Meister Autor. Wilhelm RaabeЧитать онлайн книгу.
und ich vergeblich in den Schlaf hineinzukommen suchte, da kam es im großen und ganzen heiß und kalt über mich, was für ein Tag mir morgen bevorstehe, und wie ich mich zu demselbigen zu verhalten haben werde. Da warf ich mich hin und her und saß aufrecht und hätte mich auch ebensogut auf dem Strohsacke auf den Kopf stellen können; zu einem vernünftigen Gedanken verhalf mir das nicht. Erst als ich endlich doch vor Mattheit eingeschlafen und am Morgen wieder aufgewacht war, kam mir die Eingebung. War es nicht das einzig Richtige, alles dem Kleinen zu überlassen? Wer hatte sich denn eigentlich mit dem andern abzufinden? Er mit uns; oder wir mit ihm? Er mit uns natürlich, denn war der Junge von uns weggelaufen, ohne uns anders als durch seinen letzten Lumpenstreich es anzusagen, so lag es doch nun, obgleich über die alte Geschichte wohl mehr als einmal Gras gewachsen war — allein bei ihm, bescheiden anzupochen und sich zu entschuldigen und um gut Wetter zu bitten. Damit fuhr ich getröstet in die Stiefel; aber was das Wetter selber anbetraf, so war das heute noch um ein gut Teil grauer als gestern, doch regnen tat es auch an diesem Tage nicht. Wir hatten nur einen Korb voll Nebel mehr im Walde. Daß wir allesamt früh auf den Füßen waren, können Sie sich vorstellen; nur das Mohrenkind, der Wichselmeyer, oder Don Ceretto, schnarchte wie ein Weißer bis gegen Mittag an, was, nämlich das Schnarchen, auch wieder der Alten einigen Grund zum Handzusammenschlagen gab. Wir fanden sie richtig horchend an der Tür, und sie schlug die Augen wie in vollständiger Verzweiflung an unsrem Herrgott in die Höhe und ächzte: Auch das kann er wie ein richtiger Mensch! — Nun, Trudchen war kaum zu bändigen, und mein lieber Tofote ging herum wie ein Verrückter; ich aber setzte mich auf meine Schnitzbank, als ob ich drauf Wurzeln zu schlagen gedächte und spielte den Bullenkopf gegen mich und die Welt, bis der Kleine gegen ein Uhr avisiert wurde und wirklich da war.
Herr, ein Mensch genügt eigentlich nicht, um das Wiedersehen zu erzählen! Alle, die ihren Anteil daran hatten, müßten von Rechts wegen an dieser Stelle ihren Schnabel auftun; und Herr, daß Sie damals nicht dabei zugegen waren, das ist ein Jammer; denn trotzdem, daß Sie gewiß mehr studiert haben, sowohl im Bergfach wie in den übrigen Fächern, als ich für möglich halte, hätten Sie sich doch manches Komödienbillett — Affen- und Menschenkomödie! — erspart, wenn Sie an dem Tage uns schon die Ehre gegeben hätten, uns mit Ihnen bekannt zu machen; denn sehen Sie —«
Sechstes Kapitel.
»Erlauben Sie, lieber Kunemund,« sagte ich, dem Meister Autor die Hand auf das Knie legend und ihn bescheiden zum zweitenmale unterbrechend. »Ein Wort, bester Freund! Ich bin doch manch liebes Mal, nach unserm ersten Massenbesuch, als einzelner Heuschreck bei euch gewesen; aber wer von euch hat mir je von dieser Geschichte und allen ihren wahrscheinlichen Folgen geredet?«
»Wir nicht; — das ist richtig!« sprach der Meister. »Wer von uns konnte denn aber auch daran denken? Sie ging das doch gar nichts an!«
Ich schlug mich vor die Stirn und kam mir unendlich albern und abgeschmackt vor. Ich sah tief, lächerlich tief in die Widersinnigkeit des Lebens, das man, sozusagen, lebt, hinein und konnte nichts weiter sagen, als:
»Wahrlich!«
»Sehen Sie, seine werten Freunde muß man so wenig als möglich mit seinen eigenen Molesten molestieren,« sagte der Meister und fuhr, von nun an nicht wieder von mir unterbrochen, in seiner Erzählung fort, die wir wieder nur mit einem Gänsefuß am Anfange und einem am Ende geben:
»Die Feierlichkeit war groß. Wir standen im Ernst ein jeglicher in seiner Seele auf den Zehen; das heißt inwendig, denn was das Äußerliche anbetraf, so konnten wir blutwenig tun, und hatten auch sonst grade keine Lust, mehr zu leisten. Nur in der Küche war ein mächtiges Hallo; ganz wie im Evangelium, als der verlorene Sohn heimkam. Vom ersten Tagesgrauen an stand die Alte, ihr Horchen an des Mohren Kammertür abgezogen, in Dampf und Flammen, im Sieden und Protzeln. Aber der Mohr Signor Ceretto saß mit meinem Trudchen an der Tür auf der Bank und rauchte eine ganz gewöhnliche Meerschaumpfeife. Er war lange nicht so ungeduldig auf den Onkel als das Kind.
Wie gesagt, es hatte auf der alten Uhr hinter der Tür so ungefähr eins geschlagen, als er kam, und zwar tüchtig zusammengeschüttelt in einer alten Schöppenstedter Karrete, auf dem Holzwege, den Sie ja auch kennen, Herr Bergsekretär; und wenn sein Bremer Neger uns nur im ersten Moment in Verwunderung gesetzt hatte, so nahmen wir den Kleinen nach dem Anrumpeln der Kalesche nun merkwürdig kühl. Er setzte uns gar nicht in Verwunderung, nämlich was mich und den Tofote anbetrifft. Er war in einen dicken Mantel eingewickelt und hüstelte, und als ich ihm die Hand in das Gefährt reichte, sagte er: Guten Tag, Alter, ich habe es für meine Pflicht gehalten, — oder dergleichen und ich sagte: Sieh, Kleiner, bist du wieder da? — und damit hatten wir ihn auf dem festen Boden, und es wäre fast nötig gewesen, daß ich ihn wieder einmal auf den Arm genommen und ins Haus getragen hätte, wie ich das wohl tausendmal getan hatte, als ich noch seine Kindsfrau spielen mußte in unserer Jungenzeit. Herr, wenn von jeher an mir die Augen wenig taugten, so stehe ich dafür auf ziemlich festen Füßen, und meine Schulterbreite ist auch nicht ohne! Bei unsrem Kleinen war das alles umgekehrt. Augen hatte er vom Mutterleibe an wie ein Wildkater; aber von dem übrigen wollen wir heute, da das alles doch schon vom Grabscheit in der gewöhnlichen Weise versorgt worden ist, lieber nicht sprechen. Die Fremde hatte ihm in der Hinsicht wenig gut getan, und er brachte fast noch weniger mit, als er von Hause mitgenommen hatte. Aber das ist einerlei! Wie über seine Jugendzeit und -sünden Gras gewachsen ist, so samt sich das jetzo über dem übrigen an, und ich erzähle nur von wegen uns, die wir noch da sind. Wir hatten ihn vor der Tür — im Hause — im weichsten Lehnstuhl am Tische, und der Austausch und Handel mit den gegenseitigen Erlebnissen und Gedanken mochte vor sich gehen. Natürlich kam es denn auch, wie ich es mir am vergangenen Tag vorgestellt hatte: wir fanden uns heute so wenig wie vor den langen Jahren zusammen und ineinander. Und als es Dämmerung wurde, hatte er uns herzlich satt, und wenn ich offen sein soll, wir ihn auch. Herr von Schmidt, er ist mein leiblicher Bruder, und ich tat mein menschenmöglichstes, ihn den Nachmittag über mit Rührung und Weichherzigkeit als solchen anzusehen; aber noch vor dem vollen Einbruch der Dämmerung hielt ich ihn kurzweg von neuem für einen Lumpen, und daß er uns wie gewöhnlich für erbärmliche Tröpfe und die nichtsnutzigsten Narren von der Welt hielt, das konnte ich ebensogut sagen als er. Also wir vertrugen uns, der guten Bewirtung, die die Alte hergerichtet hatte, zum Trotz, gar nicht; und sie, die Alte, legte mit ihren Unkosten gar so wenig Ehre bei ihm ein, als wir mit unserer Einfältigkeit. So fuhr er ab, um noch bei Licht auf die Landstraße zu kommen, und wir sahen ihn abfahren. Seinen Mohren nahm er auf dem Kutschbock mit sich; und ein solch Gesicht, wie der Kerl uns zum Abschied zuschnitt, hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen und habe es auch bis jetzt noch nicht wieder zu Augen gekriegt, und kurioserweise tat sein Abschied mehr als einem von uns leid. Das Kind, unsre Gertrud, hatte dem Untier einen Geschmack abgewonnen, wie es kaum geglaubt werden kann, und die Alte war richtig fast eifersüchtig auf das Kind! — — — Daß der Kleine nicht wieder aus unserm Leben verschwand, nachdem wir ihn einmal wieder drin hatten, versteht sich wohl von selber; aber zu Gesichte kriegten wir ihn nicht wieder. Aus den Blättern, in welchen er ein Haus suchte, und auch sonst auf andere Weise erfuhren wir, daß er sich in hiesiger Stadt niedergesetzt habe, aber uns hier im Wald ließ er selbst von diesem Abschluß und Ende seines Vagabundenlebens nichts weiter zu Gehör kommen. Seinen Mohren Signor Ceretto Wichselmeyer schickte er auch nicht wieder heraus, was den andern im Hause am leidesten tat, worüber ich als sein Bruder — nämlich des Kleinen Bruder, mir aber jedoch mein Gefühl und Gemüte vorbehalte. So sind denn die Jahre hingegangen, eines nach dem andern, und wir haben an nichts gedacht, das kann ich Sie versichern. Und nun war ich neulich schon vor Ihrer Tür, lieber Herr Bergschreiber, als uns das Stadtgericht herzitiert hatte; aber Sie waren damals verreist, und so mußte ich mit meiner großen Neuigkeit und in meiner Bedrängnis wieder abziehen. Der Kleine war tot, und er hatte uns seinen letzten Streich gespielt; — was meinen Sie, was er getan hatte, um einen letzten Tritt in unsern ruhigen Ameisenhaufen zu vollführen? — er hatte unser Trudchen, die Gertrude Tofote, zu seiner Generalerbin eingesetzt! — Er hatte es getan! er hatte das Trudchen zu seiner Erbin gemacht, und da er nie etwas getan hat, ohne dabei etwas im Schilde zu führen,