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Die Niederlage der politischen Vernunft. Egon FlaigЧитать онлайн книгу.

Die Niederlage der politischen Vernunft - Egon Flaig


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im Selbstmißverständnis eines Traditionalismus, der ja erst aus dem Sog gesellschaftlicher Modernisierung hervorgeht und eine zerfallene Substantialität nachahmt. Als Reaktion auf den überwältigenden Modernisierungsschub stellt er selber eine durch und durch moderne Erneuerungsbewegung dar.«20

      Unter der inklusiven Formel der ›Modernisierung‹ soll demnach sich eine Konvergenz der Kulturen vollziehen, und die ›multiplen Modernitäten‹ sollen letztlich in eine Weltgesellschaft einmünden – ganz so, als seien liberale Grundwerte weltweit bereits hegemonial – vielleicht noch nicht politisch, aber jedenfalls moralisch. Gewiß, die Globalisierung setzt alle Kulturen unter den Druck von ›Modernisierungen‹. Doch die Eliten der verschiedenen Kulturkreise reagieren darauf ganz unterschiedlich, denn es sind viele Formen von Modernisierung möglich. Diejenige des aufklärerischen Universalismus ist nur eine unter mehreren. Auch der Nationalsozialismus war eine solche Modernisierung. Samuel Huntington hat eine scharfe Divergenz zwischen mehreren Kulturen prognostiziert. Und die ist – was den islamischen Raum angeht – eingetreten. Gerade jene Historiker, die ein besonderes Augenmerk auf ›globale Trends‹ richten, haben festgestellt, daß manche kulturelle Räume wichtige rechtliche Innovationen nicht mitvollzogen. Jürgen Osterhammel hat darum den islamischen Kulturkreis aus dem großen Trend zur Liberalisierung ausgenommen, da dort der Widerstand gegen die Abschaffung der Sklaverei vehement geblieben ist.21

      Daß Gesellschaften auf den kulturellen Wandel mit Versuchen reagieren, die eigenen Traditionen übermäßig zu stabilisieren, ist ein Dauerphänomen der Geschichte. Schon immer gab es die fundamentalistische Rückkehr zu den reinen Ursprüngen; sogar Innovationen und Reformationen präsentierten sich meist als Kehre hin zum Alten. Es ist daher falsch, im Fundamentalismus ein modernes Phänomen zu sehen; und es ist makaber, ihn auf ein ›Selbstmißverständnis‹ zurückzuführen. Die 3 000 Toten des 11. September 2001 ebenso wie die 130 Toten vom September 2015 oder die Tausende von Abgeschlachteten in Nigeria sind keinem ›Selbstmißverständnis‹ von Muslimen zum Opfer gefallen. Der Begriff beansprucht, die Akteure besser zu verstehen, als sie selber es tun; und er behauptet, daß der Fundamentalismus sofort endet, sobald die Akteure beginnen, sich selber zu verstehen. Anspruch wie Behauptung sind grotesk, aber logisch, nämlich rücklaufende Stauwellen jener programmatischen Geschichtslosigkeit der Frankfurter Schule überhaupt und von Habermas im besonderen. In seinem Geiste sind die normativen Grundlagen der aufgeklärten Zivilgesellschaft dermaßen überzeugend, daß die kulturelle Vielfalt die Menschen nicht davon abhalten wird, sich immer weiter von aufklärerischen Werten durchdringen zu lassen. Der Durchbruch zur Weltgesellschaft ist eigentlich schon gelungen, muß sich nur noch vollends verwirklichen. Und zu dieser Verwirklichung kommt es, sobald die Fundamentalismen ihr Selbstmißverständnis aufgeben. Daß sie dazu vorläufig nicht bereit sind, schuldet sich der Weigerung ihrer Gläubigen, endlich sich selber zu verstehen. Eine solche Weigerung ist, diskurstheoretisch definiert, keine kognitive Angelegenheit, sondern ein moralischer Defekt. Wir haben es nicht mit Feinden zu tun, sondern letztlich mit Uneinsichtigen. Kriege sind folglich obsolet, vielmehr sind Polizeiaktionen – eventuell in kriegerischem Umfang – angemessen.

      Theorien scheitern an der Wirklichkeit. Als der junge Habermas die Kritische Theorie umgründete und ihr Fundament von der Geschichte zur Anthropologie verlagerte, zog er die Konsequenz aus dem zur Gnosis konvertierten Geschichtsbegriff Adornos und Horkheimers. Dafür begann er die Zeithorizonte zu vernachlässigen und die kulturellen Bedingungen zu depotenzieren; auch deswegen verfiel die Kritische Theorie periodisch dem Moralisieren. Die Frankfurter Schule insgesamt wird nun hinterrücks angefallen von dem, was sie ausblenden wollte, von der enormen Geschichtsmächtigkeit jener Kulturen, die sich keineswegs dem Gebot der Aufklärung fügen. Wer sich über den Feind irrt, der irrt sich über sich selber. Die eigene Selbstverkennung entspricht genau jener, die Habermas den fundamentalistischen Reaktionen vorwirft. Und sie enthüllt einen Mangel an jener Urteilskraft, auf welche die Politische Vernunft so dringend angewiesen ist.

      Wann immer das Denken der Versuchung erliegt, Wesentliches für selbstverständlich zu nehmen, entkräftet es die eigene Urteilskraft. Auch der glänzendste Stil hilft nicht darüber hinweg, daß das Urteilen naiv und kurzsichtig ausfällt. Der so gepflegte geistige Habitus ist – wie noch zu sehen sein wird – ein Niederschlag virulenter amnestischer Barbarei.22 Die Selbstverständlichkeit ist der schlimmste Feind des Nachdenkens. Dieses beginnt, wie Platon sagt, mit dem Staunen.

      Ist die Weltrepublik das Ende der Geschichte?

      Das Rechte, das Gute führt ewig Streit, Nie wird der Feind ihm erliegen.

       Friedrich Schiller

      Die obigen vier historischen Existentiale sind keine empirischen Kategorien; sie sind nicht hintergehbar. Sie markieren eine Geschichtlichkeit, die notwendigerweise an der menschlichen Existenz haftet. Damit stellen sich die Fragen nach dem ›Ende der Geschichte‹ auf neue Weise. Soll das Ziel der Geschichte darin bestehen, eine Weltrepublik herzustellen, dann gerät man in den Ruch, vom Ende der Geschichte zu sprechen. Das Reizwort ›Weltrepublik‹ weckt Animositäten: Geht in einem solchen ›Weltstaat‹ nicht alle kulturelle und historische Vielfalt verloren? Verdämmert die Menschheit dann nicht in einem öden Posthistoire? Müßte sie ohne Diversität, ohne Spannung und ohne Kriege nicht im Immergleichen verblöden?

      Diese Befürchtung ist sehr alt. Hegel erhärtete sie in seiner Kunstphilosophie und auch in der geschichtsphilosophischen Versicherung, daß der ›Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit‹ in endgültige Lebensformen einmünden müßte. Vielfach verstand man seine Geschichtsphilosophie so, daß sobald das Prinzip der Freiheit sich in die historische Realität eingeprägt habe, nichts Neues mehr kommen könne. Der französische Mathematiker Antoine Augustin Cournot verfocht 1861 die These, die Kulturentwicklung sei in ihr letztes Stadium eingetreten: Nur noch Demographie und Ökonomie seien als maßgebliche Triebkräfte übrig geblieben. Für diese Phase totaler Administrierung erfand er den Terminus ›Posthistoire‹. Der exilierte russische Philosoph Alexandre Kojève imprägnierte in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ganze Generation französischer Intellektueller mit seiner Hegelinterpretation, die in der politischen Prophetie gipfelte, ein sozialistischer ›Etat homogène et universel‹ stehe bevor.23 Nach dem Zweiten Weltkrieg sprossen variantenreiche Versionen einer Furcht vor dem trüben Endstadium, dem sich die menschliche Gattung eilends nähere. Francis Fukuyama hat 1992 in »The End of History« einen schwachen Aufguß der optimistischen Variante verbreitet, indem er den weltweiten Sieg der parlamentarischen Demokratie und des Kapitalismus diagnostizierte und die Alternativlosigkeit dieser »posthistorischen Welt« prognostizierte. Die Sozialphilosophie von Jürgen Habermas und vor allem die Systemtheorie von Niklas Luhmann waren dort längst angekommen. Als Samuel Huntington 1993 diesen Konsens aufkündigte, blies ihm sofort ein scharfer Wind ins Gesicht. Indes, seine kardinale These hat sich bewahrheitet; just die Auflösung der Machtblöcke hat neue Divergenzen erzeugt; und der Gegensatz zwischen der islamischen Kultur und der restlichen Welt ist zum heftigsten geworden. Ein nüchterner Geschichtsdenker wie Ernst Nolte benutzt zwar den Begriff ›Nachgeschichte‹, doch er füllt ihn mit einem neuen Gehalt: Selbst eine technisch perfekte Weltgesellschaft wird sich vor schweren Konflikten nicht schützen können.24

      Kojève und seine Nachfolger glaubten, daß ein Prinzip, welches sich sozial realisiere, hinfort die Realität bestimme: Wenn die Freiheit zum Leitwert der Welt würde, welche sich in einen rechtsstaatlich garantierten und menschenrechtlich orientierten sozialen Zustand begeben würde, dann bewege sich nichts Bedeutendes mehr. Doch dabei bleibt unbeachtet: Erstens sind die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Solidarität (Brüderlichkeit) – in sich antinomisch; radikal zu Ende geführt, heben sie sich selber auf. Totale Freiheit wäre ein ebenso absurder Zustand wie radikale Gleichheit. Aus diesem Grund wird über das Maß ihrer Verwirklichung immer zu streiten sein und niemals ein Konsens gefunden werden. Zweitens sind diese Prinzipien dialektisch aufeinander angewiesen. Damit widerstreiten sie einander: Ein ›Übermaß‹ an Gleichheit geht auf Kosten der Freiheit; ein ›Übermaß‹ an Freiheit geht auf Kosten der Solidarität. Diese Wechselwirkung ist in der Politischen Philosophie oft erörtert worden, weil sie die kardinalen Fragen der Staatsform und sozialen Verhältnisse berührt. Obendrein verkompliziert sich diese Wechselwirkung, weil alle drei liberal-republikanischen Prinzipien den Schutz


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