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Hölle auf zwei Rädern. Kerrie DrobanЧитать онлайн книгу.

Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban


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Er war über meinen italienischen Nachnamen gestolpert.

      „LT.“ Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es egal geworden, wie mich die Leute nennen. Little Tony. Kid. Kleiner. Ich hatte noch nicht mal einen Namen, bis ich alt genug war, um zu sprechen.

      „Sie hat eine 30-prozentige Überlebenschance.“

      Ich schluckte und ließ meinen Blick in den angrenzenden Raum schweifen.

      Meine Mutter lag zusammengekauert wie ein Fötus auf dem Bett und wippte hin und her. Sie riss das dünne Laken runter, das auf den Boden fiel. Dünne Strähnen ihres blonden Haares klebten an den Wangen. Sie hatte schon seit Wochen nicht mehr geduscht und stank nach Erbrochenem. Das Blut pochte in meinen Ohren und ich fröstelte, was an der Kälte lag, vor allem aber am zunehmenden Gefühl der Verzweiflung. Das ist meine Mum. Ich darf sie nicht verlieren. Sie ist meine ganze Familie, Zeuge meiner Geburt. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, betäubt von Resignation, und kam mir vor wie ein 13-Jähriger, der an seinem Daumen lutschte und nicht in der Lage war zu weinen. An diesem Punkt verdrängte der ungestüme und aggressive Wille zum Handeln die Emotionen. Ganz schön gefühlsduselig, dachte ich mir. Ich war 28 und der Sohn des berüchtigsten und brutalsten Anführer des Pagan Motorradclubs.

      „Hilf mir“, flüsterte Mum. „Zieh die Vorhänge zu.“

      „Was fehlt ihr?“, fragte ich. Sie schläft und bricht, schläft und bricht.

      „Sie ist Alkoholikerin.“ Der Arzt steckte den Kugelschreiber in die Kitteltasche. „Sie leidet an Entzugssymptomen. Bei ihr wirkt sich das schlimmer aus, als bei einem Heroin-Entzug. Im Moment muss sie sich übergeben, wenn sie keinen Alkohol trinkt!“

      Täglich Unmengen Wodka und zur Abwechslung Grand-Dad und Jack Daniel’s – ja, sie musste ihren Preis dafür zahlen.

      „Die Bauchspeicheldrüse ist entzündet und hat einen Laborwert von 16.000. Bei Gesunden liegt der bei 200 oder darunter“, fuhr der Doktor fort, doch ich hörte kaum zu.

      „Sie wird sterben, nicht wahr?“ Ich begann zu zittern.

      „Ich bin schon lange tot“, brüllte Mum.

      „Sie verletzt sich mit Rasierklingen, wussten sie das?“ Ich ging langsam zur Krankenschwester, die die Pupillen meiner Mutter mit einer Stableuchte untersuchte, als würde sie nach einem Funken der Jugend tief in einer Höhle suchen. Das ganze Zimmer roch nach Urin. Und dies war erst der zweite Tag von voraussichtlich wochenlangen Krankenhausbesuchen! Bisher ging es Mum nicht besser. Sie reagierte selbstdestruktiv. Ein Bett auf der Intensivstation bedeutete, dass hier kaum jemand lebend rauskam. Dieser Gedanke nagte an mir, denn der Tod hatte meine Kindheit bestimmt – allein 13 Beerdigungen bevor ich zwölf Jahre alt war. Nach den ersten Begräbnissen spulten die Trauernden ein Programm der Gefühle ab, die sie für angemessen hielten, aber nicht so empfanden. Meist versammelten sich die Biker vor einer stickigen Friedhofskapelle, wobei der bewegungslose Gesichtausdruck ihre schlimmste Angst verbarg – die Angst vor dem eigenen Tod, der rasend schnell auf sie zukommen, sie wie der Schuss einer Schrotflinte aus dem Leben reißen konnte.

      „Sie ist 52?“ Die attraktive, etwas steife Krankenschwester zog die Augenbrauen hoch und sah mich an, als hätte ich mir das Alter gerade ausgedacht.

      Sie sieht aus wie 80, benimmt sich aber wie eine Zehnjährige, wie ein Säugling. Stirbt sie?

      „Wissen Sie, wer Sie sind?“, fragte sie Mutter mit lauter und eindringlicher Stimme, die erst wenige Augenblicke zuvor noch geglaubt hatte, dass George Washington immer noch Präsident ist.

      Mum antwortete blinzelnd: „Meinem Aussehen nach wohl ein Museumsstück.“ Getrocknete Spucke bedeckte ihre Lippen und die milchigen Augen schwollen an. Mum war so spindeldürr, dass sie einem missgebildeten Kind glich. Mit den schrecklich bleichen Händen berührte sie zitternd den Hals und stammelte etwas von Bikern und dem Kodex des Pagan Club – das Bike, der Club, der Hund, die Frauen und dann die Kinder. In dieser Reihenfolge.

      „Hilf mir“, schrie sie mich an.

      Hilf mir. Das Fernsehen über ihrem Bett dröhnte vor sich hin. Mum wand den knöchrigen Arm durch das verchromte Bettgitter und versuchte mich zu berühren.

      „Da gibt es etwas, dass du über deinen Vater wissen musst“, keuchte sie mit klangloser Stimme. Die Krankenschwester verließ diskret den Raum. Jetzt kommt’s. Mir war Mangy egal, denn ich hatte jeglichen Bezug zu meinem alten Herrn verloren. In einem Zeitungsartikel wurde er als Schildkröte beschrieben, die sich in einem Schwarzenviertel in Philadelphia verkroch und manchmal einen verstohlenen Blick aus dem Panzer warf – König seiner eigenen, dunklen Welt, geschützt von genau den Bürgern, die er zu zerstören geschworen hatte.

      „Mum, bitte sag nichts.“

      „Mangy und ich haben uns in einer Bar kennen gelernt, dem Accident. Das hätte ich als böses Omen auffassen müssen. Er machte mir nie einen Heiratsantrag. Eines Tages befahl er mir einfach, seine alte Dame zu werden.“ Mit zitternden Händen zog sie das Kissen zurecht.

      „Ich war keine gute Frau.“

      „Ich bin mir sicher, dass du alles richtig gemacht hast“, antwortete ich, mir meiner Lüge bewusst.

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte die Nerven, zwei Mal schwanger zu werden.“

      Das waren also die Neuigkeiten!

      „Ich habe das erste abgetrieben, denn ein Kind passte einfach nicht in das Biker-Leben.“ Sie hustete. „Aber das zweite.“ Sie legte den Kopf auf die Seite und lächelte mich an: „Ich machte Mangy klar, dass er verrecken kann, wenn er mich daran hindern würde, es auszutragen.“

      „Danke, Mum.“

      Einen Moment lang herrschte totale Stille. Ich richtete die Fernbedienung auf den Fernseher, um ihn abzustellen, und die schönen Menschen mit ihren ach so weißen Zähne verschwanden.

      „Er beobachtet mich schon wieder.“ Mum umklammerte den Hals mit ihren Händen. Tag drei. Ihr ganzer Körper zitterte. Sie sah noch dünner aus und wirkte wie ein unförmiger Kopf, der an einem Kleiderbügel befestigt ist. Mum schien nur noch mit weißen Kabeln verdrahtet zu sein. Aus dem Bettmonitor erklang ein Piepton. Zumindest auf dem Monitor zeigte sich Leben. Der Puls wurde mit einer grünen Kurve abgebildet. Ein Katheterbeutel tanzte auf ihrer Hüfte.

      „Wer?“ Ich schlüpfte aus dem roten Trenchcoat und hängte ihn über eine Stuhllehne.

      „Dein Vater. Er steht vor dem Fenster.“

      „Mum, wir sind in der vierten Etage.“ Trotzdem warf ich einen Blick nach draußen. Die Straße unten schimmerte blau, erleuchtet von den Scheinwerfern der Autos. Schnee fiel. In meinem Kopf spürte ich ein Hämmern und ich sehnte mich nach einem Joint. Ich war nicht von dem Zeug abhängig – nicht mehr. Aber Marihuana beruhigte die Nerven.

      „Er ist gekommen, um uns Geld zu bringen“, unterbrach Mum meine Gedanken. Sie war aus dem Bett gestiegen.

      „Nein!“ Ich drehte mich schnell um, packte sie am Ellbogen und führte sie langsam zurück zum Krankenbett.

      „Mir ist so kalt“, flüsterte sie mit einer dünnen und kindlichen Stimme.

      Langsam setzte ich sie hin, auf Bettlaken, die mit Fäkalien braun beschmiert waren.

      „Schwester“, rief ich, als ein kalter Luftzug über meine Haut strich. Über mir drehte ein Ventilator seine Runden und warf gezackte Schatten auf die Decke. Für manche Menschen glich Johns’ Hospital einem Grab. Für Arme bestand kaum eine Aussicht auf Genesung. Sie wurden einfach ihren Angehörigen zurückgegeben, wie ein Haufen zusammengeschusterter Ersatzteile, in der Hoffnung, dass niemand einen Unterschied bemerkt. Im langen Flur hallten Schreie, unterdrücktes Stöhnen und Flüche.

      „Was ist denn mit euch allen los? Helft ihr!“ Wutentbrannt rannte ich in den Flur.

      Die Krankenschwestern betrachteten mich mit einem stumpfsinnigen, leblosen Gesichtsausdruck. Überall lag Papier auf dem Boden. Eine, den Kugelschreiber hinter das


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