Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina GeiselhartЧитать онлайн книгу.
eindrucksvollen Anfang. Wie soll beides aussehen? Es fällt mir in diesem Sommer nicht mehr ein.
Anfang Juli befiehlt Elisa den gesamten Hof auf ihre Sommerresidenz Bagni di Lucca. Mir gestattet sie eine kurze Konzertreise nach Livorno. Angeblich kann sie mich entbehren. Obwohl sie mir ziemlich egal ist, verletzt es, von ihr vorgeladen und dann wieder weggestoßen zu werden. Sie geht mit mir um wie mit ihren Dienern. Aber das hat Paganini nicht nötig. Jedenfalls nicht mehr, denke ich und lasse mich weiterhin wie einen Lakai behandeln. Andererseits: Habe ich Grund zur Klage? Ich bin kein brotloser Künstler wie viele andere. Als Genueser kann ich rechnen. Einnahmen und Ausgaben notiere ich sorgfältig in meinem Notizbuch. Alles in allem geht es mir nicht schlecht. Ich bewege mich in illustren Kreisen, esse unter Kandelabern, trinke vorzüglichen Wein und werde angebetet. Und wie besonders tröstlich ist es, von Madame Frassinet angebetet zu werden. Die junge Frau ist Hofdame bei Elisa und versäumt keinen meiner Auftritte. Wo und wann auch immer ich spiele, sie sitzt unten und hebt ihr entzücktes Gesicht zu mir herauf. Manchmal andächtig, manchmal erhitzt. Ich sehe ihre glänzenden Augen, sehe ihre Brust sich heben und senken, erkenne trotz des diffusen Lichtes die hektischen Flecken auf ihren Wangen und ich weiß, dass ihr Herz wild klopft, ihr Blut wallt. Ich spüre es auf der Bühne, denn von dieser zarten Gestalt dort unten geht eine himmlische Gewalt aus. Diese Gewalt nimmt mich vollständig in Besitz. Ich spiele das Adagio meines neuesten Werkes und bringe sie zum Weinen. Im changierenden Licht des Teatro Avvalorati in Livorno glitzern ihre Tränen wie Edelsteine. Da empfinde ich Liebe für sie. Zärtliche Liebe und das Verlangen, sie zu küssen, ihr zu danken, ihr meine Violine zu Füßen zu legen.
Wir lieben uns in einem Hotel in Livorno. Es ist das erste Mal. Sie ist so anders als Emilia. Nur wenig älter als ich, doch scheu und voller Erwartung. Ich wollte ihr meine Guarneri zu Füßen legen, doch bevor ich es tue, sinkt sie nieder und umklammert meine Knie: „Nimm mich wie deine Geige. So sanft, so großzügig, so gewaltig. Und pack mich mit der Guarneri in den Geigenkasten. Trage mich bei dir, wo immer du auch hingehst. Ich will nicht mehr Hofdame einer herrischen Kuh sein und Ehefrau eines verknöcherten Generals.“
Ich entdecke nicht nur Madame Frassinets unersättliche Lust, ich entdecke auch ihre Gesangsstimme und ihre Gitarrenkünste. Beides beherrscht sie nicht perfekt, doch angenehm. Wir können also unsere Liebe im Geheimen weiterpflegen, da sie von nun an bei mir Gitarrenunterricht nimmt und hin und wieder als Sängerin auftritt. Elisa und auch Frassinets Ehemann, ein gebeutelter General unter Napoleon, dürfen nichts erfahren. Madame Frassinet belebt meine freien Stunden in Lucca, ihr anschmiegsamer Körper inspiriert mich. Ich verstecke mich während der Liebe nicht mehr unter der Decke. Sie wirft jedes Kleidungsstück zu Boden, schiebt Schleier und Decken zur Seite, schlingt sich um mich und zieht mich in sich hinein. Unser letztes Treffen in Lucca löste eine bombastische Orchesterintroduktion für meine Sonate in mir aus. Mit einigen trillernden, leichten Flöten, die sich in Elisas Ohr schleichen und warm über ihren Rücken rieseln werden. Und schlicht, aber eindrucksvoll höre ich das Finale. Die Violinstimme unterhält sich voller Übermut, hin- und her springend mit der Flöte, kurz trumpfen Streicher, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner in Es und Posaunen auf, werden von der übermütigen Violine unterbrochen, erklingen ein letztes Mal triumphierend und verneigen sich vor ihrer Herrlichkeit. Vor welcher eigentlich?
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