Im Reich der hungrigen Geister. Gabor MateЧитать онлайн книгу.
„Nun, ich sehe, dass er sehr engagiert ist. Aber“ – sie holt tief Luft und schaut ihren Partner direkt an – „ich habe Angst, denn jedes Mal, wenn ich in der Vergangenheit Vertrauen hatte, bin ich immer … bin ich immer enttäuscht worden. Also habe ich Angst, aber ich bin immer noch bereit zu vertrauen.“
„Wenn das der Fall ist“, deute ich an „dann wird die physische Nähe zu Rick …“
Celia vervollständigt meinen Gedanken. „Dann wird es nichts ändern, wenn ich ihm körperlich nahe bleibe.“
Vor dem Praxiszimmer steigern sich die Rufe der wartenden Patienten. Ich verspreche, die Reha-Möglichkeiten für Celia zu prüfen und gebe ihr den Standard-Bluttest und die Überweisung zum Ultraschall mit. Als ich aufstehe, um die Tür zu öffnen, rührt sich Celia nicht von ihrem Stuhl. Sie zögert und blickt Rick kurz an, bevor sie spricht. „Du musst es mir leichter machen“, sagt sie zu ihm. „Ich weiß, es ist sehr schwer für dich mit anzusehen, wie ich Drogen nehme, obwohl ich schwanger bin …“ Sie hält inne und starrt auf den Boden. Ich dränge sie, weiterzumachen.
„Ich brauche Ermutigung, keine Wut. Rick kann mit seinen Worten sehr schneidend sein … sehr scharf.“ Sie konfrontiert ihn noch einmal und spricht ihn bewusst und entschlossen an. „Du verstärkst all die negativen Dinge, die die Leute über mich gesagt haben, indem du mir Vorwürfe machst … ‚Ja, sie hatten recht, sie sagten dies, sie sagten das. Ja, du bist dies, du bist das‘, und wirfst noch ein paar Sachen hinterher, die nichts mit mir zu tun haben. Ich bin nicht promiskuitiv; ich bin keine Hure …“
Rick wird unruhig und starrt auf seine Füße. „Wir haben noch einiges an unserer Beziehung zu arbeiten“, sagt er, „aber wir haben jetzt eine andere Motivation.“
„Es ist frustrierend für Sie, Celia zuzusehen, wie sie Drogen nimmt.“
„Sehr frustrierend. Aber es ist mein Frust. Es ist meine Verantwortung.“
Rick hat als Alkoholiker einige Entwicklungen mithilfe eines Zwölf-Schritte-Programms gemacht. Er ist leicht zu verstehen, und wie Celia ist er einfühlsam und wortgewandt. „Es gibt einen schmalen Grat“, bemerkt er, „zwischen den gesunden Grenzen und der Co-Abhängigkeit, bei der einfach über einen hinweggegangen wird. Im Eifer des Gefechts ist es für mich so schwer, das zu erkennen.“
Ich erlaube mir für einen Moment einen gewissen Optimismus. Wenn irgendjemand es schaffen kann, dann sind es diese beiden.
Oktober 2004: später in diesem Monat
Celia hält den Reha-Plan nicht durch. Als sie beim nächsten Mal wegen ihres Methadon-Rezepts in meine Praxis kommt, gesteht sie, dass sie immer noch Koks raucht.
„Es ist ziemlich sicher, dass man Ihnen das Baby wegnehmen wird“, erinnere ich sie. „Wenn Sie Kokain nehmen, wird man Sie nicht als kompetente Mutter betrachten.“ „Das ist eine Sache, mit der ich aufhören werde. Ich versuche verdammt noch mal mein Bestes. Das war’s. Ich höre auf.“
„Es ist Ihre beste Chance, das Baby zu behalten – Ihre einzige Chance.“
„Ich weiß.“
November 2004
Celia hält eine feuchte Kompresse an die große Schwellung über ihrem rechten Auge und geht von der Tür zum Fenster. „Ich bin mit einem Mädchen in eine Schlägerei geraten. Das wird schon wieder. Aber, hey, ich habe den Ultraschall gemacht. Ich habe eine kleine Hand gesehen! Sie war so winzig.“
Ich erkläre ihr, dass es sich bei dem Schatten auf dem Ultraschallbildschirm nicht um eine Hand gehandelt haben kann: Nach sieben Wochen Schwangerschaft sind die Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Aber ich bin gerührt von Celias Aufregung und ihrer offensichtlichen Verbundenheit mit dem embryonalen Leben, das sie in sich trägt. Sie erzählt mir, dass sie seit über einer Woche kein Kokain mehr genommen hat.
November 2004: später in diesem Monat
Ich weiß nicht, ob ich jemals eine solche Traurigkeit gesehen habe, wie ich sie an diesem Tag in Celias Gesichtszüge eingebrannt sehe. Ihr langes, strähniges Haar fällt ihr vor das Gesicht, während sie den Kopf hängen lässt, und hinter diesem Schleier spricht sie ihre Worte mit schmerzhafter Langsamkeit. Ihre Stimme ist ein wehklagendes, wimmerndes Stöhnen.
„Er hat mir gesagt, ich soll mich verpissen … Er hat es mehr als deutlich gemacht, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will.“
Ich fühle mich bestürzt, ja sogar irritiert, als ob Celia es mir persönlich schuldig wäre, eine glückliche, aller Wahrscheinlichkeit trotzenden Erlösungsfantasie auszuleben. „Waren das Ricks Worte oder Ihre Interpretation?“
„Nein, er hat all seine Sachen zusammengepackt und hatte nicht mal das Herz, mir zu sagen, was los war, wo er war oder sonst was. Ich bin ihm heute Morgen auf der Straße begegnet und er beschimpfte mich mit einem Haufen Blödsinn, dass ich ihn betrogen hätte, was völliger Quatsch ist. Ich habe ihn nie betrogen. Aber er ist abgehauen. Also, so sieht’s jetzt bei mir aus.“
„Sie sind verletzt.“
„Ich bin am Boden zerstört. Ich habe mich in meinem ganzen verdammten Leben noch nie so unerwünscht gefühlt.“
Doch, hast du, denke ich mir im Stillen. Du hast dich immer ungewollt gefühlt. Und so verzweifelt du auch versuchst, deinem Baby das zu bieten, was du selbst nie erlebt hast – ein liebevolles Willkommen auf dieser Welt – am Ende wirst du ihm die gleiche Botschaft der Ablehnung übermitteln.
Es ist, als ob Celia meine Gedanken liest. „Ich ziehe die Schwangerschaft trotzdem durch“, sagt sie mit gespitzten Lippen. „Ich könnte eine Abtreibung machen, aber nein. Das ist mein Kind, es ist ein Teil von mir. Es ist mir egal, ob ich allein dastehe oder nicht. Diese Dinge geschehen aus einem bestimmten Grund. Gott würde mir nicht mehr aufbürden, als ich tragen kann. Also muss ich nur fest genug daran glauben, dass sich alles zur rechten Zeit richten wird. Und so, wie es geschieht, so soll es auch sein.“
Celia hat eine starke spirituelle Neigung. Wird sie das durchstehen?
„Ich muss mich erholen. Ich muss heute Nacht von hier verschwinden, und sei es auch nur in eine Notunterkunft, sonst bringe ich am Ende noch jemanden um. Ich will einfach nur verschwinden …“
Wieder einmal telefonieren wir mit verschiedenen Rehakliniken. Am Nachmittag springt Celia, zwei Blocks vom Portland entfernt, aus dem Taxi, das sie zu der Unterkunft fahren sollte, die das Personal für sie organisiert hat. Am nächsten Morgen ist sie wieder im Portland, zugedröhnt mit Kokain.
Dezember 2004
Celia hat seit einer Woche kein Kokain mehr genommen und ist entschlossen, clean zu bleiben. „Ich kann mich einfach nicht in irgendeiner Suchtklinik einsperren lassen“, sagt sie, „aber wenn ich mich vom Crack fernhalten kann, geht es mir gut.“ Sie ist fröhlich, hat einen klaren Kopf und ist optimistisch. Die Schwangerschaft entwickelt sich rasant. Während sie zunimmt, werden ihre etwas kantigen Züge weicher, und sie scheint sich rundum wohlzufühlen. Bei der Geburtsvorbereitung und der HIV-Behandlung wird sie vom Oak Tree betreut, einer Klinik, die dem Frauenkrankenhaus von British Columbia angegliedert ist.
Wenn ich Celia so sehe, erinnere ich mich an ihre Stärken. Zusätzlich zu ihrer Intelligenz und ihrem liebebedürftigen Wesen hat sie eine einfühlsame, spirituell lebendige und künstlerische Seite. Sie schreibt Gedichte, malt und hat auch eine schöne Mezzosopran-Stimme. Die Mitarbeiter waren gerührt, als sie Celia in der Portland-Musikgruppe und sogar unter der Whirlpool-Dusche, die wir für unsere Patienten auf der gleichen Etage wie die Klinik haben, zu den Songs von Bob Dylan und den Eagles ihr Herz ausschütten hörten. Wenn man doch nur ihre lebensbejahenden Tendenzen aufrechterhalten könnte, damit sie die Oberhand über ihre resignierten, von Angst geplagten emotionalen Mechanismen bekommen könnten.
„Sie hätten nicht vielleicht einen Dollar für ein paar Zigaretten, oder, Doktor?“
„Ich sag Ihnen was“, erwidere ich. „Wir gehen runter