Meister Autor. Wilhelm RaabeЧитать онлайн книгу.
der Mohr bei uns. Denken Sie sich, — er, der Kleine, hatte gewollt, daß niemand von uns anders als durch der Zeiten Lauf von seinem Abscheiden benachrichtigt werden sollte; und bei seinem Grabe und Leichenkondukt hat er auch niemand von uns sehen wollen, und — jetzt — lieber Herr, Sie, der Sie mit allen Schreibereien Bescheid wissen, kommen Sie mit mir! Das Trudchen sitzt, seit ich bei Ihnen bin, mutterseelenallein im Gasthof bei den Fuhrleuten, und wartet wahrscheinlich mit Schmerzen auf mich, und jetzt — wenn Sie nichts Besseres vorhaben, so kommen Sie, uns zum Troste in der Ratlosigkeit, mit und helfen uns, ihre Erbschaft anzutreten! Ich bitte Sie herzlich, so gütig zu sein.«
Siebentes Kapitel.
Länger als eine gute Stunde hatte Herr Autor Kunemund seinem Herzen Luft gemacht, und ich hatte ihn erzählen lassen, und ihn, wie oben bemerkt, sogar nicht wenig ermuntert, so ausführlich wie möglich zu sein; aber jetzt fuhr mir ein um desto größerer Schrecken durch die Glieder.
»Mein Himmel, die Gertrud in der Stadt Lübeck! den ganzen Morgen da allein?
Kunemund, ich bitte Sie, weshalb konnten Sie mir das nicht gleich sagen?
Wie könnt Ihr das Kind — das Fräulein, so allein in dem Fuhrmannsausspann
sitzen lassen?«
»Weshalb denn nicht, lieber Herr? Wir haben gute Bekannte und Freunde dorten; gerade unter den Fuhrleuten haben wir die besten Freunde; und dann ist der Jüd Salomon Prasem auch mit uns gekommen, — das Trudchen war da ganz gut aufgehoben, bis wir es abholen.«
Das mochte nun sein; aber nichtsdestoweniger vervollständigte ich in hastigster Weise meine Toilette, und nach zehn Minuten schon befanden wir uns in den Gassen der Stadt: ich in aller Ungeduld, aber der Meister Autor, ohne es im geringsten eilig zu haben. Im Gegenteil, er hatte Zeit und Muße für jede Merkwürdigkeit, die ihm unterwegs aufstieß, und des Merkwürdigen stieß und fiel ihm alle zehn Schritte weit die Hülle und Fülle auf. Endlich erreichten wir die Stadt Lübeck aber doch.
Das ist in der Tat einer der besuchtesten und nahrhaftesten Ausspanngasthöfe der alten Stadt, und der Verkehr dort an allen Tagen der Woche sehr lebhaft; am Sonnabend jedoch am lebhaftesten. Und es war ein Sonnabend, und das Getöse vor, sowie die Bewegung in dem Hause ließen für den Inhaber des altberühmten Schildes nichts zu wünschen übrig. Ein halb Dutzend und mehr Lastwagen und Bauerwagen hielt vor dem hohen und weiten Torwege, und versperrte weithin die ziemlich breite Straße. Zertretenes Stroh, Fässer, Kisten, Kasten und Körbe, Hunde, Federvieh, Kinder, Gäste aller Art und jedes Geschlechtes füllten den Hof, die mächtige Hausflur, die Gaststuben und die Treppen. Aus der schwarzen, gewaltigen Küche leuchtete es gleich einer keineswegs geringen Feuersbrunst, mit der freilich der begleitende Geruch gottlob gar nicht stimmte. Kellner und Kellnerinnen, Köchinnen, Hausknechte, Stallknechte und vor allem Wirt und Wirtin schlugen nicht bloß in der Seele Rad, sondern machten auf jedermann, der mit offenem Munde und aufgesperrten Augen sich in dem Gewühl hin und her schieben und stoßen ließ, den Eindruck, als ob sie auch in einem fortwährenden, nimmer wieder endenden körperlichen Radschlagen begriffen seien.
In diesen Lärm und Wirrwarr traten auch wir jetzo ein, der Meister Autor und ich, und der Meister bahnte den Weg. Drei oder vier braune ausgetretene Stufen hinauf drängten wir uns aus dem Getümmel des Hausflurs in den Tumult der Gaststube hinein, und richtig fanden wir da die Gertrud Tofote und zwar ganz an demselben Platze, auf welchen sie der Meister Kunemund hingesetzt hatte mit der Ermahnung, sie möge sich die Zeit nicht lang werden lassen, er komme im Augenblick zurück und bringe den Trost im Elend (=NB=. in meiner Person) hoffentlich gleich mit her.
Auf den Trost hin hatte das junge Mädchen dann dagesessen, und — wie sich sofort auswies — keinen Augenblick Langeweile gehabt oder sich gar nach uns gesehnt. Als es uns erblickte, sprang es hinter seinem Tische mitten unter den verschiedenartigsten Sonnabendmorgengästen der Stadt Lübeck auf und rief, ohne anfangs die mindeste Notiz von mir zu nehmen:
»O Onkel, es ist gut, daß du kommst! wir haben schon lange auf dich gewartet! Kennst du den hier noch?«
Und sie wies unbefangen auf einen hübschen jungen Menschen, der neben ihr gleichfalls von der rotbraunen Bank aufgestanden war, und viel verlegener als die Gertrud, errötend uns anlächelte und in seiner schmucken Matrosentracht wirklich hübsch — sehr hübsch — und um so hübscher je blöder aussah.
»Na,« sagte Herr Kunemund, »es ist wohl nicht an dem? Ja, wahrhaftig, es ist doch an dem — er ist es! Je, Karl, wie kommst denn du hieher? woher bist du gefallen, Junge? Na, das ist wahrlich ein vergnügt Zusammentreffen, Karl, und dich können wir gleichfalls gerade brauchen. Siehst du, Trude, hab' ich's dir nicht gleich gesagt, daß du hübsche Leute zu deiner Unterhaltung hier finden würdest?«
Sie reichten einander die Hände, über den Köpfen und Schultern des Volkes am Tische weg, und ein teilnehmendes, vergnügtes Grinsen ging über jedes Gesicht an den vier Seiten. Bauern und Fuhrleute, Weiber und Kinder nahmen teil an dem fröhlichen Wiedersehen; aber den größten Teil nahm natürlich der Jüd Salomon Prasem, der da denn auch sagte:
»Mein, bei mir hat sich die Gertrude zu bedanken; — denn wer war's, der ihr den Karl Schaake herbeilotsete? Ich war es, Herr Kunemund.«
»Sollst deine Ehre behalten, alter Sackträger,« rief der Meister Autor, und das Trudchen — ja freilich, reden wir doch einmal von der Gertrud Tofote, ehe wir weiter schreiben. —
Es wird viel Wasser die deutsche Literatur hinunterlaufen, bevor ein zweites Nixen- oder Waldelfen-Gesicht wie das wieder aus ihr emportaucht! Das Trudchen hatte sich verändert in den Jahren, die hingegangen waren, seit wir es als Kind zuerst am Bache im Elm trafen. Es war ein großes Mädchen geworden — eine Jungfrau, wie man in den Büchern, — ein Fräulein, wie man im Leben des Tages sagt. Und was für eine Jungfrau?! was für ein Fräulein!
Daß ich das Kind von Zeit zu Zeit wachsen gesehen hatte, erhöhte meine jetzige Überraschung nur; denn wer sieht sich je satt an den uralten Taschenspielerkunststücken der alten geschickten Prestidigitatrice, Madame Physis, sonst auch Dame Natur genannt?! — Trudchen Tofote war eine reizende, völlig ausgewachsene Blondine von achtzehn Jahren geworden, und seltsamerweise schien der junge Leichtmatrose Karl Schaake das gleichfalls herausgefunden zu haben.
»Erlauben Sie gefälligst,« sagte der Meister Autor fein und höflich, »erlauben Sie, daß ich Ihnen diesen jungen Mann hier vorstelle und mit Namen nenne. Es ist nämlich Karl Schaake aus unserm Dorfe vor dem Walde, wissen Sie; sein Vater war Leinweber, sein Großvater war Leinweber, sein Urgroßvater war Leinweber, und von Rechts wegen müßte er, dieser Junge hier, auch Leinweber sein; aber können Sie es ihm verdenken, wenn er der ewigen sitzenden Lebensart halben sich mal in das Gegenteil geschlagen hat? Der Bengel fährt — tanzt auf dem Seil — geht querüber auf dem Wasser, kurz, um es kurz zu sagen, ist zu Schiff gegangen und hat alle seine ehrwürdigen Vorfahren mit offenem Maule sitzen lassen. Was sagen Sie dazu?«
Ehe ich etwas dazu sagen konnte, hatte sich der Meister bereits wieder an den Seemann selber gewandt:
»Und nun, du Schlingel, noch einmal: wo kommst du her? wo hast du dich wieder herumgetrieben?«
»O Herr Onkel, das wäre weitläufig zu beschreiben!« meinte der junge Mensch lachend. »Sie haben es ja schon längst verschworen, mir ein Wort zu glauben, und haben, was schlimm genug ist, auch das Trudchen auf den Glauben hin abgerichtet. Was meinen Sie nun, wenn ich hab' helfen, muhammedanische Pilger von Malakka nach Dscheddah expedieren und zwar während der ganzen drei letzten Jahre?«
»Das wird wieder ein schönes Geschäft gewesen sein!«
»Das war es freilich dann und wann. Hamburger Bark Kehrwieder, — Kapitän
Klütgen. Fragen Sie nur nach, die ganze Küste entlang, Onkel; o sie wissen
mich zu schätzen, die Kerle, die das Gesicht auf dem Bauche tragen, von
Sumatra