Sklaverei. Michael ZeuskeЧитать онлайн книгу.
Kirche, von Königen oder Adligen. Eventuell gehörten sie zur Minderheit derer, die Sklavenarbeit nutzten oder Menschen versklavt haben. Darauf ist heute kaum jemand mehr stolz. Früher, zu Zeiten der jeweiligen Sklaverei, war es aber eine Grundvoraussetzung dafür, wirtschaftlich aufzusteigen sowie einer Elite anzugehören und die Meinung darüber zu prägen, was als »gut« und »nützlich« galt.
Zweitens: Wir können Versklavte der heutigen »modernen« Sklavereiformen (siehe das Kapitel »Und heute?«) selten erkennen, obwohl sie ubiquitär sind und sich so kleiden und präsentieren, wie wir es von der großen Masse unserer Mitmenschen erwarten. Das verbindet Sklavereigeschichte aus heutiger Sicht (inklusive ›moderner‹ Sklaverei) mit den Versklavten und den Sklavereien in anderen Gesellschaften als den großen, uns allen aus Filmen und Büchern mehr oder weniger bekannt erscheinenden Sklavereien, in denen Versklavte auch visuell und im Recht ganz klar unterschieden waren (wie den antiken Sklavereigesellschaften des Mittelmeerraumes, der Karibik, Brasiliens oder dem Süden der USA – siehe das Kapitel zum dritten Sklavereiplateau). Die Eliten der Gesellschaften, vor allem des ersten und des zweiten Sklavereiplateaus außerhalb des »Westens« mit seinem Recht in »römischer« und katholisch- sowie protestantisch-christlicher Tradition, d. h. des historischen Russland, China, Indien, Südostasien, Afrika, Ozeanien, Zentral- und Westasien sowie Nordafrika, können alle mit Nachdruck sagen: Bei uns hat es keine tropischen Plantagen mit versklavten Schwarzen und keine Massen von Sklavenschiffen gegeben (was für Afrika und die arabisch-islamischen Gebiete sowie viele Inseln des Indischen Ozeans nicht ganz stimmt). Bei uns, so diese Eliten und viele heutige Historiker, gehörten Sklaven zur Familie. Das Wort »Sklave« wird in dieser Argumentation freilich nicht benutzt, sondern eine Vielzahl anderer Worte.
Globalhistorische Sklavereiplateaus
»Forscher schrecken zurück vor den hässlichen Implikationen, die das Wort ›Sklave‹ für gewöhnlich mit sich bringt«.46
Erstes Sklavereiplateau ohne Menschenhandel (Beginn etwa 20 000 / 8000 v. Chr.)
Slaving ist eine mächtige Triebfeder der Geschichte. Sklavereien haben die Weltgeschichte von Anfang an nicht nur begleitet, sondern waren oft – wie Gewalt (als ordnende Kraft und als Grausamkeit oder Zwang), wie Krieg und Gier nach Ruhm, Erfolg oder auch Jagderfolg, Profite, Macht und Reichtum – eine Art Motor hinter dynamischen Entwicklungen. Die Frage, wo Sklaven und Sklavinnen oder Sklavereien Spuren und Quellen in der Menschheitserinnerung und Tradition hinterlassen haben, soll im Folgenden nur punktuell, anhand von drei Aspekten, thematisiert werden, obwohl sie für die Globalgeschichte heute ausgesprochen wichtig ist.
1. Die meiste Zeit seit etwa 20 000 v. Chr. gab es opportunistische Versklavungen, vor allem von Frauen, Kindern und Fremden.
2. Wo ist die Erinnerung der versklavten Menschen selbst, und wo ist die Erinnerung an sie geblieben? Die meisten Versklavten sind ihr gesamtes Leben in der Sklaverei verblieben und, bildlich gesprochen, in Ketten gestorben (oder durch Selbsttötung, meist durch Erhängen). Das ist keine heroische Perspektive für die Memoria, aber eine realistische. Ihre Körper wurden, mit Ausnahme vielleicht des frühen Christentums, in Armen-, Massengräbern oder Sonderbegräbnissen verscharrt und möglicherweise gar nicht begraben; von ihnen ist nichts oder nur sehr wenig geblieben. Erinnerungen gibt es, Geschichte keine.
3. Wo sind die Gewinne geblieben, die Sklavenhalter aus der Sklaverei und sehr oft direkt aus den Körpern Versklavter gezogen haben? Bei (potenziell) nachweisbaren Spuren oder Quellen handelte es sich in neueren Zeiten vor allem um Vermögen sowie religiöse Anlagen, Festungen und Mauern, Kirchen, Paläste, repräsentative Gebäude, Agrarland, Industrieanlagen, Hafenplätze und -städte, ja das Gepräge ganzer Großstädte. In Europa ist diese Frage zwar im Detail schwierig, aber mit dem Verweis auf die Kapitalakkumulation sowie Profite und Reichtum von Institutionen und Personen noch vergleichsweise einfach zu beantworten. Strukturgeschichtlich gesehen legte Sklaverei die Basis für den Industriekapitalismus und die Konsumgesellschaft sowie prozessual für die Dynamik des atlantischen Kapitalismus. Darauf ist noch ausführlich zurückzukommen.
Wenn wir uns von der gängigen Vorstellung lösen, Sklaverei und Sklaven habe es vor allem in der europäischen Antike (Griechenland und Rom) sowie im Süden der USA vor dem Bürgerkrieg gegeben (diese beiden Sklavereien sind auch die welthistorisch Einzigen, in denen Sklaverei die scharfe Antinomie von »Freiheit« war), können wir Sklaverei historisieren. Es gab Sklavereien als extreme Abhängigkeit und extreme Form der Verfügung über Körper von Menschen überall auf unserem Globus, wo Menschen siedelten, und in einem Zeitraum, der Prähistorikern und Geologen kurz erscheinen mag (10 000–20 000 Jahre), nach der Faustformel »je älter, desto lokaler«. Gerade diese ältesten »kleinen« Sklavereiformen existieren heute noch bzw. verbreiten sich sogar wieder.
Unter Historikern und Archäologen ist umstritten, wann das weltgeschichtliche Phänomen der Versklavung (slaving) seinen Anfang nahm: Joseph Miller ist der Meinung, dass erste Sklavereien schon vor rund 20 000 Jahren (Jungpaläolithikum, speziell Magdalénien) einsetzten, mit ersten individuellen, segmentären und regionalen Differenzierungen. Ich nehme mit Detlev Gronenborn an, dass nicht-institutionalisierte und mehr oder weniger opportunistische Versklavungen mit der Neolithisierung und erste institutionalisierte Sklavereien mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit, Landwirtschaft, Vorratswirtschaft und frühen befestigten Siedlungen sowie der Herausbildung von Viehhaltungswirtschaften einsetzten (in Vorderasien 10.–6. Jahrtausend v. Chr.; in vielen anderen Gebieten später bzw. bis in historische Zeiten reichend).47
Das erste Sklavereiplateau in der Globalgeschichte ist das der Sklavinnen ohne Institutionalisierung. Vor allem Frauen, Mädchen und Kinder (Waisen, ausgesetzte, geraubte oder vertauschte Kinder) sowie Fremde wurden versklavt, ohne dass es erkennbare Regeln oder Institutionen gegeben hätte – mit Ausnahme eines niederen Status und der Tendenz zur Integration in Gemeinschaften. Die soziale Position einer Sklavin in diesem Plateau hing mit der Gewährung von Schutz oder der Aufnahme in eine neue Gruppe (Herdfeuerlager, Siedlungsgemeinschaft, Verwandtengruppe) zusammen. Die Neuankömmlinge mussten, sozusagen als legitime Gegenleistung, meist die unangenehmsten Arbeiten machen bzw. den Gruppenchefs zu Diensten sein – vor allem mit ihren Körpern und möglicherweise auch schon durch eine zeitlich ziemlich unbegrenzte Arbeitsleistung. Einige wurden eventuell auch geopfert, d. h. man nahm ihnen das Leben.
Dies sind in den meisten Fällen logisch extrapolierte Hypothesen, die sich archäologisch-historisch höchstens an bestimmten Formen von Sklaverei in rituellen Ökonomien (Opfer, Totenfolge, Kannibalismus) oder an (Massen-)Gräbern ohne Beigaben nachweisen lassen, das heißt an – im archäologischen Sinne – ›anonymen‹ Gräbern. Die Namen der Begrabenen wissen wir in frühhistorischen Zeiten ohnehin nicht, aber diese Begrabenen können heute nicht einmal mit Rangbezeichnungen à la »Fürst von …« benannt werden.48 Es kann aber auch sein, dass schon ein Begräbnis an sich ein Zeichen für sozialen Status ist und dass Versklavte dieses Plateaus überhaupt nicht rituell bestattet wurden.
Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit stellten sich für die Siedler, die Landwirtschaft, Gartenbau, Vorratswirtschaft mit Keramik und Textilproduktion sowie Viehhaltung betrieben, neue Grundprobleme: Der Anspruch auf ein Territorium musste definiert und die Gruppe, die ihn erhob, als solche gestärkt werden, was zumeist in Riten geschah.49 In solchen Riten sind drei Formen von frühem Sklavenstatus denkbar, ohne dass diese schon institutionalisiert gewesen sein müssen: erstens Menschen, die unter Gewalt oder mit Betäubungsmitteln zu Opfern (Opfersklaverei) gemacht wurden, und zweitens der Ausschluss Fremder aus der auch genealogisch bestimmten Gemeinschaft.50 Drittens nahm man Fremde zur Stärkung von Gemeinschaften auf, die zunächst einen extrem niedrigen Status hatten und gewisse Riten durchmachen mussten (die manchmal auch Torturen bis hin zum Tod beinhalteten). Sowohl der Ausschluss bzw. die Verstoßung (Weggabe, z. B. von Kindern) aus der Gruppe, dem Haus, dem Clan oder der engeren Verwandtschaft als auch die Aufnahme von Fremden in einem niederen Status sind in weiten Teilen der Welt der eigentliche Ursprung von Sklavereien gewesen. Inwieweit die Beschaffung von Opfern, vor allem von Kindern und jungen Frauen, für die Riten zu frühen Konflikten und Razzien führte, bleibt offen. Hierarchien und Konflikte/Kriege in und zwischen frühgeschichtlichen Gemeinschaften wird man aber voraussetzen können.