Sklaverei. Michael ZeuskeЧитать онлайн книгу.
als chronologisch und räumlich klarer Beginn bekannter politischer Formen (wie Staaten) oder evolutiver Sozialgroßformationen (wie ›Sklavereigesellschaften‹) zu verstehen. Sklavereien und unfreie Arbeiten treiben eher die Dynamik von Hierarchisierungen voran. Ein drittes allgemeines Szenario der Entstehung informeller Sklaverei, auch von Kindern oder sogar schon jungen Männern, könnten schwerste Routinearbeiten in Bergwerken oder in der Metallurgie überhaupt sein. Auch als Hirten könnten versklavte Männer in früheren Zeiten eingesetzt worden sein – siehe die Odyssee und Herodots Beschreibung der Skythen.52 Oft arbeitete man damals wohl auch schon mit Verstümmelungen (Blendung; Durchtrennen der Sehnen eines Fußes). Generell waren vermutlich »Sklaven in einer einfachen Subsistenzwirtschaft eine Belastung«.53 Am einfachsten war es noch, Frauen und Kinder zu versklaven, die dann eine Vielfalt von Arbeiten und Dienstleistungen bei schlechter Ernährung übernehmen mussten.
Erste Nachweise bestimmter Statusunterschiede hängen möglicherweise mit der Entwicklung sesshafter Wirtschafts- und Lebensweisen in »spätneolithischen Dörfern«54 (Johannes Müller) zusammen. Die Organisation der Arbeit größerer Gruppen von etwa 200 bis 300 Individuen durch Eliten für Jagd, Rituale, Bewässerungen oder Bauarbeiten dürfte innerhalb von nichtstaatlichen Gesellschaften mit relativ geringen oder punktuellen Hierarchien möglich gewesen sein. Das unterscheidet sich deutlich von bestimmten gigantischen Arbeitsleistungen (Pyramidenbau, Bau der Großen Mauer, der kaiserlichen Grabpaläste sowie der Kanäle in China), die auch Formen kollektiver Sklaverei in frühen Staatsgebilden voraussetzen. Diese Formen scheinen sich weniger aus den Dorfgemeinschaften (deren Funktionieren für die landwirtschaftliche Produktion unbedingt notwendig war) als aus dem Rechtssystem und/oder aus kriegerischen Gewalthandlungen herausgebildet zu haben. Sklaven-»Handel«, der zur entwickelten Sklaverei gehört wie ein Zwilling, existierte möglicherweise schon in den opportunistischen ersten Sklavereien (als Tausch), aber als eine Art Elitentausch setzte er nachweisbar zunächst mit Razzien- und Expansionskriegen, der Vergabe von Kriegsgefangenen an Eliten sowie dem Gabenaustausch zwischen Herrschern ein (im 2. Jahrtausend v. Chr.).
Dieses erste Plateau der Sklavinnen ohne Institution dürfte das älteste und am weitesten verbreitete in der Geschichte sein. Vom hypothetisch-opportunistischen Beginn der Sklavereien bis mindestens zur Bildung erster Dominanzformen unter Häuptlingen, Priestern, Eliten und von Territorien bestimmter Siedlungen mit Kontrolle über das Land war es wohl das vorrangige Plateau von Sklaverei. Dieses Plateau war das einzige mindestens bis zum mittleren Neolithikum und der Metall-/Bronzezeit (um 3000–800 v. Chr.); in Mitteleuropa wohl bis zur sogenannten Michelsberger Kultur. Und es ist trotz der scheinbaren Simplizität eine doch recht komplizierte und vor allem sehr lange Geschichte, in der sich entehrende Arbeiten (Unrat, Blut, Dreck, Abfall, schwerste Routinearbeiten), körperliche Dienste, Patriarchalismus, erzwungener Sex (sexualisierte Gewalt), aber auch die Annahme elternloser Kinder, Konkubinat und andere den Fremdenstatus abschwächende Sozialrituale ausbildeten.55 Wichtig für dieses alle Sklavereien begründende Plateau ist, dass es Sklaven »ohne Sklaverei«, vor allem Sklavinnen und Kindersklaven, bis heute gegeben hat und gibt.
Ein fast schlagendes Beispiel von Sklavenstatus »ohne Sklaverei« am Beginn der Neuzeit ist die Indigene aus dem Volk der Tocobaga im heutigen Florida (bei Tampa), der die Spanier den Namen Madalena gegeben hatten. Sie war 1539 bei einem Razzienüberfall der Expedition Hernando de Sotos durch La Florida (damit bezeichneten die Spanier im 16. Jahrhundert das ganze Nordamerika außerhalb Neu-Spanien-Mexikos) gefangen genommen worden (Razziensklaverei). Sie wurde von De Soto in den Haushalt seiner Ehefrau Inés (Isabel) de Bobadilla nach Havanna verschleppt. De Soto kam gegen 1542 am Mississippi um. Seine Witwe nahm Madalena mit nach Sevilla. Als Inés de Bobadilla dort 1546 gestorben war, kehrte Madalena nach Havanna zurück und half als lengua (Übersetzerin) dem Dominikanermönch Luis Cáncer (ein enger Vertrauter von Bartolomé de las Casas) bei der Vorbereitung einer Expedition zur heutigen Tampa Bay. Die Dominikaner versuchten dort eine Missionsstation zu etablieren (entrada). Nach schweren Konflikten mit Tocobaga-Kriegern, die Cáncer töteten, verschwand Madalena 1549 aus den schriftlichen Quellen (wie fast alle Sklavinnen »ohne Sklaverei« in der Weltgeschichte). Das Spannende in Bezug auf diesen Sklavenstatus illustriert eine kleine Notiz in einem Artikel zur life history von Madalena: »Madalena wird nie formal Sklavin genannt, aber ihre Entführung, ihre Verschleppung und Arbeit erzeugten die Sklaverei, in Taten statt Worten«.56 Es gab auch in Europa zwischen 1400 und 1900 etwa zwei Millionen Sklaven, obwohl viele europäische Staaten in ihren Rechtsordnungen »Sklaverei« nicht definierten oder, vor allem seit dem 18. Jahrhundert, Sklaven auf ihrem Territorium verboten (free-soil-Prinzip). Die meisten dieser Versklavten in West- und Mitteleuropa waren Nichteuropäer und Nichtchristen, oft Gefangene der Türkenkriege, Kinder aus Afrika oder anderen Kolonialgebieten, Opfer der Seeräuber- und Korsarenplünderfahrten im Mittelmeer sowie zunehmend Statussklavinnen und -sklaven aus der Karibik, die ihre Herren oder Herrinnen mit nach Europa genommen hatten. Auch hielt man sich geschenkte Kinder oder junge Frauen oder sogenannte »Hofmohren« – eine Mode unter europäischen Eliten der Aufklärungszeit.57 Hermann von Pückler-Muskau kaufte 1837 auf dem Sklavenmarkt von Kairo eine Oromo-Sklavin namens Machbuba (etwa 1823–1840) als Mätresse.
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