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Krähwinkeltod. Thomas L. ViernauЧитать онлайн книгу.

Krähwinkeltod - Thomas L. Viernau


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mobiles Bäckereigeschäft ins Dorf. Es war ein umgebauter Kastenwagen, dessen Seitenwand aufklappbar war und eine Verkaufstheke mit Vitrinen und einem kleinen Regal verbarg.

      Das Bäckerauto, so nannten die Dorfleute den mobilen Verkaufswagen, kam stets zur selben Tageszeit. Pünktlich um Elf, immer dienstags und freitags.

      Außer dem Bäckerauto gab es noch den mobilen Fleischer, ebenfalls ein Kastenwagen mit Verkaufstheke und das Postauto. Die kamen allerdings unregelmäßig.

      Manchmal verirrte sich auch ein Feinfrostwagen ins Dorf, der sein Kommen mit einer nervigen Musikfanfare ankündigte.

      Die Besuche der Versorgungswagen waren die Höhepunkte im wöchentlichen Dorfleben. Es waren immer dieselben Leute, die sich bei der Ankunft der fahrbaren Geschäfte trafen. Meist ältere Bewohner, die bereits in Rente waren, manchmal auch Mütter mit ihren Babys, die noch nicht kitatauglich waren.

      An der Kreuzung, die von den beiden Straßen gebildet wurde, die das Dorf schnitten, gab es einen kleinen, grasbewachsenen Platz, der als idealer Standort von den Fahrern der Mobilgeschäfte auserkoren worden war. Der Grasplatz war von den Häusern links und rechts der Straßen gut einsehbar.

      An diesem Freitagabend war der Grasplatz jedoch verwaist. Ein dunkelgrüner Opel Astra bog sanft um die Ecke und hielt vor dem Grundstück mit der Nummer Vierzehn.

      In dem Haus mit der Hausnummer Vierzehn, die beiden Straßen hatten keine Namen, es gab daher nur Hausnummern, war am Abend ebenfalls Leben eingekehrt. Ein mausgrauer Golf parkte bereits vor dem Haus. Unter dem Carport stand ein großer Octavia-Kombi. Das Haus Vierzehn gehörte zu den wenigen, neuerbauten Anwesen des Dorfes. Weißverputzt, dunkelrote Ziegel, große, schallisolierte Fenster und ein Balkon, der für das Einfamilienhaus eine Spur zu groß geraten war, stand es auf einem mit Ligusterhecken begrenztem Grundstück am Ende der Straße. Der Astra parkte gleich neben dem Golf. Eine junge Frau in Rüschenbluse und etwas zu engen Jeans um die fülligen Hüften stieg aus.

      Gleich hinter dem Grundstück begannen die endlosen Felder. Ende September waren die bereits abgeerntet. Eine trostlose, braune Erdwüste breitete sich bis zum Horizont aus.

      Auf dem Grundstück standen ein paar vereinzelte Obstbäume, die sorgsam gepflegt wurden. Zwei Apfelbäume, deren schwer mit knallroten Früchten behangene Äste sich fast bis zum Gras neigten und ein Birnenbaum, der mit leuchtendgrünen Früchten behangen war. Gemüsebeete und ein Miniacker mit Kartoffelstauden waren im vorderen Teil des Gartens angelegt, der hintere Teil war Grasland.

      Neben dem Wohnhaus stand ein großer Geräteschuppen. Zwischen dem Schuppen und dem Wohnhaus verband ein gläserner Wintergarten die beiden Gebäude. Vor dem Wintergarten glitzerte es tiefblau. Ein Swimmingpool mit Leiter, vielleicht zwölf mal zehn Meter, war der ganze Stolz der Bewohner.

      Fünf Bewohner hatte das Haus Nummer Vierzehn. Erhard und Gisela Kappenbach, beide Anfang Sechzig, Marius und Silke Kappenbach, beide Anfang Dreißig, und deren kleiner Sohn Nick, gerade einmal vier Jahre alt.

      Das ältere Paar wohnte in der linken, das jüngere Paar in der rechten Hälfte des Hauses. Man ging sich aus dem Weg, obwohl es eigentlich nicht nötig war. Marius war der Sohn von Erhard und Gisela. Ihm gehörte das Haus, obwohl er selbst dafür keinen Euro beigesteuert hatte. Es sei wegen der Steuerklasse, wurde allen immer erzählt. Marius könne die Kosten besser absetzen.

      Marius und seine Frau Silke arbeiteten beide in der Kreisstadt auf dem Amt. So nannten die Dorfbewohner die Kreisverwaltung. Was er da genau machte, wusste keiner so richtig. Irgendwas mit Finanzen …, aber es interessierte auch nicht wirklich jemanden. Marius war nicht sehr gesprächig. Seine Frau war auch auf dem Amt, Sekretärin.

      Die beiden älteren Hausbewohner waren bereits in Rente. Erhard hatte die Möglichkeit der Frühberentung genutzt und sich schon mit achtundfünfzig Jahren ins Privatleben zurückgezogen und seine Frau Gisela war seit ihrem Arbeitsunfall sowieso schon lange Zeit Invalidenrentnerin.

      Sie kümmerten sich um Haus und Hof. Erhard war ein geborener Hausmeister, konnte gärtnern, reparieren und renovieren. Unter seinen geschickten Händen waren der Wintergarten und der Swimmingpool entstanden.

      Neidisch beobachteten die Nachbarn das Tun auf dem Grundstück. Ihre Häuser waren älter, gehörten noch der Zeit an, als die Landwirtschaft die Dorfbewohner ernährte. Bauern gab es im Dorf keine mehr.

      Der letzte Bauer war vor zehn Jahren in den Ruhestand gegangen. Seine Felder wurden von der Agrargenossenschaft aus dem Nachbarort übernommen. Der Genossenschaft gehörten die großen Felder, die das Dorf umgaben. Von weitem sah es aus, als ob das Dorf eine Insel inmitten eines Feldermeeres sei.

      Die Kappenbachs zuckten immer mit den Schultern, wenn andere sie fragten, warum sie in dem gottverlassenen Nest ein Grundstück gekauft hatten. Sie hatten sich eben für das Dorf entschieden. Vielleicht mochten sie ja genau die Ruhe und Abgeschiedenheit. Sie waren bodenständig, gingen selten aus und schienen auch sonst keine Hobbys zu haben, die sie von ihrem Grundstück wegzogen. Im Sommer sah man Silke Kappenbach in einem albernen Bikini mit Rüschen am Beckenrand des Swimmingpools liegen, während ihr Mann sich um den korrekten Heckenschnitt bemühte. Der Nachwuchs war mit Oma und Opa im Grasgarten zugange und entdeckte Schmetterlinge und andere Kerbtiere. Haus Nummer Vierzehn war eine moderne Idylle. Alles hatte seinen Platz und seinen Sinn.

      Der Freitagabend war für Familie Kappenbach Junior schon entspannte Freizeit, Einstieg ins Wochenende. Marius half seiner Frau, die großen Einkaufstüten ins Haus zu schleppen. Am Sonntagnachmittag wollten sie grillen. Eine Tüte war gefüllt mit Steaks, Würstchen, Schaschlik-Spießen und Putenbrustschnitzelchen. Auch ein Fünfzehn-Liter-Fässchen mit Bier rollte Marius ins Haus. Gäste wurden erwartet.

      Erhard Kappenbach sah dem ganzen Treiben skeptisch zu. Dass die jungen Leute grillen wollten, hatten sie ihm noch gar nicht gesagt. Gerade wollte er einen Kommentar abgeben, als Marius ihn anblaffte. Ob er seinen Golf da wegfahren könnte, denn am Sonntag kämen doch Gäste, da würde der Parkplatz benötigt.

      Erhard wollte etwas erwidern, hatte schon Luft geholt, ließ es dann doch bleiben. Diskussionen dieser Art hatte es im Hause Kappenbach schon oft genug gegeben. Es war sinnlos. Er winkte ab und ging zurück in seine Haushälfte.

      Seine Frau Gisela erwartete ihn schon. Sie wusste natürlich Bescheid. Aber sie schien darüber nicht sonderlich überrascht zu sein. Marius war der einzige Sohn der Kappenbachs. Sein Wohlergehen war das einzige Lebensziel von Gisela Kappenbach. Auf ihr Betreiben wurde schließlich auch das Haus samt Grund und Boden Marius übertragen. Wer sollte sich denn um sie kümmern, wenn sie alt und krank würden?

      Daher sollte Marius so früh wie nur möglich an das Grundstück samt deren Bewohner gebunden werden. Das waren ihre Hintergedanken. Sie kannte die Tragödien in den vielen Nachbarshaushalten. Die Alten blieben zurück, die Jungen zogen weg.

      Sie konnte es jeden Tag beobachten. Gleich neben ihrem Grundstück lag der Hof Nummer Sechs der Baierstedts. Alte Bauernfamilie, drei erwachsene Töchter, allesamt weggezogen. Sie lebten mit ihren Familien weit entfernt, kamen nur alle paar Monate vorbei, blieben ein, zwei Tage und verschwanden wieder, ihre Eltern in der abgeschiedenen Trostlosigkeit ihres Dorfes zurücklassend. Kein Mensch kümmerte sich ansonsten um sie.

      Aus der nahen Kreisstadt kamen zweimal täglich die jungen Damen vom Pflegedienst und verrichteten die notwendigsten Handgriffe. Der Hof jedoch erstarrte in einer Zeitschleife. Man sah es den Gärten an, keine pflegende Hand sorgte für den Baumschnitt, anstelle der Beete wucherte überall Gras und die einst mit Tieren gefüllten Stallungen waren allesamt verwaist.

      Ab und zu schlurfte der alte Mann oder dessen Frau über den Hof, spürte dem vergangenen Leben nach, um dann wieder kopfschüttelnd zurück ins Haus zu gehen.

      Baierstedts waren inzwischen im Pflegeheim in Lindow. Der Hof blieb ohne Bewohner zurück.

      Nein, so wollten Kappenbachs Senior nicht enden. Da nahm man eben auch die arrogante Attitüte des Sohnes und die schnippische Wesensart der Schwiegertochter in Kauf, zumal sie ja den kleinen Enkelsohn oft zu ihnen rüberbrachten, der für freudige Abwechslung bei Kappenbachs Senior sorgte.

      Gisela


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