Die Politik und ihr Wahnsinn. Ralph LlewellynЧитать онлайн книгу.
ich sage. Was ich nicht will, wird es nicht geben. Ganz einfach.“
Es entstand eine unselige Stille im Raum, die die Unterschiedlichkeit ihrer Gedanken offenbarte. Ja, Kohls Mädchen war eine Frau geworden. Bissig und machtversessen. Inzwischen kümmerte es sie nicht einmal mehr, welche Parteitagsbeschlüsse gefasst wurden. Auch diese wischte sie einfach von der Tischplatte, ungeachtet aller Konsequenzen.
„Verzeihen Sie, aber wir müssen dann auch darüber reden, wie wir es bewerkstelligen sollen.“
„So? Habe ich nicht genügend kluge Köpfe in meiner Regierung? Muss ich denn alles alleine machen?“ Tiefe Furchen durchpflügten ihre Stirn. Ihre Hände, die sie sonst immer in ihrer typischen Art gefaltet hatte, lagen nun flach auf der Tischplatte. In ihrer ganzen Körperhaltung glich sie einer zum Sprung bereiten Raubkatze.
Was sollte er auf diese Frage antworten? Die Wahrheit? Aber was würde das schon bringen? Sie war bereits zu weit gegangen mit ihren einsamen Entscheidungen und konnte nun nicht mehr in die kuschelige Komfortzone zurückweichen. Sonst war er für seine trockenen, treffsicheren Aussagen bekannt, doch diesmal blieb er stumm. Bereits in der Griechenlandkrise hatte er sie hart angegangen, als er den Grexit ins Spiel brachte. An die Abreibung, die er danach hinter verschlossenen Türen erhalten hatte, erinnerte er sich noch genau. Zwar wusste auch er eine große Anhängerschaft in der Basis hinter sich, aber der letzte Parteitag hatte gezeigt, wie schnell Mehrheiten bröckeln konnten. Manchmal fragte er sich, warum er überhaupt Politiker geworden war. Vielleicht war er wie die anderen. Vielleicht gehörte auch er bereits zu den verlorenen Seelen, die alles taten, nur um ihren Posten nicht zu verlieren.
„Nun? Gibt es noch etwas zu besprechen?“, fragte sie ihn nun ganz ruhig. Sie hatte sich nach ihrem kurzen Gemütsausbruch schnell wieder im Griff. Das war sicherlich eine ihrer Stärken. Manchmal aber auch die einzige.
Ein Staat, der sein Volk belügt,
ihm die Stimme zu nehmen bereit,
der glaubt, dass es sich ewig fügt,
ist dem Untergang geweiht.
IRGENDWO IN DEUTSCHLAND, ANFANG JANUAR 2017
I
„Guten Tag, Herr Burchard.“ Eine dickliche junge Dame empfing Hans freundlich an der Haustür. Sie streckte ihm die Hand entgegen, als wäre es das Selbstverständlichste überhaupt. Oh, wie er es hasste, fremde Hände zu schütteln.
Er hatte sich in dieser schmutzigen Welt bereits auf vieles vorbereitet. Dazu gehörte auch ein schmaler Streifen Plastikfolie, den er immer griffbereit in der Tasche trug. Ihn konnte er zuerst auf die Klingel legen, bevor er sie drückte. Allein schon der Gedanke, wer bereits alles seinen Finger auf diesen unschuldig aussehenden Knopf gepresst hatte, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Finger voller Bakterien, Viren und sicher manchmal auch Fäkalien. Aber ums Händeschütteln kam er nur selten herum, ohne den Anschein von Unhöflichkeit zu erwecken.
„Guten Tag, Frau Frohsinn“, antwortete er höflich. Noch brannte in ihm ein Kampf, ob er ihr die Hand reichen oder verweigern sollte. Sie streckte ihm ihre entgegen – wie eine stumme Frage, die zu beantworten er noch nicht bereit war.
Ein unsicheres Zucken durchdrang plötzlich ihren Blick. Hatte sie sein Zögern bereits bemerkt? Ach, warum war er nicht Astronaut geworden? Schwerelos in sicherer Distanz zu Menschen und Unrat. Resigniert schloss er die Augen und tat, was von ihm erwartet wurde. Seine noch absolut saubere Hand umschloss ihre fleischigen Finger, die sich feucht und klebrig anfühlten. Feucht und klebrig? „Oh Gott“, entfuhr es ihm ungewollt, und ein eisiger Schauer ließ ihn frösteln.
„Wie bitte?“
„Oh, nichts Besonderes. Wie schön doch Ihr Haus ist“, antwortete er hastig. Schnell zog er seine Hand wieder zurück, und obwohl er einen heftigen Drang verspürte, sie irgendwo abzuwischen, ließ er sie steif nach unten hängen.
„Ach so. Na, dann kommen Sie doch rein.“ Ihr war vielleicht doch nicht aufgefallen, was so offensichtlich gewesen war, denn sie lächelte ihm zu und trat mit einem einladenden Schritt zur Seite.
Eilig griff er in die Jackentasche und holte Überstreifer für seine Schuhe heraus.
„Das muss nicht sein“, entgegnete sie.
„Aber ich möchte doch nur, dass alles sauber bleibt.“
Sie winkte nur ab. „So sauber ist es hier auch nicht. Meine Putzfrau ist im Urlaub, und ich habe wirklich keine Zeit, sauber zu machen. Mit drei Kindern hat man alle Hände voll zu tun.“
Während sie sich umdrehte und vor ihm die Diele betrat, hallten ihre Worte in seinen Ohren nach: So sauber ist es hier auch nicht, drei Kinder … Es dauerte einige Sekunden, bis er seine Starre überwunden hatte und ihr zögernd folgte.
Als er sich entschlossen hatte, Makler zu werden, wusste er noch nicht, wie sehr er seinen Beruf eines Tages verabscheuen würde.
II
Ein durchdringendes Bimmeln, das unwirklich und dennoch aufdringlich real klang, riss Frank aus dem Schlaf. Mit einem leisen Brummen drehte er sich auf den Bauch und stülpte sich das Kissen über den Kopf. Nein, die Nacht konnte doch wirklich noch nicht vorüber sein. Oder etwa doch?
Immer wieder hämmerten die schrillen Töne auf ihn ein, bis er endlich nachgab und nach dem Wecker tastete. Seine Hand brauchte einige Zeit, bis sie endlich die nervtötende Quelle fand und ausschaltete.
Vorsichtig öffnete er die Augen nur ein paar Millimeter weit, doch sofort drang ihm eine schmerzvolle Helligkeit entgegen, die er kaum ertragen konnte. Sein Kopf fühlte sich wie Watte an, und seine Gedanken krochen in zähem Schleim dahin, der Erinnerung an den gestrigen Abend nach.
„Scheiße“, fluchte er und drehte sich wieder auf den Rücken. Jede Bewegung stach wie eine Nadel in sein malträtiertes Hirn. Was war gestern nur geschehen?
Nach und nach kehrten schließlich die Bilder zurück, wie er letzte Nacht in einer Bar versackt war. Ja, er hatte Spaß gehabt. Gelacht und Mist erzählt. Und geflirtet hatte er auch. Aber wie war er nur nach Hause gekommen? Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war, dass er mit einer dunkelhaarigen Schönheit im Arm an der Bar gesessen und einen Trinkspruch gelallt hatte, den er heute nicht mehr zusammenbekam. Und dann? Dann verschwammen die Erinnerungen.
Erschrocken tastete er das Bett neben sich ab, doch es war zum Glück leer.
So konnte es beim besten Willen nicht weitergehen. Zu viel Alkohol, zu viele Frauen, und zu nah stand er an der Klippe des Untergangs. Noch ein paar Schritte, und es war vorüber. Es war dieses Gefühl der Leere, die er zu ertränken versuchte. Seine Geschäfte liefen gut, aber sein privates Leben erstickte förmlich in Unwichtigkeiten.
Er atmete noch einmal tief durch, dann öffnete er langsam die Augen. Es würde wieder ein Tag wie jeder andere werden, ein Scheißtag. Er hatte sich für ein Maklersymposium angemeldet, auf das er nun aber überhaupt keine Lust verspürte. Am liebsten hätte er einfach die Augen wieder geschlossen und den Tag vergessen.
Doch irgendetwas irritierte ihn. Er stemmte sich im Bett hoch und ließ den Blick im Schlafzimmer umherschweifen. Alles schien normal zu sein, und doch war etwas anders. Seine Kleider musste er in der Nacht achtlos über die Lehne eines Sessels geworfen haben, die Sonne stahl sich durch die Schlitze des heruntergelassenen Rollladens, und Kaffeeduft durchzog das dämmrige Zimmer. Was um Himmels willen stimmte hier nicht?
Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Kaffee. Oh Mist! Er ahnte bereits, was nun kommen würde.
Plötzlich schwang die Schlafzimmertür auf, und da stand sie, die Dame von gestern Abend. Nur mit einem Badetuch umwickelt, tänzelte sie mit zwei Tassen und einem entzückten Lächeln auf ihn