Unbestreitbare Wahrheit. Mike TysonЧитать онлайн книгу.
so weggenommen.“
Stellen Sie sich vor, erwachsene Männer kommen zu Ihnen nach Hause und suchen nach Ihnen, obwohl Sie erst 12 sind. Ist das nicht Scheiße? Kann man es meiner Mutter verübeln, dass sie in Bezug auf mich jegliche Hoffnung aufgegeben hatte?
Die Tatsache, dass man mich in eine staatliche Besserungsanstalt schickte, war keineswegs cool, denn dort war ich mit den großen Jungs zusammen. Sie waren weitaus abgefuckter als die Jungs in Spofford. Aber Tyron war gar nicht so übel. Es gab hier jede Menge Cottages, und man konnte draußen herumspazieren, Basketball spielen und in die Sporthalle gehen. Ich jedoch bekam mal wieder sofort Schwierigkeiten. Ich war die ganze Zeit über schlecht gelaunt und einfach mies drauf, war streitsüchtig und band jedem auf die Nase, dass ich aus Brooklyn stamme und keine Lust habe, mich mit irgendeinem Bullshit abzugeben.
Eines Tages spazierte ich zu einer Unterrichtsstunde, als mir ein fremder Kerl begegnete. Er gab sich ganz taff, als ob er ein Killer wäre. Als er an mir vorbeiging, sah er, dass ich meine Mütze in der Hand hielt. Im Vorbeigehen zerrte er daran. Ich kannte ihn nicht, aber er zollte mir keinen Respekt. Als ich im Unterricht saß, grübelte ich volle 45 Minuten darüber nach, wie ich diesem Kerl dafür, dass er an meiner Mütze herumgezerrt hatte, den Garaus machen könnte. Als der Unterricht zu Ende war, ging ich hinaus und entdeckte ihn und seine Freunde an der Tür.
Den Kerl kaufe ich mir, dachte ich, und trat auf ihn zu. Er hatte die Hände in den Taschen vergraben und sah mich an, als könne er kein Wässerchen trüben. Deshalb griff ich ihn nicht besonders heftig an.
Man legte mir dann Handschellen an und schickte mich nach Elmwood, einem abgeriegelten Cottage für unverbesserliche Kids. Elmwood war das Letzte, und die Wärter waren echte Schläger. Die Typen von Elmwood sah man nur in Handschellen und in Begleitung von zwei Männern.
An den Wochenenden verschwanden alle Kids von Elmwood, die sich einwandfrei verhalten hatten, für ein paar Stunden. Sie kehrten mit gebrochenen Nasen, kaputten Zähnen, geplatzten Lippen und gebrochenen Rippen heim – sie waren in einem erbärmlichen Zustand. Ich nahm an, sie seien vom diensthabenden Personal so vermöbelt worden, zu der Zeit kam niemand auf die Idee, sich an die Gesundheitsbehörde oder den Sozialdienst zu wenden. Aber je intensiver ich mich mit diesen schlimm zugerichteten Kids unterhielt, desto bewusster wurde mir, dass sie keineswegs unglücklich waren.
„Verdammt, fast hätten wir ihn drangekriegt“, lachten sie. Ich hatte keine Ahnung, was sie meinten, und dann klärten sie mich auf. Sie kämpften gegen Mr. Stewart, einen der Gefängnisberater. Bobby Stewart war ein robuster Ire, ungefähr 77 Kilo schwer, ein ehemaliger Profiboxer und Amateurmeister.
Als ich im Loch saß, erzählte man mir, dass ein ehemaliger Box-Champion den Kids beibringe, wie man kämpfe. Die Mitarbeiter, die mir von ihm erzählten, waren sehr nett zu mir, und so wollte ich ihn kennenlernen, weil ich glaubte, er wäre es auch. Ein paar Wochen später, als ich wieder in meinem Zimmer war, klopfte es laut und kräftig an die Tür. Ich öffnete, und Mr. Stewart stand vor mir.
„Hi, Arschloch, du willst mich sprechen?“, brummte er.
„Ich will Boxer werden“, erwiderte ich.
„Das wollen die anderen Jungs auch. Aber sie haben nicht den Mumm, daran zu arbeiten“, erwiderte er. „Wenn du dein Strafregister in Ordnung bringst, dich nicht wie ein Arschloch aufführst und etwas mehr Respekt zeigst, arbeite ich vielleicht mit dir.“
Ich gab mir wirklich alle Mühe. Was schulische Leistungen betraf, war ich weit und breit die größte Niete, aber für einen ehrenvollen Platz auf der Liste sagte ich jetzt brav „Ja, Sir“ und „Nein, Ma’am“ und benahm mich wie ein Musterschüler, um mit Stewart trainieren zu dürfen. Ich benötigte einen Monat, um genug Pluspunkte zu sammeln, um boxen zu dürfen. Alle Kids versammelten sich, um zu sehen, ob es mir gelang, ihn zu besiegen. Ich war überaus zuversichtlich, dass ich ihn besiegen würde, und dann würden alle vor mir kriechen.
Sofort fing ich an, wild auf ihn einzuschlagen, ihn mit Hieben zu traktieren, und er ging in Deckung. Ich bearbeitete ihn mit Schlägen und Hieben. Doch plötzlich schlüpfte er an mir vorbei und rammte mir seine rechte Faust in den Magen.
Booosh, uggghh. Mir kam mein gesamtes Essen der letzten beiden Jahre hoch.
Zu der Zeit hatte ich noch keine Ahnung vom Boxen. Heute weiß ich, dass man ein paar Sekunden lang keine Luft bekommt und außer Gefecht gesetzt ist, wenn man einen Fausthieb in den Magen bekommt. Aber das legt sich, was ich damals noch nicht wusste. Ich dachte allen Ernstes, ich würde nie wieder atmen können und sterben. Ich versuchte verzweifelt, Luft zu holen, aber ich konnte lediglich kotzen. Es war grauenhaft.
„Steh auf und hör auf damit!“, bellte er.
Nachdem alle gegangen waren, näherte ich mich ihm in aller Demut. „Entschuldigen Sie, Sir, können Sie mir bitte beibringen, wie ich das richtig mache?“, fragte ich. Ich malte mir aus, dass ich irgendeinem Dreckskerl einen solchen Fausthieb in den Magen verpassen würde, wenn ich wieder in Brownsville wäre. Dieser würde dann zu Boden gehen, und ich hätte ihn besiegt. Genau das ging mir im Kopf rum.
Irgendwie mochte mich Mister Stewart, denn nach unserer zweiten Sitzung sagte er zu mir: „Willst du das wirklich ernsthaft betreiben?“ Also fingen wir an, regelmäßig zu trainieren. Nach unserem Training übte ich später in meinem Zimmer die ganze Nacht lang Schattenboxen. Ich wurde immer besser. Damals wusste ich es noch nicht, aber während einer unserer Sparring-Sessions verpasste ich Bobby einen Schlag, der ihm die Nase brach und ihn fast k.o. geschlagen hätte. Er pausierte eine Woche lang, um seine Nase ausheilen zu lassen.
Nach ein paar Monaten Training rief ich meine Mutter an und reichte ihm den Hörer. „Sag’s ihr, bitte“, drängte ich ihn. Ich wollte, dass er ihr erzählte, wie gut ich mich schlug. Ich wollte einfach, dass sie wusste, dass ich etwas auf die Beine stellte. Ich dachte mir, sie glaube mir eher, wenn ein Weißer es ihr sagt. Aber sie erklärte ihm lediglich, dass sie kaum glauben könne, dass ich mich geändert hätte, und fand, ich sei unverbesserlich.
Kurz danach kam Bobby zu mir, denn er hatte eine Idee. „Ich will dich mit dem legendären Boxtrainer Cus D’Amato zusammenbringen. Er kann dich ein Stück weiterbringen.“
„Was zum Teufel geht hier vor?“, fragte ich. Damals war Bobby Stewart der Einzige, dem ich traute. Und nun wollte er mich an jemand anderen weiterreichen?
„Vertrau diesem Mann“, erklärte er mir.
An einem Wochenende im März 1980 fuhren Bobby und ich nach Catskill, New York. Cus’ Trainingshalle war ein umgebauter Versammlungsraum und befand sich über der städtischen Polizeiwache. Da es keine Fenster gab, kam das Licht von ein paar altmodischen Lampen. An den Wänden hingen Poster und Zeitungsausschnitte von erfolgreichen Jungs aus der Umgebung.
Cus sah genauso aus, wie ein hartgesottener Boxtrainer aussehen sollte. Er war klein und stämmig, weißhaarig und strahlte Stärke aus. Aber er blickte sehr ernst und zeigte keinerlei Lächeln.
„Hallo, wie geht’s? Ich bin Cus“, stellte er sich mit starkem Bronx-Akzent vor. Teddy Atlas, ein jüngerer Trainer, war ebenfalls anwesend.
Bobby und ich gingen in den Ring und begannen mit dem Sparring. Ich ging gleich ins Volle, jagte Bobby durch den Ring. Gewöhnlich absolvierten wir drei Runden, aber mitten in der zweiten Runde versetzte mir Bobby ein paar rechte Haken auf die Nase, und ich fing an zu bluten. Es tat nicht wirklich weh, doch mein Gesicht war blutverschmiert.
„Das reicht“, meinte Atlas.
„Sir, bitte, lassen Sie mich die Runde beenden und noch eine weitere kämpfen. Das ist unser Ritual“, bettelte ich, denn ich wollte Cus beeindrucken.
Und ich glaube, es gelang mir. Als wir den Ring verließen, sagte Cus zu Bobby: „Er hat das Zeug zu einem Weltmeister im Schwergewichtsboxen.“
Nach dieser Sparring-Session gingen wir zu Cus nach Hause zum Lunch. Er wohnte in