Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina GeiselhartЧитать онлайн книгу.
spielte man nicht umsonst. Antonio war gefürchtet, denn oft gewann er seine kostspieligen Einsätze doppelt und dreifach zurück. Er hatte Glück im Spiel, verstand sich aufs Handeln und er vertraute auf das Talent der Paganinis sowie den guten Riecher des Genuesers. An diesem Sonntagabend kam er sehr spät, aber mit vollen Taschen nach Hause. Er brannte darauf, seinen Erfolg vor der ganzen Familie wie einen Sieg hinauszuposaunen und war gleichzeitig auf die Fortschritte seines Sohnes gespannt.
Doch der Junge lag vermummt im Bett. Über ihn beugte sich Dottore Gambaro, am Fußende stand klagend Teresa, die weinende einjährige Paola auf dem Arm. Ein grässlicher Gestank nach Erbrochenem und Urin schlug dem Hausvater entgegen und er hatte gute Lust, zum Hafen zurückzukehren.
„Scarlatina!“, diagnostizierte der Arzt.
„Kenn ich nicht!“, antwortete Antonio mürrisch.
„Scarlatina verdankt ihren Namen dem kräftigen roten Hautausschlag, den sie hervorbringt. Das Fieber steigt auf 39 Grad, die Nase läuft und entzündet sich, kleine Punkte sprießen, die dann zu großen Flecken zusammenfließen.“
„Flecken! Flecken! Flecken!“, spie Antonio aus. „Warum hat der Kerl ständig Flecken? Liegt das an unserer Gegend? Anlage kann es nicht sein. Ich hatte nie Flecken und Teresa bekam sie erst nach dem zweiten Kind.“
Gambaro erklärte, dass die Flecken eine harmlose Nebenerscheinung des eigentlichen Übels seien.
„Bedenklicher ist die Rachenschleimhaut. Sie wird stark in Mitleidenschaft gezogen und die katarrhalen Symptome, die das Ausschlagfieber begleiten, wirken sich verheerend auf die Bronchien aus.
„Hören Sie mit Ihrem Latein auf und reden Sie Italienisch!“
„Madre mia!“, schimpfte der Dottore. „Der Junge wird vermutlich Zeit seines Lebens schwach auf der Brust sein, weil der Husten, la tossa ripetitiva, seine Lungen angreift und seine ewige Rotznase den Schleimhäuten den Garaus macht. Er braucht Wärme und frische Luft. Hier jedoch, in dieser klammen Bude, die trotz des trockenen Sommers wie ein Kellerloch muffelt und stinkt, wird er nicht genesen.“ Er fasste sich an die Gurgel, als wolle er ersticken.
„Was soll ich also tun, Sie Besserwisser?“
„Mieten Sie eine Sänfte, packen Sie ihn warm ein und lassen Sie ihn in Genuas schönster Bucht Boccadasse herumtragen.“
Antonio starrte sekundenlang betäubt auf Gambaro und brach dann in ein so irres Gelächter aus, als habe er einen Harlekin vor sich. Verwirrt wich Teresa zurück.
„Ich habe vier Kinder zu ernähren und drei Bestattungen bezahlt. Glauben Sie, ich bin ein Goldesel?“
„Ob Sie ein Esel sind, sei dahin gestellt. Jedenfalls lassen Sie keine Gelegenheit aus, Ihre Taschen zu füllen. Hier!“, er deutete auf die Mandoline, „warum haben Sie das edle Stück aus Neapel noch nicht zu einem horrenden Preis verkauft? Das Mandolinenspiel ist noch immer sehr beliebt.“
„Sie ist für Niccolò. Er soll Musikant werden.“
Dottore Gambaro nahm seinen Hut. Er wiederholte, an Teresa gerichtet, die Dosis der einzunehmenden Medizin und blieb beim Hinausgehen vor Signore Paganini stehen.
„Die Medizin allein reicht nicht aus. Sollten Sie meinen Ratschlag nicht befolgen, wird Niccolò kein Musikant, weil ihm dazu keine Zeit bleibt.“ Gambaro setzte den Hut auf und wandte sich ab.
„Schwarzseher!“, nuschelte Antonio. Gambaro drehte sich um.
„Nicht ich! Sie sind es. Deshalb kommen Sie auch nicht mehr zu unseren Versammlungen. Sie glauben, die Republik Genua sei eingerostet. Sie glauben, sie bewege sich nicht nach vorn. Vielleicht nicht einmal nach hinten. Einfach gar nicht mehr. Sie täuschen sich, lieber Signore!“
Ich kann sehen, aber die Sonne sticht in meine Augen. Silbrig glänzende Weingärten ziehen sich den Hang hinab zu einer verfallenen Kapelle. Von hier aus sieht sie aus wie ein Spielzeug. Sie ist nicht größer als meine Hand und doch steht sie wie eine Königin auf der Klippe. Einsam und erhaben. Dahinter liegt das Meer, tiefblau, schäumend und kraftvoll. Wenn das Meer ausatmet, tanzen die Wellen in ihren weißen Röcken, wenn es einatmet, rollen sie sich wie Schnecken zusammen. Ich versuche, so zu atmen wie das Meer. Vater hat gesagt: „Nimm beim Einatmen die Weite des Meeres und des Himmels in dir auf, atmest du aus, stoße das Meer mit deinem Atem bis zum Horizont.“ Das ist leichter gesagt als getan, außerdem stört mich Vaters Mandolinenspiel. Gemütlich lehnt er an der verwitterten Mauer eines zerfallenen Steinhauses und zupft Mandoline. Zu den herrschaftlichen Häusern, die die Anhöhen der Bucht schmücken, passt das zerschossene Gebäude nicht, aber vermutlich war es einmal ein Schloss oder ein Teil davon und soll uns an Genuas Kriege erinnern. Ich sitze in einen Mantel gehüllt neben ihm, die Sonne wärmt mein Gesicht, meinen Kopf, meine Brust. Immer wieder muss ich husten. Vater glaubt, es ist die frische Luft, die meine Lungen reizt und reinigt. Ich aber glaube, es sind die unreinen Töne der Mandoline. Vater sagt: „Hör gut zu Niccolò, so freundlich bin ich nicht alle Tage. Sobald du gesund bist, wirst du wieder viele Stunden täglich üben, und dann spielst du so. Schau auf meine Hände. Hörst du nicht, Niccolò? So spielst du. Genau so!“
Und er zupft, wie eine Katze ihr Fell zupft. Er rupft an den Saiten wie Mama das Huhn am Samstag rupft. Er reißt an der Saite wie Paola an ihrem Haar reißt, wenn sie Flöhe hat.
„Hörst du, Niccolò?“, fragt er grimmig. Oh ja ich höre sehr wohl und sehr gut. Ich habe kein unharmonisches Ohr wie Sie, böser Padre! Und ängstlich sehe ich zu ihm hoch. Ich kneife die Augen zusammen, und er denkt, ich tue es, weil ich ihn fürchte. Aber es ist die Sonne, die meine Augen blendet.
„Hörst du, kleiner, nichtsnutziger Kerl, was dein Vater sagt?“
Ich nicke und er meint, ich sei einverstanden, aber ich denke ganz fest, dass ich nie so zupfen und nie so spielen werde wie Vater, weil ich nicht so spielen und zupfen kann. Niemals! Dieses Instrument, diese Mandoline ist doch kein Acker, auf dem man pflügt, keine Straße, auf der Kutschen fahren, aber vielleicht ist es ein Meer, in dem Tiere schwimmen und das durch eine leise Bewegung des Windes aufgewühlt wird.
4
Ein Jahr später ergatterte Antonio am Porto Franco eine Violine. Es war kein wertvolles Instrument, nicht stark im Holz und sehr im Klang beeinträchtigt. Niccolò musste sie vorerst genügen, denn der Vater wünschte dringend, dass sein Sohn die Mandoline gegen ein höheres Instrument eintauschte. Das Mandolinenspiel galt nicht mehr viel, jeder Hanswurst in Genua verstand sie, die wie eine Gitarre mit sechs Saiten bespannt war, zu handhaben. Niccolò war kein Hanswurst, ließen seine langen Gliedmaße auch an eine Marionette denken. Niccolò war der Sohn des Francesco Antonio Paganini und der einfältigen Maria Teresa Paganini, die den blassen Jungen mit Liebe und Volksliedern fütterte. Die sorglos dahin geträllerten Volkslieder der Mutter spielte Niccolò mittlerweile fehlerfrei, ja, er hatte sie im Handumdrehen erweitert, sie mit Trillern ausgeschmückt und durch Ritornelle verlängert. Antonio sah sich als waschechter Genueser veranlasst, noch mehr Geld in diesen Jungen zu stecken. Die Anlage schien gewinnträchtig, deshalb musste er aus dem Kerlchen so schnell wie möglich Können und Talent herauspeitschen. Wunderkinder fallen vermutlich vom Himmel, aber wird der ungewöhnliche Stern nicht gefeilt, poliert und notfalls zurechtgehauen, erlischt sein Strahlen. So dachte Antonio und entwickelte ein Dragonerrezept: Täglich sechs Stunden Violinunterricht. Vorbei die unnötigen Spaziergänge in der Bucht, keine sinnlosen Spiele in der schmutzigen Passo del Gatto mit nichtsnutzigen Gassenbuben und sehr sparsame Liebkosungen von Seiten der stupiden Mutter.
„Du überforderst das Kind, Antonio. Es wird wieder krank werden und womöglich sterben.“
„Sei still, dummes Weib! Krank wird er in der verseuchten Gasse, wenn er sich mit liderlichen Spitzbuben herumtreibt.“
„Niccolò mag keine Spitzbuben.“
„Und eines sage ich dir: Wird er nicht Musikant, so wird er Bettler. Dann ist es schon besser, er stirbt in jungen Jahren!“
Teresa