Drug trail - Spur der Drogen. Matthias KlugerЧитать онлайн книгу.
presste den Makeln-Knopf und lauschte dem zweiten Anrufer. Dann, nach etwa einer Minute, wechselte er wieder die Leitung: „Phil, ich muss Schluss machen. Ich melde mich. Sag Mom noch einen Gruß von mir.“
Noch bevor Philipp antworten konnte, hatte Robert aufgelegt und einem der vielen Yellow Cabs, die sich schleichend den Weg durch den verschneiten Verkehr bahnten, Zeichen gegeben.
„Zum Capitol“, wies Robert den Taxifahrer an, nachdem er sich den Schnee vom Mantel geschüttelt hatte und eingestiegen war. „Und zwanzig Dollar extra, wenn wir es in zehn Minuten schaffen!“
Reporteralltag
„Komm schon, Sue. Du hattest die Kleine über Ostern. Da werde ich sie doch zwei Tage über Weihnachten bei mir haben können.“
Sue, die eigentlich Sophia hieß, strich sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haares aus der Stirn. Sie war eine äußerst attraktive Mittdreißigerin, die ihre italienischen Wurzeln nicht verhehlen konnte.
„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du die Schlampe auf deinem Schreibtisch gefickt hast.“
„Sue, das ist vier Jahre her. Was hat das jetzt damit zu tun?“
Sophia verdrehte die Augen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie ihr die Vorstellung von Oliver mit diesem Flittchen noch immer einen Stich versetzte.
„Eve wird Weihnachten und Silvester mit mir bei meinen Eltern verbringen. Basta. Danach kannst du sie gerne übers Wochenende haben. Vorher nicht.“
„Dein letztes Wort?“, fragte Oliver, dem das Gespräch wieder einmal aus dem Ruder gelaufen war.
„Du zahlst“, war die lapidare Antwort seiner Exfrau, die im Begriff war aufzustehen.
„Warte, warte, setz dich bitte wieder. Ich lade dich ein und wir trinken noch einen, okay?“
Widerwillig stand Sophia am Bistrotisch, strich ihren figurbetonten Rock glatt, überlegte einen Moment und ließ sich dann sichtlich genervt auf den Stuhl zurücksinken.
Das Brown Bag am Franklin Square, in dem sie gerade saßen, lag unweit der Washington Post, wo Oliver arbeitete, und glich im Inneren einer überfüllten Bahnhofshalle. Dicht gedrängt standen diejenigen Gäste, die keinen der begehrten Sitzplätze ergattern konnten, aufgeheizt, Schulter an Schulter, in dicken Mänteln und Daunenjacken, was die Scheiben des Restaurants feucht beschlagen ließ.
„Hör zu, Sue. Was hältst du davon, wenn ich an einem Tag bei deinen Eltern vorbeikomme und wir gemeinsam feiern?“
„Dio mio, bist du jetzt völlig übergeschnappt?“ Sophia wedelte mit der Hand vor ihrer Stirn, als wäre sie ein Scheibenwischer. „Wir sind Sizilianer, hast du das vergessen? Noch bevor du einen Schritt über die Türschwelle gemacht hast, steckt das Messer meines Vaters zwischen deinen Rippen.“
„Ach was“, entfuhr es Oliver. „Lorenzo hat mich immer gemocht, das weißt du!“
„Klar, bis zu dem Tag, als er mitbekommen hat, dass sein Schwiegersohn seinen Schwanz nicht im Griff hat.“
„Sue, es war ein Mal. Ein Mal und – ach, vergiss es …“ Oliver beschloss mit einem übertriebenen Seufzer, nicht weiter zu bohren. Es hatte keinen Sinn, alles von Neuem aufzuwärmen. Sie waren jetzt vier Jahre getrennt und ihre gemeinsame Tochter Eve würde nächstes Jahr sechs werden. „Okay, Sue, gut. Lass uns nicht streiten und noch nen Drink nehmen. Eine Bitte hätte ich dennoch: Würdest du nachher noch schnell mit rüber zur Redaktion kommen? Ich hab ein Geschenk für Eve … und für dich“, fügte er etwas leiser hinzu.
„Dann lass uns gleich gehen“, bat Sophia. „Und ich warte unten.“ Sie zog eine Braue in die Höhe. „Ich habe nämlich keine Lust, in deinem Büro irgendwelchen langbeinigen Blondinen über den Weg zu laufen, die hinter meinem Rücken tuscheln, welchem Hengst ich aufgesessen bin.“ Sophias Miene strahlte noch immer Verärgerung aus.
Nachdem sie gezahlt und sich zum Ausgang gedrängt hatten, blies ihnen von draußen die kalte Dezemberluft Schneeflocken ins Gesicht. Als Oliver den Arm um Sophias Schulter legte, um sie so durch das Schneetreiben zu führen, zauderte sie zuerst abweisend, ließ es dann aber doch geschehen.
Wenig später gelangten sie zum großen Zeitungsgebäude an der 1301 K Street NW und Oliver hielt Sophia die mächtige Glastür zur Eingangshalle der Washington Post auf. Sie waren noch damit beschäftigt, sich stampfend und klopfend vom Schnee auf den Schuhen und der Kleidung zu befreien, als Oliver eine merkwürdige Anspannung auffiel, die in der Luft lag. Das übliche hektische Treiben im Empfangsbereich schien noch intensiver als sonst, so als seien sämtliche der Anwesenden in irrsinniger Eile. Handys waren gezückt, man rief sich quer über die Köpfe hinweg unverständliche Sätze zu, während hin und her gelaufen wurde, um scheinbar irgendein fiktives Ziel als Erster zu erreichen. In dem Augenblick, da sich ihre erstaunten Blicke trafen, hörten sie durch das Stimmengewirr hindurch Olivers Namen.
„Oliver, shit, Oliver.“ Im Stechschritt kam „Qualle“, Olivers Assistent und ein wahres Computergenie, auf ihn zugelaufen. Eigentlich hieß er Ronny, doch angesichts seines schwabbelig gedrungenen Körperbaus nannten ihn alle nur bei seinem Spitznamen. Es schien ihn auch keineswegs zu stören.
„Verdammt noch mal. Wo warst du die ganze Zeit? Hast du dein Handy nicht gehört?“
Oliver verzog entschuldigend das Gesicht: „Sophia, das ist Qualle. Qualle, Sophia.“
„Ja, ja, hi Sue“, begrüßte Qualle die Ex seines Chefs in scheinbarer Vertrautheit. Dann zog er Oliver am Ärmel zur Seite. „Sie haben Winston gefunden“, platzte es aus ihm heraus.
„Winston? Wo?“, fragte Oliver mit zusammengekniffenen Lippen.
„In einer Suite im Four Seasons.“
„Und?“
„Ja, was und?“ Qualles Nasenflügel bebten. „Der Vice President ist tot.“
„Tot? Wann? Wer hat ihn gefunden?“
„Die Meldung kam erst vor ner halben Stunde, so in etwa. Einer seiner Bodyguards fand ihn im Badezimmer. Mehr wissen wir noch nicht.“
„Wer von uns ist im Four Seasons?“, fragte Oliver hektisch.
„Frank und Jenny. Na und du, will ich hoffen.“ Qualle blaffte seinen Chef regelrecht an, bereute jedoch im selben Atemzug den ungestümen Vorwurf in seiner Stimme.
Oliver spürte das Adrenalin durch seine Adern rauschen. Für einen kurzen Moment wurde ihm wieder bewusst, warum er Reporter geworden war.
„Okay. Ähm, Sue“, Oliver stammelte sichtlich erregt, „also, du verstehst doch …“
„Hau schon ab.“ Ihr kurzes Lächeln war für Oliver wie eine Offenbarung. Warum hatte er diese Frau nur so beschissen behandelt? Er gab Sophia zum Dank einen Kuss auf die Wange und wandte sich zum Gehen.
„Warte kurz“, hielt sie ihn zurück. „Das Geschenk für Eve. Ich will nicht ihre Enttäuschung unterm Weihnachtsbaum sehen, dass ihr Dad mal wieder …“
„Klar, das Geschenk. Äh, Ronny“, wies Oliver seinen Assistenten im Gehen an, „lauf bitte in mein Büro. Die große blaue Tüte mit den drei Päckchen. Und ich melde mich, ja?“
Wenn sein Boss ihn nicht mit seinem Spitznamen ansprach, dachte Qualle, musste ihm die Angelegenheit mit der Geschenktüte wirklich am Herzen liegen. Er zwinkerte der attraktiven Sophia zu und bat die Italienerin, kurz auf ihn zu warten.
Weißes Pulver
Der Taxifahrer benötigte trotz starken Schneetreibens und des damit verbundenen Verkehrstrubels nur neun Minuten, bis er seitlich des James A. Garfield Memorials am Ende der Maryland Ave SW zum Stehen kam. Die in Aussicht gestellten zwanzig Dollar extra hatte er sich durch waghalsige Überholmanöver redlich verdient. Als Robert zu den Bürogebäuden rechts des Capitols lief, war dessen über achtzig Meter hohe Kuppel der dicken Schneeflocken