Der gefesselte Dionysos. Patrik KnotheЧитать онлайн книгу.
größte Kunst
„Wo wart ihr denn so lange?“, rief ihnen schon von weitem Apollon entgegen. Auch die anderen erhoben sich. Fast alle waren aus Dionysos’ Schulklasse.
„Mmmhh … das blöde Holz war so schwer“, log er und schielte mit einem Seitenblick auf Sophia. Sie grinste und Dionysos freute sich insgeheim über die Eifersucht im Gesichtsausdruck Apollons.
„Was willst du jetzt eigentlich?“, rief ein anderer Junge mit roten Haaren, die ihm halb über den Augen hingen. „Warum machst du so ein Geheimnis aus der Geschichte? Und wieso sollen wir ein Spielzeug mitbringen? Zum verbrennen?“
„Genau.“ Die Entschlossenheit in Dionysos’ Miene ließ den Jungen verstummen. „Aber helft mir erst einmal mit dem Feuer. Dann erzähl ich euch um was es geht.“
Da aber plötzlich aus heiterem Himmel ein Fußballspiel begann und Dionysos den Zunder vergessen hatte, verzögerte sich der Beginn der Ansprache erheblich (der Zunder lag eigentlich bereits seit zwei Tagen unter Dionysos’ Bett … wäre doch Sophia nicht so unerwartet erschienen).
Als schließlich inmitten der Laufbahn eine ansehnliche Flamme brannte, setzte bereits die Dämmerung ein. Schwer atmend und schwitzend setzten sich die Kinder im Kreis um das Feuer herum. Eine leichte Frühlingsbrise durchdrang ihre nassen Haare und allmählich machte sich Stille breit. Alle starrten auf Dionysos, der noch als einziger auf den Beinen war. Es war ein mystischer, fast magisch anmutender Moment:
19 Kinder, die in einem verlassenen Stadion bei Sonnenuntergang zwischen Bäumen um ein Feuer sitzen. Elektrizität lag in der Luft!
IX
Dionysos blickte alle scharf an. Obwohl er, wie bereits erwähnt, für leicht wunderlich und seltsam befunden wurde („Is ja kein Wunder … bei der Mutter …“), genoss er trotz dessen von seiner Umwelt einen gewissen Respekt. Allein schon deswegen, weil er der beste Freund von Apollon war, dem stärksten und cleversten der gesamten siebten Klassenstufe. Doch da war noch etwas anderes das die meisten nur unterbewusst ahnten und vermuteten. Einen Teil davon sollten sie in den nächsten Tagen kennenlernen.
„Ich sage es jetzt erst einmal kurz und knapp“, begann er. „Diese Zusammenkunft findet heute statt um das alte Ekel Orthos ein für alle Mal fertig zu machen.“ Daraufhin ertönten von überall her spöttische Töne und ein paar Lacher:
„Bist du verrückt? Wie willst du das denn machen?“
„Pass mit dem bloß auf, der macht dich richtig fertig!“
„Wenn die Erwachsenen es nicht geschafft haben, wie sollen es dann wir erst hinbekommen?“
„Hab doch gewusst, dass du n Dachschaden hast, Dionysos.“
„Naja, wenigstens haben wir ein gutes Fußballspiel gehabt.“
„Reicht’s noch für eins bevor es ganz dunkel wird?“
„Jetzt lasst mich doch erst einmal erklären …“, unterbrach Dionysos das Stimmengewirr. „Nur weil unsere Eltern oder irgendjemand anders in Delphi das nicht hinbekommen hat, heißt das noch lange nicht, dass wir es nicht schaffen. Und fertig gemacht hat er uns auch schon … ihr seht ja mein Gesicht. Das ist sein Werk. Er hat uns im Wald erwischt und verprügelt als wir gerade dabei waren unser Baumhaus fertig zu bauen. Das Haus, versprach er, würde zu Brennholz werden und wenn er uns nochmal erwischt, können wir bei der Polizei antanzen.“ Wieder ertönten viele Stimmen durcheinander.
„Wenn ihr mir allerdings helft, dann können wir ihm sein Leben zur Hölle machen. Nächste Woche haben wir noch Ferien und jeder hat Zeit. Ich habe einen Plan ausgearbeitet, den ich euch jetzt vorstellen werde. Wer dabei ist, wirft sein Spielzeug ins Feuer und besiegelt den Pakt. Wir werden alles geben was wir haben und all unseren Mut zusammen nehmen …“
„Warum zum Geier sollen wir unser Spielzeug ins Feuer werfen?“, fauchte eine hakennasige Blondine vernehmlich. „Kannst du mir sagen, was das für einen Sinn haben soll?“
Dionysos lächelte. „Ihr werdet den Sinn nicht verstehen aber ihr werdet ihn fühlen … ich glaube nicht, dass man so etwas mit Worten erklären kann. Deswegen habe ich auch bis jetzt darüber geschwiegen. Wenn ihr hier mit mir seid, begreift ihr vielleicht eher die Notwendigkeit unseres Vorhabens. Denkt nur alle mal daran, was er uns über die Jahre angetan hat. Ich bin mir sicher, dass hier keiner sitzt, dem er noch nie Angst gemacht hat. Und wenn wir nie etwas derartiges unternehmen, dann wird das Ekel für den Rest seines Lebens die Kinder von Delphi quälen.“ „Hallo?“, unterbrach sie ihn wieder „Schau doch mal dein Gesicht an! Das ist Körperverletzung. Und du hast zwei Zeugen!“
Dionysos begann nun aufgeregt zwischen dem Feuer und dem Kreis der Kinder auf und ab zu laufen.
„Und was wird dann passieren? Ich oder meine Eltern zeigen ihn an, er bekommt eine Strafe und verbüßt sie. Was auch immer das dann sein wird … eine Geldstrafe oder zwei Monate auf Bewährung. Dadurch haben wir aber nichts gewonnen außer das Orthos mehr Respekt vor dem Gesetz hat. Er soll aber Respekt vor uns haben.“ Dionysos hielt inne und blickte eindringlich in die Runde. „Und das schaffen wir nur wenn wir ihm selbst unsere Stärke zeigen. Und das geht nur wenn wir alle zusammenarbeiten.“
Stille in der Runde. Nur das Lodern der Flammen und Knacken des Holzes war zu hören.
„Also, dann erzähl uns mal deinen Plan.“
Dionysos fühlte sich unglaublich lebendig. Er spürte ein Feuer in sich brennen das er so noch nie gefühlt hatte … außer vielleicht beim Musizieren.
„Okay, ich habe die ganze Woche nichts anderes getan als Orthos beobachtet. Zum Glück scheint er bis jetzt zu faul gewesen zu sein unser Baumhaus weiter kaputt zu machen. Auch unsere Türe steht noch ganz in seiner Scheune.
Er steht immer gegen neun Uhr auf. Danach sitzt er bis zum Mittagessen in seinem Kabuff, sieht fern, trinkt literweise Kaffee und raucht Kette. Um ein Uhr ruft ihn seine Schwester zum Mittagessen. Hierzu trinkt er sein erstes Bier. Darauf folgt die Zeit in der wir zuschlagen werden: Nach dem Essen geht er nach draußen und streunt durch das Dorf; jeden Tag bis vier oder fünf Uhr. Und es ist nicht nur sein Ruf der so schlimm ist. Er macht wirklich nichts anderes als blöd durch die Gegend zu laufen. Anschließend sitzt er wieder vor dem Fernseher, trinkt aber jetzt Bier anstatt Kaffee. So um halb Sieben isst er zu Abend; übrigens manchmal allein, manchmal mit der Familie seiner Schwester, je nachdem wie er sich bei dem Male zuvor verhalten hat. Danach geht er entweder zu seinem Flimmerkasten zurück oder spielt an den Automaten in Oinos’ Bar. Spätestens um elf Uhr sitzt er zu Hause und trinkt sich ins Delirium. Wenn man ihn nicht kennen würde, könnte man direkt Mitleid mit dem Dreckskerl haben. Es ist das langweiligste Leben das man sich nur vorstellen kann. Und ich habe mir nun folgendes überlegt …“
Dionysos hatte seinen Racheplan bis in die kleinsten Details ausgearbeitet. Vielleicht sogar etwas zu penibel, aber wenn einem eine Sache so viel Vergnügen bereitet muss der Zweck nicht mehr unbedingt außerhalb ihrer liegen.
Gebannt hörten ihm seine Freunde und Klassenkameraden zu.
„Also“, sprach Dionysos mit glühenden Augen, „wer ist dabei?“
Stille. Inzwischen hatte sich die Sonne hinter den Horizont verkrochen und die Kinder waren umgeben von Dunkelheit. Zuerst regte sich niemand. Und schließlich kam das erste Wort von Apollon. Vielleicht hatten alle anderen nur darauf gewartet, dass er etwas sagen würde.
„Ich weiß nicht … das ist ziemlich leichtsinnig und gefährlich. Zum einen bekommen wir Ärger mit dem Gesetz wenn jemand fremdes davon erfährt und zum anderen ordentlich Prügel von Orthos wenn er uns in die Finger bekommt. Schau doch wie du aussiehst, Dionysos! Beim nächsten Mal landest du wahrscheinlich im Krankenhaus.“
Zustimmendes Gemurmel machte sich breit. Dann war wieder alles ruhig. Dionysos sah auf den rot schimmernden Sand unter seinen Füßen. Seine Hoffnung begann bereits zu schwinden als plötzlich eine Plastik-Trompete in die