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Arkadiertod. Thomas L. ViernauЧитать онлайн книгу.

Arkadiertod - Thomas L. Viernau


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Ohren! Bleibt ruhig!«

      Der Zurechtgewiesene sah dem rundlichen Eisenbaum in die Augen. Er hatte ja Recht. Man wusste im Moment leider nicht, wer Freund und wer Feind war. Fassungslos mussten die Männer der kleinen Gruppe zusehen, wie alle Amtsträger und besseren Bürger den einmarschierten Franzosen huldigten. Vor ein paar Monaten noch hatten diese Renegaten patriotische Reden gehalten. Davon war jetzt nichts mehr übrig. Man vergaß schnell.

      Drosselmeyer gab das Zeichen zum Aufbruch. »Ich glaub‘, wir haben genug gesehen. Lasst uns noch einen Schoppen Riesling trinken. Dort ist es vielleicht auch etwas ruhiger.« Er nickte mit dem Kopf Richtung Weinhaus »Dapertutto«, das sich unweit des Tores in der Friedrichstraße befand.

      Gemessenen Schrittes entfernten sich die Männer vom Trubel und verschwanden in der stillen Friedrichstraße.

      V

      Berlin, Gendarmenmarkt

      Montagabend, 27. Oktober 1806

      Der Gastwirt vom »Dapertutto«, ein quirliger Italiener, holte aus seinem Keller erneut ein paar Flaschen seines besten Brunello di Montalcino für die illustre Runde, die sich in dem kleinen, offenen Separee um den runden Tisch versammelt hatte.

      Mit großem Hallo wurden die neuen Weinflaschen begrüßt. Der Sprachführer der Runde, ein hochgewachsener Mann mit graumeliertem Backenbart und ehrwürdigem Schnauzer, bat um Aufmerksamkeit. »Silentium! Silentium, meine Herren! Ich bitte Sie …«

      Er klopfte mit einem kleinen Stift an sein Weinglas, so dass alle Köpfe sich ihm zuwandten.

      »Lasst uns zu Potte kommen. Wir sind allesamt hier versammelt, um unserer gemeinsamen Absicht einen entsprechenden Rahmen zu geben. Lasst uns einen Bund gründen, dessen hehre Ziele in einem einzigen Satz zusammengefasst werden können: In den Staub mit den Feinden Preußens!«

      Die versammelten Männer nickten zustimmend und wiederholten diesen letzten Satz fast wie ein Gebet: »In den Staub mit den Feinden Preußens!«

      Allen war die hohe Symbolkraft dieser Parole bewusst. Sie waren allesamt keine Militärs oder andere zum Heldentum neigenden Leute. Eher das Gegenteil, preußische Beamte und Verwaltungsmenschen – aber ihnen war die gegenwärtige Situation mit den vielen Besatzungssoldaten und einem König fernab von seiner Residenz hochgradig suspekt.

      Der Sprecher der kleinen Gruppe, der Archivarius Lindhorst, dem die fremden Okkupanten die meisten Sorgen bereiteten – immerhin verwaltete er das Geheime Staatsarchiv, wo alle Staatsgeheimnisse, fein säuberlich zu Papier gebracht, lagerten – hatte einen vorbereiteten Zettel aus seiner Brusttasche hervorgeholt.

      Es war eine Art Gründungsurkunde. Lindhorst verstand sich bestens auf das Verfassen solcher Papiere, er hatte dauernd damit zu tun.

      Er schob das Pamphlet in die Mitte des Tisches. Zögerlich griffen die anderen zu. Konrektor Paulmann, Leiter eines populären Gymnasiums am anderen Ende der Stadt, das vor allem von den Sprösslingen der höheren Beamten und der Bediensteten bei Hofe besucht wurde, las es halblaut vor: »Wir Endesunterzeichnenden, verpflichten uns, unter Wahrung totaler Verschwiegenheit, selbst gegenüber unseren Familien, zu folgenden hehren Zielen, die, so möge Gott uns helfen, trotz ihrer augenscheinlichen Niedertracht, dennoch zum Wohle unseres Vaterlandes dienen sollen:

      Beseitigung des Usurpators Napoleon mittels eines Anschlags

      Wiedereinsetzung unseres Königs, seiner Majestät Friedrich Wilhelm III. und seiner liebreizenden Königin Luise in ihre gottgewollte Stellung als Landesoberhaupt unseres preußischen Vaterlandes

      Vertreibung aller fremden Soldaten vom preußischen Staatsgebiet

      Dazu verpflichten sich feierlich mit ihrem Blut …«

      Es folgte ein freier Bereich auf dem Dokument, der durch Unterschrift besiegelt werden sollte.

      Lindhorst ließ vom Wirt des »Dapertutto« Feder und Tinte bringen. In einem feierlichen Moment setzte er als erster seine schwungvolle Unterschrift aufs Papier. Die Tinte war noch nicht trocken, als er mit einem kleinen Stilett seinen rechten Zeigefinger ritzte und neben seine Unterschrift einen Blutstropfen platzierte.

      Alle beobachteten schweigend dieses feierliche Ritual. Lindhorst schob das Dokument seinem rechten Nachbarn zu, dem Hofrat Spykher, der ähnlich wie Lindhorst einer Geheimen Behörde der Preußischen Gendarmerie angehörte und voller Unbehagen die Entwicklung der letzten Monate beobachtet hatte.

      Spykher war ein eher unscheinbarer Mann, mittelgroß, graues Haar, stets mit einem Monokel ausgerüstet um seine Kurzsichtigkeit auszugleichen. Das Monokel verlieh dem unscheinbaren Mann eine gewisse Strenge und alle Leute in seiner Umgebung zollten ihm, ohne zu wissen, wer er wirklich war, entsprechenden Respekt. Auch Spykher unterzeichnete mit einem großen schwungvollen Duktus das Dokument, ließ einen Blutstropfen neben sein Signet fallen und schob das Papier weiter zum Secretarius Drosselmeyer, einem nachdenklichen Mann, dessen Alter nur schwer einzuschätzen war.

      Drosselmeyers Gesicht wurde von einem gewaltigen dunklen Backenbart geziert, auch seine Augenbrauen erweckten den Eindruck, als ob sie ihren Besitzer davor bewahren sollten, zu viel von seiner Persönlichkeit preiszugeben. Ein dichtes Gestrüpp dunkler Haare wölbte sich über seinen kleinen, wieselflinken Augen, die hinter einer neumodischen Brille alles in seiner Umgebung musterten und zu bewerten schienen. Um seine Mundwinkel hatten sich zahlreiche Falten gebildet. Drosselmeyer war augenscheinlich kein Freund von Humor. Das hing wohl auch mit seinem besonderen Stande bei Hofe zusammen. Er gehörte ins direkte Umfeld des Ministers von Hardenberg und galt als einer seiner Vertrauten.

      Er schob das Papier seinem direkten Nachbarn zu, Konrektor Anselm Paulmann, dem mit einer großen Leibesfülle ausgestatteten Konrektor, der mit einem karierten Taschentuch ständig seine vom Weingenuss ins Schwitzen gekommene Stirn abwischen musste. Auch Paulmann unterzeichnete und presste einen Blutstropfen aufs Blatt. Stolz betrachtete er sein Werk bevor er es weiterschob zum Justizrat Alois von Vach.

      Der war ein eher spröder Zeitgenosse. Ein Mann der Paragraphen durch und durch. Am Kammergerichtshof bekleidete von Vach eine höhere Position, über die er nur sehr ungern sprach. Man munkelte, er wäre einer der Beisitzer bei den spektakulären Geheimprozessen gegen die Ministerialbeamten des Vorgängers von König Friedrich Wilhelm III. gewesen.

      Zu Zeiten des Königs Friedrich Wilhelm II., eines Lebemannes, der überall im Lande nur als der »dicke Lüderjahn« bekannt war, hatte eine unheimliche Clique von Leuten aus dem Umfeld der Minister von Bischoffswerder und von Woellner de facto die Geschicke des Landes bestimmt. Der König war in den Händen seines Finanzministers Woellner eine willfährige Marionette, damit beschäftigt, seine Maitresse, die Gräfin Lichtenau mit immer neuen Surprisen zu unterhalten. Diese Leute gehörten dem Geheimbund der Rosenkreuzer an und versuchten aus dem libertären Preußen des Alten Fritz eine Art Gottesstaat zu machen. Erst als der »dicke Lüderjahn« gestorben war und dessen junger Sohn den Thron bestieg, wurde mit dieser Günstlingswirtschaft aufgeräumt.

      Woellner und Bischoffswerder wurden in den Ruhestand versetzt und aus Berlin verwiesen. Ihre Anhänger aus dem Umfeld des Hofes entfernt. Vach sollte damals eine bedeutende Rolle bei diesen Säuberungen gespielt haben.

      Der mittlerweile in die Jahre gekommene Vach schrieb bedächtig seine Unterschrift und ebenso bedächtig ritzte er seinen linken Zeigefinger, um diesen dann neben seine Unterschrift zu tippen.

      Als nächster war der Kammergerichtsrat Bogislav von Hummel an der Reihe. Ein finster dreinblickender Mann mit pechschwarzem Haar, das ihm wild und störrisch in die Stirn fiel. Hummel war ein spezieller Vertrauter Hardenbergs und oft als dessen persönlicher Ordinarius im Einsatz. Ständig war er im Auftrag des Ministers unterwegs um wichtige Nachrichten zu überbringen. Hummels Unterschrift machte seinem Namen alle Ehre, glich sie doch dem unsteten Flug dieses friedfertigen Kerbtiers. Auch Hummel piekte sich den Zeigefinger, um ein Blutmal neben sein Signum zu setzen.

      Der letzte in der Runde war der Medizinalrat Eugen Eisenbaum. Ein ruhiger Mann mit wachen Augen. Eisenbaum war Militärarzt an der Pépinière, einer Ausbildungsstätte für die Wundärzte der Preußischen Armee. Er unterrichtete die jungen


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