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Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms. Melissa C. FeurerЧитать онлайн книгу.

Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms - Melissa C. Feurer


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jedoch Urs’ Stimme von draußen. „Einen gerechten Staat. Ohne König.“

      „Wir?“, hauchte Mira. Sie sah mit aufgerissenen Augen von Biene zu Chas, der grimmig nickte.

      „Du bist die ganze Zeit über zweigleisig gefahren, nicht wahr?“, stellte er mehr fest, als dass er es fragte.

      Das Klappern vor dem Heckfenster erstarb, und im Gegenlicht der mittlerweile mehr und mehr durchdringenden Sonne konnten sie sehen, dass Urs sich ihnen zugewandt hatte. „Ich war ein Fischerkind“, sagte er mit Nachdruck. „Und bin es immer noch. Aber noch ehe ich zum ersten Mal einen Fuß nach Klein-Ararat gesetzt hatte, gehörte ich schon zu den Rebellen.“

      „Du?“ Ob ihrer gewisperten Einwortsätze kam Mira sich selbst albern vor und fügte hastig hinzu: „Deshalb hast du Rune gekannt.“ Langsam dämmerte ihr so einiges. „Er ist auch einer, oder? Deshalb hattest du etwas gut bei ihm. Und deshalb hast du auch das Medikament für deine Wunde bekommen!“

      „Und deshalb sitzen wir nicht mehr im Gefängnis von Cem“, fügte Urs hinzu, ohne ihren vorwurfsvollen Unterton im Geringsten zu kommentieren.

      „Gefängnis?“, schaltete sich Chas ein. „Du hast nie etwas von −“

      Mira hob abwehrend die Hände. „Du willst jetzt nicht wirklich darüber streiten, dass ich dieses Detail für mich behalten habe, oder? Sieht so aus, als wäre mein Geheimnis hier von allen noch das harmloseste.“

      Chas warf ihr einen warnenden Blick zu, und Mira ließ sich gegen die Seitenwand des Wagens sinken. „Ich kann nicht glauben, dass ihr uns das verschwiegen habt. Wir haben euch vertraut, und die ganze Zeit hast du mit Kerlen wie diesem Rune unter einer Decke gesteckt.“

      Nun war es an Urs, beschwichtigend die Hände zu heben. „Immer mit der Ruhe.“ Er kletterte ins Innere des Wagens zurück, ehe er fortfuhr. „Ich gebe zu, manche von ihnen sind komische Kerle. Rune insbesondere. Aber sie verfolgen ein gutes Ziel. Wir verfolgen ein gutes Ziel.“

      „Auttenberg zu stürzen?“ In Chas’ Stimme schwang nicht die leiseste Spur irgendeiner verräterischen Emotion mit. Keine Aufregung, keine Wut − gar nichts, was ihn hätte verraten können. Wenn überhaupt, dann klang er interessiert.

      „Die ganze Monarchie abzuschaffen und den Menschen ihre Freiheit wiederzugeben. In der Hauptstadt haben die Rebellen große Pläne. Kommt mit und hört es euch selbst an! Wir können uns ihnen anschließen und …“

      „Und was? Einen Bürgerkrieg anzetteln?“ Mira konnte nichts dagegen tun, dass all die längst vergangenen Vorträge ihres Vaters wieder in ihren Ohren hallten. Über den Frieden, den sie Nicholas Auttenberg verdankten, über das goldene Zeitalter, das anbrechen sollte, wenn erst die Anfangsschwierigkeiten überwunden wären. Natürlich, Auttenbergs Importverbot und der Grenzschluss sorgten für viel Leid. Aber ein Krieg konnte doch unmöglich besser sein! Und wozu sonst als zu einem Krieg sollte es führen, wenn das gesamte politische System ihres Landes gestürzt werden sollte? Sie müssten den König schon mit Gewalt …

      Miras Blick huschte zu Chas. Bei all ihren sich überschlagenden Überlegungen wurde ihr erst jetzt wirklich bewusst, dass es sich bei dem, über den sie da sprachen, um seinen Vater handelte.

      „Ich glaube nicht, dass das etwas für uns ist“, wehrte sie rasch ab. „Wir wollen eigentlich nur Filip helfen und dann so schnell wie möglich …“

      „Warum eigentlich nicht?“, unterbrach Chas sie jedoch unerwartet. „Um ehrlich zu sein: Wir haben keinen besonders guten Plan. Im Hauptquartier der Rebellen wären wir nah am Geschehen und könnten uns unser Vorgehen überlegen.“

      Mira zog die Augenbrauen hoch. Sie wollte Chas gerne fragen, ob das sein Ernst war. Ob er sich wirklich einer Gruppe anschließen wollte, die einen Hinterhalt gegen seinen Vater plante. Was erhoffte er sich davon? Wollte er sie aufhalten oder sie − im Gegenteil − gar unterstützen? Was hatte er vor?

      Vor Urs und Biene allerdings konnte Mira ihre Zweifel nicht aussprechen. Sie hatten keine Ahnung, dass Chas Nicholas Auttenbergs Sohn war, und so sollte es, zumindest vorerst, auch bleiben.

      Also starrte Mira nur in Chas’ goldene Augen und versuchte, aus ihnen schlau zu werden, während sie widerwillig zustimmte: „Schön, dann gehen wir also zu den Rebellen in die Hauptstadt.“

      Es dauerte noch einige weitere Stunden, bis Urs seinen Fluchttunnel endlich für vollendet und einsturzsicher erklärte. Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten, und selbst im Zwielicht ihres unterirdischen Verstecks bemerkte Mira die rötliche Färbung, die das Licht mittlerweile angenommen hatte.

      „Wenn wir gut zehn Stunden am Tag laufen, sollten wir keine Woche mehr bis in die Hauptstadt brauchen.“ Urs brach mithilfe eines Metallstücks die scharfkantigen Reste des Heckfensters aus seiner Rahmung. „Also, wer mag zuerst zurück ans Tageslicht klettern?“

      Mira warf einen raschen Blick zu Chas, der Urs und die Tunnelöffnung hinter ihm kritisch musterte. „Ich nicht.“ Seine Stimme klang so rau und trocken, wie Miras Kehle sich anfühlte.

      „Wir brauchen zuerst Proviant.“ Biene schien einen ähnlichen Gedankengang wie Mira zu verfolgen. „Ohne Wasser kommen wir nicht weit. Und Chas ist geschwächt. Er braucht etwas in den Magen.“

      Fast automatisch wanderte Miras Blick zu dem weißen Plastikband an ihrem Handgelenk. „Wenn wir Rationskarten hätten …“

      „Die Rebellen werden uns mir allem versorgen, was wir brauchen“, widersprach Urs. „Wir sind daran gewöhnt, einander zu helfen. In der nächsten Ortschaft suchen wir einen ihrer Unterschlupfe.“

      „Nein, Urs.“ Biene schüttelte den Kopf. „Hier in Cem. Wasser kann ich bei den Rebellenbotschaftern am Stadtrand holen. So wie gestern Abend. Aber Lebensmittel …“

      „Gestern Abend hat es sich um einen Notfall gehandelt“, unterbrach Urs sie.

      „Urs …“ Biene biss sich auf die Unterlippe. „Wir brauchen Wasser und Lebensmittel, bevor wir aufbrechen. Chas …“

      „Blöd nur, dass keiner von euch Cem mehr betreten kann“, unterbrach sie dieser mit einem Hauch Spott in der Stimme. „Ihr seid aus einem Gefängnis ausgebrochen, wie ich kürzlich erfahren habe. Wahrscheinlich sucht man euch.“

      „Also willst du gehen?“, fragte Mira angriffslustig. „Ohne Armband kommst du sicher sehr weit. Wir haben immerhin …“

      „Ihr habt beide kein Zeichen.“ Urs hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Ich sagte, wir helfen einander. Kein Rebell wird einen anderen ohne Wasser und Nahrung auf der Straße stehen lassen. Aber für Außenstehende übernehmen wir keine Verantwortung.“ Zögerlich löste er die Verschränkung seiner Arme und streckte ihnen den linken entgegen.

      Mira starrte auf Urs’ Arm und das weiße Band daran. Ihre Augen hatten sich längst an das Zwielicht gewöhnt, aber sie konnte nichts Besonderes erkennen. Das helle Band bildete einen starken Kontrast zu Urs’ sonnengebräunter Haut. Die winzige, ausgefranste Narbe, die Mira schon einmal bemerkt hatte, lag exakt zwischen Handballen und Armband.

      Sie sah genauer hin. Für eine ganz normale Narbe war sie ungewöhnlich exakt. Sie bildete einen perfekten kleinen Kreis und wurde von einigen sehr feinen Linien durchkreuzt.

      „Es ist unser Zeichen.“ Urs zog sein Handgelenk aus ihrem Blickfeld und verschränkte wieder die Arme. „Zeig es einem anderen Rebellen, und er weiß, dass wir auf der gleichen Seite stehen. Lass es versehentlich einen Wachmann sehen, und er kann rein gar nichts damit anfangen. Halte es unter einen Scanner, und ein Hilferuf wird an die Rebellen abgesetzt.“

      „Also hast du im Gefängnis in Cem gar nicht dein Ausweisband gescannt!“ Mira hatte die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass etwas an ihrer geglückten Flucht faul gewesen war.

      Aber Chas hatte noch etwas ganz anderes aus Urs’ Worten herausgehört. „Dann habt ihr also sogar das Sicherheitssystem des Staates unterwandert.“ Es war keineswegs eine Frage. Aber


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