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Hölle auf zwei Rädern. Kerrie DrobanЧитать онлайн книгу.

Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban


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ging ich wieder in Mums Zimmer, befeuchtete einen Waschlappen und tupfte vorsichtig um die wunden Stellen an ihrem Bein herum. Dann wusch ich ihn aus und strich damit langsam über Mums Arme und ihr Gesicht. Kalte Tränen liefen an ihren Wangen herab.

      „Du bist ein gutes Kind, so ein gutes Kind.“

      Mum. Wie wahnsinnig riss ich sie an den Schultern hoch, nur noch eine trockene Hülle, in die sich Maden eingenistet hatten. Erschreckt zuckte ich hoch. Der ganze Körper war noch steif vom Schlaf auf dem unbequemen Stuhl. Meine Beine kribbelten. Mutter keuchte. Sie schlief, und ihre Beine steckten in diesen Katzenpantoffeln mit den aufgenähten Stoff-Figuren. Ein Arzt stand im Türrahmen und hatte eine ernste Miene aufgesetzt.

      „Sie kann keine Flüssigkeit mehr zu sich nehmen.“ Erschöpft und müde presste er Mums Fieberkurve an seine Brust. Auf dem Monitor sah ich nur noch eine flache, grüne Linie.

      „Ist sie tot?“, fragte ich mit zitternder Stimme.

      „Wenn sie nicht bald etwas trinkt, wird sie sterben.“

      Die Linie auf dem Monitor machte einen leichten Ausschlag. In Mum regte sich noch ein Hauch von Leben. Ich drückte ihre Hand. Die Haut war faltig. Ich spürte jeden einzelnen Knochen. „Du darfst keinen Alkohol mehr trinken, verstehst du?“ Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete.

      Tränen bedeckten die Wimpern. Ganz zaghaft hauchte sie: „Das verspreche ich.“ Dann, nach einer kurzen Pause, fragte sie: „Und wie sieht es mit den Tabletten aus?“

      „Da ist ein kleines Mädchen in meinem Zimmer.“ Mutters krallenähnliche Finger umklammerten das Bettgitter. Die Pupillen ihrer eingefallenen Augen waren größer, als sie eigentlich sein sollten.

      „Hier ist niemand, Mum.“ Ich streckte mich zum Fenster und sah mein Spiegelbild im Glas. Meine Augen wirkten leblos, als wäre das Licht in ihnen erloschen. Ich biss mir mit den Zähnen auf die Wangeninnenseite und spürte das eigenartige Gefühl von Monotonie gepaart mit Anspannung. Beerdigungen versprachen wenigstens einen Abschluss und Feierlichkeiten, während Krankheiten, besonders Demenz, einen Menschen auf sich selbst zurückwarfen, ihn dazu brachten, sein eigenes Leben zu hinterfragen. Und ich war mir nicht sicher, ob ich mich schon für so eine Innenschau bereit fühlte.

      „Da ist sie doch“, drängelte Mum, wobei sie mit der dürren Hand in der Luft gestikulierte. Sie warf die Laken zur Seite und setzte sich auf den Bettrand. „Schaff sie hier raus. Sie wird sterben.“

      „Mum, was machst du da“, protestierte ich. „Das ist doch nur mein Mantel!“ Ich zog den Trenchcoat vom Haken, hielt ihn vor die Brust und winkte mit den leeren Ärmeln.

      Der Gesichtsausdruck meiner Mutter verfinsterte sich, sie zog die Augenbrauen zusammen und ließ die Zunge schlangengleich über ihre Oberlippe fahren. „Motherfucker“, kreischte sie und warf mir die Fernbedienung an den Kopf. Unsicher stellte sie sich hin, fiel auf den Boden, wodurch sich ein nasser, brauner Fleck auf ihrem Krankenhausnachthemd zeigte.

      „Schwester“, schrie ich mit erstickter Stimme. „Verdammt noch mal, helft uns doch!“

      Ich zog Mutter vom verdreckten Boden hoch, fiel mit ihr aufs Bett und roch den nach Aufschnitt stinkenden Atem. Meine Arme waren mit Kot verschmiert. Sie hatte Durchfall und der Nachtopf quoll über. Der Darm entleerte sich mit ungeheurem Druck. Ich erinnerte mich an einen ihrer Selbstmordversuche vor vier Jahren. Sie hatte sich mal wieder im Badezimmer eingeschlossen. Es war noch dunkel, ungefähr vier Uhr morgens. Ich schreckte durch das Geräusch laufenden Wassers hoch. Ein Topf knallte in der Küche.

      Dann hörte ich das bekannte Knistern von Cellophan, als Mum wieder eine Packung Rasierklingen öffnete, und hämmerte an die Tür des Bads. Keine Antwort.

      „Hau ab!“

      Ich klopfte noch lauter. Teller zerschellten in der Küche unter mir. Gedämpftes Lachen drang durch die Dielen.

      Ich hörte ein metallisches Klicken, denn Mum hatte den Riegel zur Seite geschoben. Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür und da sah ich sie: nackt, ein Bein in der Badewanne, während das andere über den Rand baumelte, blutverschmiert, mit einer Rasierklinge in der Oberschenkelarterie.

      „Sie wird morgen entlassen“, erklärte der Arzt und drückte Mums Akte fest an seine Brust. „Hat sie ein Zuhause?“

      Ich stand in ihrer Küche und hatte die Hände in die Seiten gestemmt. Ein schwerer Druck lastete auf meiner Brust. Ich traute mich nicht, das Licht anzumachen. Es war wohl besser im Dunkeln zu arbeiten und sich der Illusion hinzugeben, dieses Drecksloch sauber machen zu können. Chuck, der aktuelle Lebensgefährte von Mum, hockte auf einem Stuhl in der Ecke. Sein Oberkörper war vornüber gebeugt, er war blind und zitterte. Keiner von uns brachte ein Wort über die Lippen. Ich fühlte mich total verloren, wie ein Möbelstück aus einem anderen Haus, das nicht zum Inventar passte. In meiner Erinnerung tauchte ein Geruch auf – der widerlich süßliche Gestank von ungewollter Nähe. Doch dann atmete ich befreit durch. Ich muss zugeben, dass ich als Kind besorgt war, mein Leben würde keine Spuren hinterlassen – dass all die Gewalt und die Wut die Wände wie eine starke Droge durchdringen würden, dass ich mich auflösen würde. Übrig bliebe nur ein leerer Raum für nichts ahnende Bewohner, die einfach neu begännen – als wäre der Schmerz nur eine schillernde Politur, die entfernt wird. Keine Narben. Keine Zeugen. Nur noch ein Geruch.

      Ich tröpfelte das Bleichmittel auf einen Putzlappen und holte tief Luft. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle. Der Müllbeutel quoll über von leeren Flaschen Wodka, Jack Daniel’s und Dosen von Frühstücks-Fastfood. Wasser tröpfelte aus dem Hahn und hinterließ ein Rinnsal auf der Arbeitsplatte. Die Tür des Kühlschranks öffnete sich mit einem Knacken, und das kleine Lämpchen flackerte. Fliegen umschwirrten halb gegessene Hamburger. Verschüttete Milch lief die Ablagen runter, da der Karton ohne Verschluss auf der Seite lag. Ich blickte auf das zerknitterte Schwarzweißfoto eines lächelnden Kindes. Die Regale waren mit zahllosen Reihen Bierdosen gefüllt. Das Saubermachen wurde zu einem Ritual, einer Art kathartischer Befreiung. Ein Raum spiegelte das Leben seiner Bewohner wider. Nichts war statisch. Der Dreck würde sich wieder ausbreiten, aber trotzdem gab mir das Putzen ein gutes Gefühl – einfach den Schmutz auf der Oberfläche wegwischen. Auch wenn das alles keinen Sinn ergab.

      Ich öffnete ein Fenster und spürte, wie mir der kalte Wind ins Gesicht schlug. Es war noch früh am Morgen, und der Himmel war bedeckt. Ich hatte versprochen, meine Mutter an Nachmittag abzuholen. Ich ließ mich auf die Knie fallen und schrubbte wie ein Wahnsinniger den Boden mit der Bleiche, wobei sich die Farbe von Mattbraun in Elfenbein veränderte. Der Schweiß lief mir von der Stirn und stach in meinen Augen. Ich arbeitete bis meine Hände wund wurden, stand auf, ging zur Arbeitsplatte und träufelte noch mehr Bleiche auf den Lappen. Das matte Licht am Himmel verdunkelte sich und schien heftigen Schneefall anzukündigen. Ich leerte einen weiteren Müllbeutel und streckte mich, da ich nun schon seit Stunden am Arbeiten war und mein ganzer Körper schmerzte. Doch der Schmerz gab mir ein gutes Gefühl und erinnerte mich an meine Lebendigkeit. Das war etwas ganz Besonderes – sich lebendig zu fühlen.

      „Das riecht hier gut“, meinte Chuck, wobei er doch noch seinen Kopf erhob.

      „Meinst du, es wird ihr gefallen?“, hakte ich nach.

      „Es wird ihr noch nicht mal auffallen.“

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      Am Anfang fließt immer Blut …

      und dann liegen da Leichen.

      Der Regen prasselte auf die Straßen vor unserem Haus in Upper Darby, ein Block südlich der Linden Avenue, in einer hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Siedlung, in der einst der Pagan Motorrad Club sein Regime führte. Die Medien berichteten über die Nähe des Clubs zur Cosa Nostra und beschrieben die Pagans als „die wildeste Outlaw-Biker-Gang


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