Sauerland Live. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
Busch, denn ich vorgestern schon fast niedergerungen hatte, hat als erster verspielt. Wrooouuum! Wrooouuum! Alles ab. Der verbliebene Wurzelstumpf wird mit ein, zwei wuchtigen Spatentritten ausgegraben, und wir haben an dieser Stelle schon eine Menge Platz gewonnen. Ich sehe den Weg nach draußen, die Freiheit. Auch Max zeigt sich beeindruckt. Ein tolles Schauspiel. Dann kommt der nächste Busch.
Steffi gesellt sich jetzt, aufgeschreckt durch die ungewohnten beängstigenden Geräusche zu uns, steht jetzt neben meinem Sessel und hält sich die Hände vor den Mund.
„Was machen die denn da?“, fragt sie entsetzt und will sofort rauslaufen, um den Männern Einhalt zu gebieten.
„Lass die doch mal, Steffi. Die wissen schon, was sie tun. Das sind schließlich Fachkräfte. Und du hast ihnen doch eindeutig gesagt, was gemacht werden soll, oder? Exaktes Briefing, wie ich dich kenne.“
Steffi ist etwas verunsichert und wirkt eingeschüchtert.
„Sieh doch mal, Steffi, da, wo vorgestern noch dieser Busch war, ist jetzt freie Sicht nach draußen. Das ist doch schon mal sehr schön. Wir werden wieder atmen können, neue Aussichten haben, ein neues Leben anfangen.“
Sie zuckt zusammen, als gerade eine zweite Kettensäge anspringt und einer der Männer auf einer langen Leiter sich an einem besonders dicken Ast der Eiche zu schaffen macht. Er balanciert ganz oben auf dem wackeligen Ding und hält sich noch nicht einmal fest.
„Pass bloß auf, du Tuppes da oben!“ und „Schnauze!“, ruft man sich fröhlich zu. Ja, so macht die Arbeit Spaß.
Max zeigt voller Begeisterung auf diesen todesmutigen Mann im Baum. Steffi jedoch scheint noch nicht so recht an eine Verbesserung ihrer Lebensqualität durch marodierende, wilde Männer zu glauben. Der Ast fällt krachend auf den Rasen, den ich auch mal wieder mähen müsste.
„Siehst du Steffi? Licht! Luft! Das wolltest du doch.“
Sie zieht sich nachdenklich in die Küche zurück.
Dann kommt ein Lastwagen der Firma Schürmann, der einen Hubwagen zieht. Er muss leider durch die Ecke mit den Forsythien fahren, weil er sonst nicht aufs Gelände kommt. Na gut. Der gewaltige Schredder steht noch auf der Ladefläche und ein kleiner Bagger rollt gerade herunter. Toll. Wat ‘n Apparillo!, wie der Sauerländer sagen würde. Was die alles haben! Ich hole mir jetzt auch einen Kaffee, bringe Max eine Cola Zero mit und wir sind gespannt, wie es weitergeht.
Mit dem Hubwagen, der tiefe Spuren im Rasen hinterlässt und ein paar Terrassenplatten platzen lässt, ist es ganz einfach, die obersten Äste der alten Eiche zu erreichen und mühelos abzusägen. Auch sie landen krachend auf dem Rest des Rasens, der sich langsam in eine Art Kraterlandschaft verwandelt. Vielleicht muss ich ihn nie wieder mähen. Einer der Männer sieht sich den soeben abgesägten Stumpf an und schüttelt den Kopf. Was mag das zu bedeuten haben? Die anderen aber haben ihren Spaß und Schürmann brüllt Befehle über den Schlachtenlärm.
„Haut wech, die Scheiße!“
Steffi wagt noch einen letzten scheuen Blick aus der Küche, weil sie das Krachen, Stechen, Hauen und Gebrülle nicht mehr überhören kann, und sie tut mir wirklich leid.
„Steffi, Max“, sage ich und erhebe mich aus dem Sessel, „lasst uns mal einen schönen langen Spaziergang machen. Hmm? Was haltet ihr davon?“
Max hält nichts davon und will auf jeden Fall bleiben, aber Steffi nickt still. Wir ziehen uns also ein paar wetterfeste Sachen an und gehen los, ohne uns noch ein einziges Mal umzudrehen. Das Krachen, Heulen, Brüllen, Kreischen und Ächzen lassen wir einfach hinter uns.
Der Wald hat was. Ja, das habe ich immer gesagt, es ist wunderschön in so einem Wald. Dieser Wald, der recht nah an unserem Haus wächst, ist fast ein richtiger Urwald. Hier wird nicht viel gemacht. Eigentlich nichts. Ein schmaler, verträumter Weg führt uns an abgebrochenen Ästen und umgestürzten Bäumen vorbei in eine Zauberwelt aus Grün und Braun. Vögel singen, und andere krächzen, es raschelt im Gebüsch und sogar zwei Rehe können wir zwischen den Bäumen flüchten sehen. Hier kommt die Seele wieder ins Gleichgewicht. Das ist Natur, wie wir sie lieben. Ja!
Auch Steffi ist schon nach kurzer Zeit einigermaßen erholt und wirkt schon viel gefasster. Wir gehen noch ein, zwei Kilometer weiter, bis sie dann doch wieder etwas unruhig wird und sagt: „Lass uns mal wieder zurückgehen, Alex, sonst reißen die auch noch das Haus ab.“
Aber sie kann schon wieder lächeln. Also wollen wir doch mal nachsehen, wie weit die Männer sind.
Als wir unsere Besitzung erreichen, hat das Wüten und Morden aufgehört, es ist relativ still und nur der riesengroße Häcksler tut seine vernichtende Arbeit. Die Männer stopfen lachend und rauchend Äste und Gehölz in ihn hinein, und oben heraus kommt feines Sägemehl, das direkt auf die Ladefläche des Lasters befördert wird.
Wir sehen uns ungläubig um, und wenn wir nicht unser Haus, Herrn Schürmann und auch Max wiedererkennen würden, der jetzt hier mitten unter den harten Männern steht und mit ihnen lacht, aber zum Glück nicht raucht, dann würden wir denken, wir sind hier auf der falschen Baustelle.
Das ist nicht mehr unser Garten.
Der Rasen ist völlig verschwunden, er ist nur noch ein schlammbrauner Acker, weil man ihn mit einem Vertikutierer völlig umgewühlt hat.
„Damit dat Moos rauskommt, un datter wieder atmen kann, ja?“, sagt Herr Schürmann dazu.
Ah so. Das Moos. Aas klar. Die Kirschlorbeerbüsche sind gar nicht mehr vorhanden.
„Die wuchern ja nur alles zu. Dat blöde Kraut. Bringt ja nix.“
Zwei Fichten fehlen, keine Spur mehr irgendwelcher Blumen, … und die dicke Eiche ist gefallen.
„War innen total verfault. Totaler Schrott!“, sagt Herr Schürmann dazu. „Die wär Ihn‘n spätestens in eim‘ Jahr aufs Haus gefallen.“
Ah ja. Na, dann: weg damit! Danke auch.
Und der kleine Bagger hat ein recht tiefes nierenförmiges Loch mitten in unseren Garten gegraben, das sich schon langsam mit etwas Grundwasser füllt.
„War nur sonne Idee von mir, ja“, sagt Schürmann, „bin ja auch Gartengestalter, ja? Könnte doch ‘n schöner Teich werd‘n, woll. So ’ne größere Pfütze. Da stehder doch alle drauf, oder? Die Leute sin verrückt nach Teiche.“
Ja, ja, stimmt. Gute Idee eigentlich.
„Könn ’we aber auch wieder zuschütt’n, den Tümpel, wenn Se woll‘n.“
Ich weiß es nicht. Teich?
Steffi und ich sehen uns an und können noch immer nicht begreifen, wie an einem halben Tag sich im Leben so viel verändern kann.
Steffi hat, glaube ich, ein paar Tränen in den Augen - das kann aber auch vom Sägemehl kommen - und scheint zutiefst zu bereuen. Alles.
Als Schürmann bemerkt, dass unsere Stimmung momentan alles andere als euphorisch oder sogar voller Dankbarkeit ist, wie er es vielleicht erwartet hätte, sagt er nur: „Ach, dat sieht im Moment alles bisken wild aus, aber spätestens in eim‘ Jahr is‘ alles widder so wie vorhär. Glaum Se mir.“
Alles so wie vorher. Ja, dann hat es sich doch gelohnt.
Vielen Dank, Herr Schürmann!
Dritte Sauerländer Weisheit:
Is‘ dat Grüne ers‘ ma‘ hin
macht der Garten wenig Sinn
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