekloppt.
So wie bei Ihnen.
Und Sie werden sich immer wieder fragen: Wat machen se denn getz wieder, de Knippschilds?
Also auf ins erste Abenteuer. Sauerland live!
Viel Spaß dabei!
Ihr Alex Knippschild
Das erste Abenteuer
Frau Pütter braucht Weh-Lahn
„Ich krich de Pimpernellen!“, sagt die Frau, „ich krich de Pimpernellen!“ Dabei schüttelt sie den Kopf, dass die bläulichen Dauerwellen fast herausgeschleudert werden.
De Pimpernellen!
Natürlich weiß man nicht, was de Pimpernellen wirklich sind. Eine Krankheit, Viren, Bakterien? Man weiß nur, dass es ernst um die arme Frau steht und dass sie Gefahr läuft, auf der Stelle verrückt zu werden.
Max und ich sehen uns mit großen, erstaunten und neugierigen Augen an. Ich hab ihn gerade gerade von der Schule abgeholt, und weil ich bei Handyfone, dem Handyladen meines Vertrauens noch ein paar kleine wichtige Informationen, was die Welt der modernen Kommunikation betrifft, haben wollte, habe ich ihn einfach mitgenommen.
„Dauert nicht lange, Max.“
„Na, gut.“
Er geht sonst eigentlich recht gerne in den Handyladen – aber nicht mit mir.
Die ältere Dame, die ja laut ihren eigenen Aussagen droht, diese berüchtigten Pimpernellen zu kriegen und in eine ernsthafte psychische Störung hineinzugeraten, wird von einer sehr jungen, recht hübschen Frau mit einem fast nicht sichtbaren Piercing in der Unterlippe betreut, das eigentlich aussieht, als hätte sie noch etwas Frühstück im Gesicht. Reste eines Mohnbrötchens vielleicht. Sie kümmert sich geradezu rührend um die ältere Frau, lächelt sanft, fasst die Frau sehr fürsorglich am Arm und führt sie zu einem Tisch in der hinteren Ecke des Ladens, wo es etwas ruhiger ist und wo sie nicht mehr so im Zentrums der allgemeinen Aufmerksamkeit steht. Denn es handelt sich ja eher um einen sehr privaten Moment, wenn man de Pimpernellen kriegt. Und wer will da schon größere Aufmerksamkeit erregen?
Trotzdem sind Max und ich natürlich immer interessiert an derlei menschlichen Abgründen und schleichen uns, mit schlecht gespielter Aufmerksamkeit die Angebote der aktuellen Smartphonewelt betrachtend, an den Regalen des recht gut besuchten Ladens vorbei in Richtung hintere Ecke.
Da haben wir einen sehr guten Platz, können gut sehen und hören, und bekommen so sicher alles mit, was mit dem geistigen Verfall dieser Frau zu tun hat. Vielleicht kann man ja auch helfen, wenn es der Frau wirklich so schlecht geht. „Wie kann ich Ihnen denn helfen?“, fragt die junge Handysachverständige und schaut der armen Frau tief und vertrauensvoll in die leeren Augen. Die freundliche Kundenberaterin hat sowas in ihrer Stimme, wie dieser Mann, der nachts im Radio immer die Hilferufe völlig verzweifelter Menschen annimmt und auf sie einredet, damit sie sich nicht das Leben nehmen - oder eben anderen.
Die ältere Dame, ich schätze sie so auf etwa fünfundsiebzig, Ende Siebzig, hat sich scheinbar etwas beruhigt, bringt auch schon wieder so etwas wie ein Lächeln zustande und sagt dann: „Dat mit dem Lahn geht nich‘ mehr. Ich krich noch …“
„Ja, ja.“
Dann jammert die arme Frau, macht ein reichlich zerknittertes Gesicht und schüttelt verzweifelt ihr Handy, das sie fest umschlossen in ihrer rechten Hand hält, und auch schon wieder ihren Kopf, weil das verdammte Leben immer schwieriger wird. Und sie fängt schon wieder an, sich ein wenig aufzuregen.
Max sieht mich an und verdreht die Augen. Ja, ja, ich weiß schon, was er denkt. Die alten Leute! Was brauchen die denn überhaupt noch ein Handy? Ich weiß auch, dass Max mich insgeheim auch schon dazuzählt, obwohl ich erst sechsundvierzig bin und leider auch ab und zu