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Krähwinkeltod. Thomas L. ViernauЧитать онлайн книгу.

Krähwinkeltod - Thomas L. Viernau


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können, aber sie war stark eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit. Treppensteigen bereitete ihr Höllenqualen, längeres Stehen ebenfalls. Meistens saß sie in der Küche auf ihrem bequemen Stuhl und beschäftigte sich mit dem Verarbeiten der Schätze aus ihrem Garten. Erhards »grüner Daumen« ließ alles in großer Menge und bester Qualität wachsen und reifen.

      Zu jeder Jahreszeit, abgesehen vom Winter, hatte sie zu tun, alles zu zerkleinern, einzukochen, einzufrieren und einzukellern.

      Der Keller der Kappenbachs war wohlgefüllt mit Dutzenden Einweckgläsern voller Obst, Bohnen, Erbsen, Beeren und sauer eingelegtem Gemüse. Der Sommer war lang und warm, die Ernte entsprechend groß. Jetzt zum Ende des Septembers kamen noch zahlreiche Tomaten, Gurken und Paprika aus dem kleinen Gewächshaus hinzu, dass von den jungen Leuten etwas hochtrabend als »Wintergarten« bezeichnet wurde. Auch die Äpfel, Pflaumen und Birnen warteten noch auf ihre Ernte.

      Gisela Kappenbach seufzte. Heute Abend wollte sie eigentlich noch einmal ihre Schwester besuchen, die am anderen Ende der Straße lebte.

      Irene Flumming war drei Jahre älter als sie und seit zwei Jahren verwitwet. Sie lebte allein in dem großen Haus mit der Hausnummer Zehn. Irene hatte keine Kinder. Gisela bekam immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie an Irene dachte. Aber Irene war ein eigenwilliger Mensch. Sie beharrte darauf, dass sie gut allein mit allem zurechtkam und dass Alles, genauso wie es war, Bestens sei. Die beiden Frauen fuhren drei- bis viermal wöchentlich mit dem Auto in die Stadt zum Kaffeetrinken.

      Am Markt gab es ein Café, in dem man stundenlang sitzen konnte und das Gefühl hatte, mitten im Leben zu sein. Ab und zu kam auch eine Bekannte vorbei, setzte sich mit dazu und man tauschte die neuesten Klatsch- und Tratsch-Geschichten aus. Es gab immer etwas, worüber man spekulieren konnte oder wo es Gerüchte gab.

      Währenddessen kümmerte sich Erhard um das Anwesen. Er hatte sich eine Liste gemacht, auf der penibel alle Aufgaben notiert waren, die in der Woche erledigt werden sollten. Erhard arbeitete früher als Ingenieur, war es gewohnt, systematisch vorzugehen. Manchmal begleitete er seine Frau und die Schwägerin ins Café, aber eigentlich langweilte ihn das Herumsitzen und Stöbern in den Privatangelegenheiten wildfremder Menschen.

      Da war er doch lieber mit seinen Pflanzen im Garten zusammen. Ab und zu besuchten ein paar gesellige Rabenvögel seine Obstbäume. Sie saßen gutgelaunt in den Ästen, krakeelten ein bisschen herum und flatterten nach ein paar Minuten wieder davon. Seltsamerweise fühlte sich Erhard Kappenbach durch die Besuche der Schwarzgefiederten erheitert.

      Er hatte sich auch diesen Freitag wieder in sein Rückzugsgebiet begeben. Weder hatte er Lust, mit seiner Frau über die Laster und Gebrechen der übrigen Dorfbewohner zu sprechen noch mochte er den jungen Leuten über den Weg laufen, die sowieso nur mit sich selbst beschäftigt waren.

      Hier hinten im Garten war er mit sich und der Welt im Reinen. Mit Stolz begutachtete er die zu erwartende Apfelernte und prüfte die Pflückreife der großen Pflaumen. Noch ein paar Tage …

      Gisela war mit ihrem Elektroroller zu ihrer Schwester gefahren. Gut so! Endlich war Ruhe. Manchmal ging ihm Gisela mächtig auf die Nerven mit ihrer Art.

      Alles war schlecht, was er machte. Nichts konnte er ihr recht machen. Dabei hatte er doch den gesamten Haushalt bestens im Griff. Alle Dorfbewohner, die er kannte, hatten Respekt vor seinen Hausmeisterqualitäten und bewunderten seine sichere Hand beim Planen und Bauen. Nun ja, er war eben Ingenieur …

      III

      Das Dorf, Haus Nr. 10

      Freitag, 28. September 2007

      Das Haus auf dem Grundstück mit der Nummer Zehn war schon etwas älter, obwohl es kein Bauernhaus war. Der ockerfarbene Rauputz und die Doppelfenster wiesen auf eine Bauzeit in den späten Sechzigern, möglicherweise sogar in den Fünfzigern hin. Zum Haus gehörte ebenfalls ein großer Hof und ein Obstgarten. Darinnen standen ein paar ehrwürdige Apfelbäume, die allerdings dringend eines ordnenden Schnittes bedurft hätten. Wild wucherten Asttriebe nach oben, die zwar viel Blattwerk aber dafür wenig Äpfel trugen.

      Irene Flumming war das egal. Die paar Äpfel, die sie aß, waren ausreichend genug am Baum. Früher, als ihr Mann noch lebte, hatte er sich um die Bäume gekümmert. Jetzt bevölkerten Elstern, Raben und andere Federtiere die Bäume und stritten sich um die wenigen Früchte. Um die Früchte war es Irene nicht schade, aber der dauernde Lärm der unliebsamen Besucher hatte schon etwas Nerviges. Sie war sich sicher, dass sie die aufdringlichen Vögel ihrem verstorbenen Mann zu verdanken hatte. Er hatte die Vögel immer gefüttert.

      Hubi, eigentlich Hubert, war nun schon zwei Jahre tot, eigentlich waren es bald drei Jahre …

      Hubert hatte sich um alles gekümmert, was draußen auf dem Hof und im Garten gemacht werden musste. Er war ein stiller Mensch, saß ansonsten meist in seinem Sessel und las Zeitung. Eines schönen Tages im Winter saß er auch in seinem Sessel, sagte kein Wort und schien zu schlafen. Irene war schon etwas ärgerlich, dass er nicht reagierte, als sie ihn rief. Sie tippte ihn an, spürte just in dem Moment, dass etwas nicht stimmte. Hubi kippte langsam zur Seite weg. Er war einfach gestorben ohne etwas zu sagen.

      Etwas ratlos rief sie ihre Schwester an, die auch gleich mit ihrem Elektroroller kam. Sie schaute auf Hubert, der seltsam verrenkt in dem Sessel lag. Ob man die Eins-Eins-Zwei anrufen solle?

      Oder gleich den Leichenwagen? Na, irgendein Arzt müsse wohl vorbeikommen, der sollte den Totenschein ausstellen. Das war alles, was Gisela einfiel.

      Eine Woche später war Hubert auf dem nahegelegenen Waldfriedhof begraben. Gerade mal Neunundsechzig Jahre alt geworden. Hatte keine Laster, rauchte nicht, trank nicht, trieb sich nicht herum, hatte sein stilles, friedliches Leben gelebt.

      Etwas ratlos blieb Irene allein zurück. Dabei war sie heimlich immer ganz stolz auf Hubi gewesen.

      Wenn sie sich mit den Frauen der Nachbarshöfe unterhielt und deren Nöte mit ihren Männern erzählt bekam, beglückwünschte sie sich leise. Hubi war eine Seele von Mann. Und trotzdem war er einfach so gestorben.

      Ernst Flachbein aus der Vier war schon vierundsiebzig und trieb sich überall herum, bloß nicht zu Hause bei seiner Frau. Und Paule Wüllersbarth, der sich mit den Flachbeins den großen Hof teilte und die zweite Doppelhaushälfte mit seiner Frau bewohnte, soff nun schon seit drei Jahrzehnten ohne dass es seiner robusten Gesundheit zu schaden schien. Vorn aus dem Hof Nummer Fünf, der Reini, also Reinhard Bachhorn, der qualmte täglich drei Schachteln Zigaretten, hustete und spuckte schon seit Jahren, lebte aber dennoch. Ach, die Welt war ungerecht.

      Irene wartete auf das bekannte Geräusch, das Surren des kleinen Elektromotors vom Roller ihrer Schwester.

      Endlich drang das vertraute Knattern an ihr Ohr. Sie schaute aus dem Fenster, sah Gisela zu, wie diese sich mühsam mit ihrer kaputten Hüfte vom Roller bemühte und öffnete die Tür.

      Die beiden Schwestern waren sich äußerlich nicht sehr ähnlich. Gisela war eine etwas fülligere Dame mit sehr gepflegtem Äußeren, die Haare stets ordentlich frisiert, einmal wöchentlich ging sie ja auch zum Friseur nach Lindow, immer sorgfältig geschminkt und mit modisch bunten Blusen und Jacken angetan.

      Irene war da praktischer. Sie war eher der sehnige Typ Frau. Meist trug sie eine Kittelschürze und legte auch nicht so viel Wert auf ihre Frisur. Trotzdem waren sich die Schwestern sehr zugetan.

      Irene litt seit dem Tod ihres Mannes unter Schlaflosigkeit. Oftmals wanderte sie nach Mitternacht ruhelos durchs Haus, dass ihr immer größer und bedrohlicher erschien. Manchmal glaubte sie sogar, den Schatten von Hubi zu erkennen, der irgendwo im Hause auf sie lauerte. Doch stets verschwand er wieder wie von Geisterhand. Mit keiner Menschenseele hatte sie über ihre nächtlichen Alpträume gesprochen, nicht mal mit Gisela.

      Seit zwei Tagen war Irene nun schon in einem seltsamen Zustand. Es hing wohl mit dem Erlebnis in der Nacht zum Donnerstag zusammen. Wieder konnte sie nicht schlafen. Sie saß in der Küche, starrte in die Dunkelheit, traute sich nicht, Licht anzumachen. Was sollten denn


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