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Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina GeiselhartЧитать онлайн книгу.

Paganini - Der Teufelsgeiger - Christina Geiselhart


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Angst verbreiten. Nichts von all dem klingt nach Musik und weder das eine noch das andere bewegt mein Gemüt. Es sei denn, es wird übertrieben, wie dies kurz vor Weihnachten geschah. Da nämlich machten die Franzosen wegen der Engländer kurzerhand den Hafen dicht und zerstörten Lagerhallen und Speicher. Viele Packer sind nun arbeitslos und Vater sorgt sich um seine früheren Kollegen. Vielleicht fürchtet er auch, sie könnten zu ihm kommen und ihn anpumpen. Allen ist bekannt, dass meine Konzerte schon ganz schön Geld einspielen.

      12

      Livorno 1799–1800

      … Stille umgibt mich, doch die Ruhe lässt auf sich warten. Vielleicht ist es mein Fluch, nicht zur Ruhe zu kommen …

      Bevor das neue Jahr anbricht, nehmen wir die Konzertreisen wieder auf. Außerhalb Genuas soll es ruhiger sein, wird gemunkelt, und tatsächlich treibt sich in Livorno kein einziger Franzose herum. Vater ist bester Laune. Er mäkelt nicht, reißt auch nicht meinen Ellbogen hoch, den ich beim Spielen viel zu dicht an meinem Körper halte, und nimmt mich mit in gute Wirtshäuser. Und er spricht wieder von einer neuen Geige. Das wirkt sich sehr positiv auf meine Gemütsverfassung aus und natürlich spiele ich dann viel besser. Meine Geige und ich sind ein Herz und eine Seele, und wenn es Letzteren prima geht, leisten meine Violine und ich Großes.

      So unterläuft Vater in Livorno ein Fehler, der mir zugute kommt, aber nur, weil ich übermütig bin und mir eigentlich immer etwas einfällt. Vater hatte nicht daran gedacht, die Società Degli Esercizi Musicali kniefällig darum zu bitten, mir die Gunst zu erweisen, vor ihrer erlauchten Privatgesellschaft mein erstes Konzert in Livorno zu geben. Da uns der britische Konsul schon einen Saal verschafft hatte und ich dank Mundpropaganda und einigen Zeitungsartikeln bekannt bin, möchte ich zuerst vor dem Volk spielen. Aber das passte diesen Schurken von der Privatgesellschaft Degli nicht – Vater nennt sie Schurken – und sie verwehrten den Musikern den Zugang zum Theater. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, abgesehen von ein paar verängstigten Gestalten, das ganze Orchester von mir fernzuhalten, jedenfalls sieht es so aus, als stehe mir ein einsamer Auftritt vor einem vollen Saal bevor. Durch den Schlitz im Vorhang erkenne ich ein heiteres schwatzhaftes Volk, das nur darauf wartet, sich über den gefoppten Genueser Violinisten halbtot zu lachen. Denen werde ich es zeigen. Ich bin ja so froh, dass ich nicht auf meinen großen Kopf gefallen bin, sonst würde ich solche Situationen nicht überstehen. In Windeseile stelle ich mit der Flöte, der Klarinette und der Gitarre, die sich durchgeschlichen hatten, eine Begleitung zusammen und ändere natürlich ebenso schnell mein Programm. Ich bin achtzehn und ein Zauberer. Schon nach zehn Minuten Musizieren schwatzt kein Zuschauer mehr und nach dem zweistündigen Konzert springen die Leute von ihren Stühlen und verlangen da capo. Ich muss mir noch einiges aus dem Ärmel schütteln. Eine weitere Stunde lang spielen wir Stücke von Kreutzer, Rode, Viotti und einige meiner Kompositionen, unter anderem mein jüngstes Werk für Gitarre solo. Die Lodoiska-Symphonie entzückt das Publikum, es ist ja ganz und gar nicht auf meine Gitarrenkünste gefasst. Die Melodie habe ich der Kreutzerschen Oper entnommen und das Ganze für französische Gitarre arrangiert. Ich weiß, es ist eine schwierige Komposition, aber davon merken diese Menschen nichts. Es sind einfache Leute, die nicht viel von Musik verstehen. Dennoch sind sie wunderbar, sie sind hemmungslos vor Freude. Mein Erfolg sprengt die Blockade. Er sprengt den Widerstand der Società. Am folgenden Tag entschuldigt sich die blasierte Privatgesellschaft und kündigt ein zweites Konzert für den Abend an. Diesmal mit kompletter Orchesterbegleitung.

      Auf den Erfolg in Livorno bin ich besonders stolz, weil ich kein angesehener Rudolph Kreutzer bin, der kam, geigte und siegte. Ich bin der Ausländer, der arrogante Genueser, der junge Angeber, der sich erst beweisen muss. Und ich habe es geschafft, eine abweisende Menge von Schwätzern zu gewinnen. Ich bedanke mich an jenem Abend mit einer kleinen Ode an Livorno, einem Chor von singenden Mäusen, Katzen und Eseln.

      Im Frühjahr ist die Luft milder, nur am Morgen hängt kühler Nebel über den Feldern. In den Bäumen regt sich neues Leben, die Stadt atmet, sie kommt jeden Morgen neu auf die Welt. Die helle Sonne ist mir noch ein Freund und ich fühle mich gesund. Wir bereisen die Toskana. Ein schöner Flecken, besonders im April und Mai. Ein Konzert folgt auf das nächste und überall springen die Menschen von ihren Stühlen, trägt mich ihr begeistertes Klatschen auf Wellen. Und doch schmerzt mein Erfolg, weil ich ihn nicht mit den Lieben zu Hause teilen kann. In Genua haben sie nichts zu essen, da die Seewege gesperrt sind und die Versorgung unterbrochen ist. Hier bin ich im fernen Livorno, verschlinge kleine Puten, Schweinsnieren, Berge von Trüffeln und muss hören, dass Paolas runde Wangen einfallen. Es heißt, sie braten Mäuse, Katzen und Fledermäuse, um nicht zu verhungern. Ob sie Pia, die Katze, schon gehäutet haben? Das alles ist schrecklich. Aber wir können doch nicht zurück, um mit ihnen gemeinsam Fledermäuse und Katzen zu verzehren. Mir wird schlecht, wenn ich an Paolas und Giulia Nicolettas Teller denke und an den üblen Geruch, der davon aufsteigt. Mich würgt beim Gedanken an meinen starken Bruder Carlo, der so gerne isst und nun vielleicht alles erbricht.

      Genua wird zerrieben zwischen dem Machtstreben anderer Länder, die endlich abhauen sollten, schimpft Vater und steht dabei wutschnaubend am Fenster unserer Herberge. Oder er schaut aus dem Reisewagen auf die anmutige Toskaner Landschaft und wünscht sowohl Engländer als auch Franzosen zum Teufel. Eines Tages sagt er: „Niccolò, du bist erwachsen. Ich kann dich nicht immer begleiten. Deine Mutter und deine Geschwister brauchen mich. Nach Modena reise ich noch mit, dann kehren wir nach Genua zurück.“ Er mustert mich aus verengten Augen. Gleichgültig zucke ich mit den Achseln. Seine ständige Begleitung ist mir ohnehin eine Last. Eines Tages ersticke ich darunter.

      „Du wirst noch viele Konzerte geben. In ganz Oberitalien, in ganz Italien. Meinst du, du schaffst es ohne mich?“, fragt er lauernd. Da ich ihn verwirrt anblicke und dabei den Atem anhalte, antwortet er selbst. „Ohne mich bist du doch nur eine halbe Portion.“

      Mittlerweile sind die Franzosen auch in Livorno. Mein Sommerkonzert in Livorno erlebt der britische Konsul noch mit, dann werden er und andere britische Repräsentanten von den Franzosen aus der Stadt gejagt.

      In Modena fallen mir die finsteren Bogengänge auf, die sich zu beiden Seiten der Hauptstraße hinziehen. Vielleicht trägt der kalte Dezemberhimmel auch zu ihrem unheimlichen Aussehen bei. Mehr als das sehe ich nicht von der Stadt, weshalb mir die Bogengänge auf immer in Erinnerung bleiben werden. So soll es mit den beiden Konzerten geschehen, die mir Di Negro vermittelt hat. Ich werde sie den Zuhörern so deftig um die Ohren schleudern, dass sie mich nie wieder vergessen.

      Zum ersten Mal spiele ich den Spanischen Fandango für Violine solo. Ich liebe dieses Stück. Vater besucht die Kathedrale, während ich meine Auftritte vorbereite. Ich will besser sein als jeder andere Musiker, den Modena je gehört hat.

      Noch vor Weihnachten sind wir wieder in Genua. Die Reise hat mich erschöpft und ich hoffe, Mutter tischt mir keine gebratene Fledermaus auf. Aber wie es scheint, ist in Genua ein wenig Ordnung eingekehrt und der Seeweg geöffnet. Vorerst gibt es keine Auftritte. Kirchen sind von den Revolutionsarmeen geplündert und zum Teil zerstört worden. Kuppel und Portal der Gold überladenen Kirche Santissima Annunziata del Vastato sehen mitgenommen aus. Außerdem sind sie geschlossen. Gottesdienste sind selten geworden. Die französische Revolution hat einen langen Atem. Noch immer spüren wir die Nachwehen. Mir ist es augenblicklich recht, dass die aristokratische Republik entstaubt wird. Was meiner Musik zugute kommt, kann nur recht sein. Einige sagen ja, ich hätte das Violinspiel revolutioniert und so was wie mich hätte es noch nie gegeben. Ähnlich dem frischen Wind, der jetzt bläst und manches eingerostete Rad bewegt. Jedoch: Die Kirchen kaputt oder geschlossen, das Theater S. Agostino renovierungsbedürftig … wo hätte ich auftreten sollen? Auf einem öffentlichen Platz? Ich lasse die Zeit dennoch nicht unnütz verstreichen. Unablässig übe ich auf meiner Geige, die immer noch die alte ist, und pflege das Gitarrenspiel. Ich komponiere und verwerfe, lausche den wilden Melodien in meiner Seele und fessele sie aufs Blatt. Ich komponiere und denke, dass kein Mensch das alles spielen kann außer mir. Ich verwerfe und raufe mir die Haare. Aber ist es nicht besser, wenn es niemand spielen kann? Wenn meine Kompositionen ungewöhnlich schön sind und unausführbar für jeden guten Violinisten, so bleibe ich vorerst der Einzige auf der Welt, der das Volk damit entzücken kann. Meine Kompositionen dürfen also meinem ungewöhnlichen Spiel in nichts nachstehen.

      So denke


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