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Wenn alle Stricke reißen. Beate VeraЧитать онлайн книгу.

Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera


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gefiel. Im Park hatte Tobi wie üblich rumgekaspert, während Max ziemlich still gewesen war, selbst für seine Begriffe. Am Pavillon hatten sie alle Wodka-Energy getrunken. Sie selbst auch, obwohl sie wusste, dass sie keinen Alkohol trinken durfte. Danach erinnerte sie sich an nichts mehr.

      Glander war gespannt darauf, was ihn gleich erwarten würde, als er vor der großen, dunkelblau gestrichenen Tür der Lüdersstraße 23 stand. Tara, siebzehn Jahre alt, die Tochter der Anruferin Maria Berthold, war angeblich entführt worden. Die Familie lebte in einer klassischen Altberliner Stadtvilla aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts mit Souterrain, Hochparterre und verwinkeltem Dachgeschoss. Das Haus war in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts saniert worden, und die vier großen Wohnungen waren in eine sehr große und vier kleinere umgebaut worden. Familie Berthold bewohnte als Eigentümer rund dreihundert Quadratmeter des Hauses, die sich auf die zusammengelegten Wohnungen im Hochparterre und die darüberliegende Etage erstreckten.

      Glander betrachtete das Klingelschild. Neben dem Namen der Bertholds befanden sich vier weitere darauf: Gruhner, Lemke, Schneider und Obentraut. Rechts und links von der zur Haustür hinaufführenden Treppe lagen zwei kleine Rasenstücke, jeweils von Beeten umrahmt und makellos gepflegt. Glander drehte sich um und ließ seinen Blick wandern. Dem Haus gegenüber lag eine Grünanlage, die parallel zum Teltowkanal verlief und diesseits des Wassers am Stadion Lichterfelde endete. Jenseits des Kanals führte sie durch den Schloßpark Lichterfelde und mündete hinter dem Charité-Campus Benjamin Franklin in den Bäkepark. Er war die Strecke ein paarmal mit Lea und Talisker gejoggt.

      Glander klingelte bei den Bertholds, der Summer ertönte, und er betrat das Haus. Er folgte dem dunkelroten, mittig verlegten Teppich die halbe Treppe hinauf. Das Treppengeländer aus Holz war elfenbeinfarben gestrichen und mit aufwendigen Intarsien verziert. Das Treppenhaus roch frisch gebohnert. Die Wohnungstür der Bertholds war geöffnet, davor stand eine ausgesprochen schöne Frau. Sie hatte glattes, langes schwarzes Haar und dunkle Mandelaugen. Frau Berthold trug unverkennbar Designermode – Glander tippte auf Armani – und hielt ihm zur Begrüßung ihre Hand entgegen.

      »Herr Glander, ich bin Maria Berthold. Ich bin sehr froh, dass Sie so schnell gekommen sind. Bitte kommen Sie doch herein!«

      Glander schüttelte ihre Hand und betrat den Flur der Wohnung, der ganz in Weiß gehalten war. Der Fußboden bestand aus Marmorfliesen, und an den Wänden hingen großflächige abstrakte Leinwände. Die Bertholds sammelten anscheinend moderne Kunst. Auf kleinen Tischen und Schränken standen verschiedene Skulpturen.

      Maria Berthold führte ihn in das Wohnzimmer, in dem ebenfalls die Farbe Weiß dominierte. Auch dort hingen große Leinwände, darauf grafische Farbmuster. Maria Berthold bat Glander, auf der hellen Ledercouch Platz zu nehmen, und setzte sich ihm gegenüber auf einen Sessel. Sie hielt ein Taschentuch in den Händen und blickte ihn an. Ihre Augen waren gerötet, sie sah übernächtigt aus, und Glander bemerkte, wie sehr sie sich zusammennehmen musste, um ihre Angst unter Kontrolle zu halten.

      »Frau Berthold, was genau ist passiert?«

      Sie wrang das Taschentuch, während sie antwortete: »Ich weiß es nicht. Tara war gestern in der Schule, wie immer. Sie ist im ersten Semester auf dem Gymnasium, das liegt nicht weit von hier. Gewöhnlich nimmt sie das Fahrrad oder läuft. Meine Tochter hatte sechs Stunden Unterricht, danach Tennistraining – das ist auch gleich um die Ecke – und um fünf Uhr noch Theater-AG, ich habe sie also nicht zum Abendessen erwartet.« Sie hielt inne und betrachtete liebevoll das Foto eines hübschen Mädchens in Tenniskleidung, das auf einem Beistelltischchen stand. Tara hatte die großen Augen und das dunkle Haar der Mutter geerbt.

      »Ist das Tara?«

      Maria Berthold nickte und tupfte sich die Augenwinkel. »Ja, das ist meine Tara. Im Sommer, als sie das Turnier gewonnen hatte. Ich war so stolz auf sie.«

      Glander vermisste die Worte »wir« und »unsere« in den Schilderungen der Frau und fragte nach Taras Vater. »Frau Berthold, ist Ihr Mann auch zu Hause?«

      Sie blickte ihn verständnislos an und schüttelte den Kopf. »Nein, Heinz, mein Mann, arbeitet im Krankenhaus. Er ist Neurochirurg und beruflich sehr eingespannt. Ich …« Sie zögerte, bevor sie weitersprach. »Tara ist meine Tochter, Herr Glander. Sie trägt Heinz’ Nachnamen, aber sie ist nicht sein leibliches Kind. Ich denke, Sie sollten das wissen. Außerhalb unserer Familie hat niemand davon Kenntnis, selbst Tara habe ich es erst vor kurzem gesagt, und ich bitte Sie, diskret mit dieser Information umzugehen.«

      Glander ließ die Neuigkeit zunächst unkommentiert im Raum stehen. »Wann begannen Sie sich Sorgen zu machen?«

      »Erst, als sie auch um elf noch nicht zu Hause war. Heinz war noch in der Klinik, er arbeitet oft spät. Er ist ein gefragter Dozent auf Kongressen und Seminaren, wissen Sie. Ich sah fern. Um elf wurde ich dann unruhig, denn ich hatte nichts von Tara gehört.« Wieder ging das Taschentuch an die Augenwinkel.

      Glander nickte Maria Berthold ermutigend zu, und die fuhr fort: »Normalerweise schickt sie mir eine SMS, wenn sie noch zu ihrer Freundin Louise geht oder sich verspätet. Tara ist sehr verantwortungsbewusst. Ich muss mich oft ausruhen, meine Gesundheit ist nicht sehr stabil, und manchmal bekomme ich gar nicht mit, wenn sie nach Hause kommt. Als sie um Mitternacht immer noch nicht da war, begann ich, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Mein Mann leitete eine Notoperation und war nicht erreichbar, und ich wusste, dass er nicht gewollt hätte, dass ich die Polizei kontaktiere und damit Taras Rumtreiberei, wie er es genannt hätte, offiziell mache. Um diese Zeit konnte ich auch keine Klassenkameraden von Tara mehr anrufen, auch das wäre Heinz nicht recht gewesen. Ich bin die ganze Nacht durch die Wohnung gelaufen und habe sie immer wieder auf dem Handy angerufen, aber sie hat nicht abgenommen. Um acht Uhr heute Morgen wollte ich hinunter zu Louise gehen, um sie zu fragen, ob sie etwas wisse. Dann fand ich das hier vor unserer Wohnungstür.« Sie reichte Glander ein Blatt Papier, das mit der Rückseite nach oben auf dem Couchtisch gelegen hatte. Auf einem DIN-A4-Bogen stand ein mit Computer verfasster Text:

       Wir haben Tara.

       Wir wollen 500 000 Euro.

       Übergabedetails folgen.

       Keine Polizei, sonst stirbt sie!

      Glander seufzte innerlich. Erpresser setzten auf die Angst der Familien ihrer Entführungsopfer, und es war jedes Mal mühevoll, diese zu durchbrechen. Hier musste die Polizei ermitteln, es führte kein Weg daran vorbei. »Frau Berthold, ich helfe Ihnen gerne, aber Sie müssen die Kriminalpolizei einschalten.«

      Maria Berthold zuckte zusammen. »Nein! Auf keinen Fall! Sie sehen doch, was da steht! Meine Tara wird umgebracht, wenn ich die Polizei verständige. Deshalb habe ich Sie ja um Hilfe gebeten. Ich habe neulich einen Bericht im Tagesspiegel über Ihre Agentur gelesen, das fiel mir wieder ein. Auf Ihrer Website habe ich Ihre Nummer gesucht und gelesen, dass Sie rund um die Uhr erreichbar sind. Sie sind doch ein erfahrener Kripobeamter. Bitte, Herr Glander, Sie müssen Tara finden!«

      Die Tageszeitung hatte im Wirtschaftsteil, in der Rubrik BERLIN, aber oho, über seine neugegründete Agentur berichtet. Die Website war noch nicht ganz fertig, aber ihr waren immerhin seine Telefonnummer und Kurzbiographien von Merve und ihm selbst zu entnehmen. »Ich war Hauptkommissar, das ist richtig, und genau deshalb rate ich Ihnen: Schalten Sie die Polizei ein!«

      Doch auch weitere zehn Minuten Überzeugungsarbeit nutzten nichts. Frau Berthold weigerte sich, die Polizei zu kontaktieren.

      Resigniert entschuldigte Glander sich für einen Moment und ging in den Flur, um seine Partnerin auf dem Handy anzurufen.

      Während Glanders Wochenende durch die Entführung von Tara Berthold beendet wurde, bevor es richtig begonnen hatte, saß Lea in ihrer Küche und blätterte durch die Steglitz-Süd-Ausgabe der Berliner Woche, eines Anzeigenblatts, das über Ereignisse und Neuigkeiten in den Berliner Stadtteilen berichtete. Mark hatte sie stets damit aufgezogen, dass sie noch nicht alt genug für diese Lektüre sei, doch Lea wusste, wie leicht man bei der Informationsflut aus aller Welt das unmittelbare Umfeld aus dem Blick verlor. Außerdem las sie für ihr Leben gerne die Kontaktanzeigen. Heute fiel ihr


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