Amerikanische Satiren. Albrecht ClassenЧитать онлайн книгу.
glücklich geworden; sie waren sowieso schon alt, aber mir fehlen sie jetzt doch empfindlich. Ob der Dieb lange diese Lichter benutzen kann, ist fraglich. Welche Lehre also habe ich daraus ziehen müssen? Ganz einfach, indem es bei mir dunkel wurde, ging bei mir zugleich ein Licht auf. Es wäre zwar sehr zu empfehlen, mit Scheinwerfern in der Nacht zu fahren, aber ich kam auch so gut nach Hause. Ärgerlich alles, aber verzeihen will ich dem Halunken doch. Wer so erbärmlich ist und einem Radfahrer die Lichter klaut, dem ist kaum noch zu helfen. Ich aber muss mich jetzt im Dunklen selber zurecht finden, eine Lektion für das Leben. Wie wurde uns im Film gesagt, unsere größten Feinde sind unsere besten Lehrer. Am nächsten Tag besorgte ich mir neue Fahrradlampen.
DES AMERIKANERS LIEBSTES KIND
Nein, von Kindern soll hier nicht die Rede sein. Auch nicht von Haustieren oder Hobbys. Vielmehr geht es darum, was viele Amerikaner so begeistert, was ihnen so stark am Herzen liegt, dass sie all ihre anderen sozialen, religiösen, philosophischen oder persönlichen Anliegen beiseite lassen, um sich diesem liebsten Kind zu widmen. Jeder konservative Politiker kennt dieses nur zu gut, und jeder überschlägt sich heute geradezu dabei, als Unterstützer, Befürworter, Verteidiger oder Vorkämpfer dieses Kindes aufzutreten. Man kann noch so ein großer Schweinehund sein, Frauen, Kinder oder Männer sexuell belästigt, finanziell dem Staat geschadet, gelogen, betrogen haben, ach, was auch immer, solange man nur dieses liebste Kind hätschelt und tätschelt, sorgsam pflegt, stets im Munde führt, ein Loblied darauf singt, kräftig über die Gegner wettert, die es aus der Hand jedes braven Amerikaners zu nehmen wagen könnten, und schon wird man gewählt. Geradezu ein Zaubermittel; und da können sich die Ausländer noch so die Augen reiben und fragen, was das denn alles soll. Es bleibt dabei, das liebste Kind wird stets umhegt und als die große Ikone des freien Amerikas hingestellt. Nur nicht daran rühren.
Wie denn, könnte man sich fragen, was für ein Kind mag das denn wohl sein? Nach so vielen Umschweifen, bitte mal mit der Katze aus dem Sack! Also, ganz einfach, glänzendes Metall, locker in der Hand liegend, Schnellfeuerwaffe, oder schweres halbautomatisches Gewehr, mit dem man einen Elefanten umlegen könnte und ein Rhinozeros zugleich. Man hört diese beeindruckenden Geschichten immer wieder: tatkräftige Großmutter verteidigt ihr Haus gegen Einbrecher, zückt ihre Waffe und ballert los. Die Diebe sind heilfroh, noch lebend davongekommen zu sein. Für die Zeitungen ein gefundenes Fressen, fett gedruckte Schlagzeilen. Und was die alte Frau schafft, das steht jeder anderen Frau in Amerika auch zu. Die Männer müssen sich natürlich als die Verteidiger der Familie noch besser rüsten und dürfen ein ganzes Arsenal besitzen; es könnten ja die Russen kommen, und da muss man gewappnet sein. Die National Rifle Association (NRA) ist mittlerweile zum Staat im Staate geworden, und wenn nur irgendjemand es wagen sollte, das Recht des Amerikaners auf freien Waffenbesitz in Frage zu ziehen, tobt sogleich ein politisches Unwetter sondergleichen. Da sollen übrigens die Russen schon lange an deren Türen geklopft haben.
Schon interessant, wenn man ein Auto kaufen will, oder eine größere Maschine, wird extrem viel an bürokratischem Kram verlangt, Formulare müssen ausgefüllt werden, Versicherung muss vorliegen, vom Führerschein ganz zu schweigen. Bei Waffen handelt es sich offensichtlich um etwas ganz anderes. Überall laufen diese großen Waffenmessen, und man kann sich dort ganz einfach mit allem Möglichen versehen, was so die heutige Industrie anzubieten vermag. Ob man nun Schwerverbrecher ist oder geistig geschädigter Mensch, interessiert doch niemanden. Geld über den Tresen schieben, hier hast du deine Waffe, und das Magazin gleich dazu – haben die denn alle einen Schuss weg – pun not intended, or is it? Frei ist die Welt, und in den USA noch freier. Gut, da hat ein Verrückter wieder einmal massenweise Menschen über den Haufen geschossen, die Überlebenden sind entsetzt, klagen, trauern, kritisieren, organisieren öffentliche Veranstaltungen – dies darf nie wieder passieren, mit uns nicht! –, aber das verändert doch nichts an dem Recht des Amerikaners, eine Waffe zu besitzen. Wir als freie Menschen sind nicht geisteskrank, nicht psychisch geschädigt, nicht von Verfolgungswahn geplagt, sehen keine Gespenster, und wer sollte mich dann daran hindern, Ballermann und Söhne zu spielen.
So herrlich ist das in den USA, jeder ist dazu aufgerufen, die Freiheit zu verteidigen, sich selbst zu verteidigen, die Gesellschaft zu verteidigen, vor allem gegen all die Bösen draußen, die ja dort auf den Waffenmessen ebenfalls kräftig zulangen oder Waffen in den dunklen Gassen kaufen, Schmuggelware. Fast läuft schon Krieg auf den Straßen, und je mehr Waffen in die Hände der Verbrecher gelangen, desto mehr müssen wir uns selber welche zulegen. Kein demokratischer Politiker darf uns da das Spiel verderben, oh nein, wir sind doch nicht so schwach wie die Europäer.
Und schon wieder kommt es in einem Restaurant, in einer Grundschule, in einem Krankenhaus, in einem Geschäft zu einem Blutbad von völlig unschuldigen Menschen, oftmals Kindern, aber das gehört wohl dazu. Und was geht das denn die bewaffneten Amerikaner an? Wir verteidigen ja nur Hof und Herd, wie im alten Stil. Gell, da brüstet ihr euch alle, beruft euch auf die Second Amendment, und die hat noch niemand so richtig gelesen – “a regulated militia”, steht da, “security of a free State”, nicht aber “every American is entitled to carry a weapon”, sondern: “the right of the people to keep and bear arms”, als Konsekutivsatz, bezogen auf die “militia”. Naja, was soll’s, selbst das Höchste Gericht hat sich für das Recht auf den freien, ungezügelten Gebrauch von Waffen entschieden, weil der Nebensatz so nebulös daherkommt, und so läuft das Karussell des Blutvergießens in den USA weiter, jedes Jahr an die 39 000 Morde. Das geht mir irgendwie nicht in den Kopf, und dann kriege ich vielleicht eines Tages, unversehens, völlig unschuldig meiner Arbeit nachgehend, genau so eine Kugel in diesen empfindlichen Körperteil, und dann ist es aus mit meiner sarkastischen Stimme. Mausetot werde ich dann sein, und die NRA pfeift dann so ihr Lied darauf … Tja, diese neunmalklugen Europäer! Eine Waffe hätte er besitzen sollen zur Selbstverteidigung, und dann, und dann, na, nicht auszudenken!
WIE DIE DEUTSCHEN SO AMERIKA LIEBEN!
Oder ist es eher eine Hassliebe? Wir kennen dies alles schon seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Linken erkoren sich Amerika zum Feind Nr. eins und wetterten hemmungslos gegen diesen kapitalistischen Moloch sondergleichen. Die amerikanische Großindustrie, das amerikanische Militär, die amerikanische Großmannssucht, die amerikanische Politik, das oberflächliche amerikanische Leben, ach eigentlich alles, was mit diesem Adjektiv benannt werden konnte, wurde durch und durch verdammt. Nun ja, wer als Linker was auf sich halten will, braucht schon einen kräftigen Gegner. Nur nicht die Russen auf die Zielscheibe nehmen, oder den türkischen Diktator, das ist was ganz anderes. Der amerikanische Kapitalismus ist an allem schuld.
Am schlimmsten ist natürlich für den deutschen Kritiker die Schnellimbisskette McDonald, oder Burger King, die vollkommen bestätigen, dass man in den USA von der Kulinarik ganz und gar nichts versteht und man sich in der Neuen Welt sogar hinsichtlich der Nahrung industriell hat funktionalisieren lassen. Barbarisch muss es dort zugehen, einfach nur Hamburger und Chips. Wie ungesund die da drüben leben! Kein Wunder, dass immer mehr Amerikaner fettleibig sind. In Deutschland braucht man sich da keine Sorgen zu machen, denn es handelt sich dort ja nur um Bierbäuche. Freilich auch nicht schlecht!
Amerika ist die kapitalistische Dystopie sondergleichen, und die armen Menschen dort sind wirklich nur zu bedauern, müssen sie ja in einer so verfremdeten Existenz leben. Amerikanische Autos – das sind ja die letzten Blechkisten! Amerikanisches Bier – untrinkbares Spülwasser! Gutes Brot oder guten Käse – kann man da drüben gar nicht finden! Und die Kaffeekultur erst, undenkbar, nur lassen wir jetzt mal Starbucks beiseite, sonst verzerrt sich das Bild. Europa ist ja so viel weiter voraus, in jeder Hinsicht, da können wir uns wunderbar damit brüsten. Nur halt nicht auf die Details achten. Warum gibt es aber so viele McDonalds in Deutschland? So viele amerikanische Touristen wird es doch nicht geben. Also scheinen die meisten Kunden doch die Deutschen zu sein. Die aber essen doch nicht solche furchtbaren Burgers, oder? Bitte nicht nachbohren, die Jugendlichen stopfen sich ja hier genauso mit diesem Dreck voll wie in Amerika. Gut nur, dass man jedenfalls immer noch stolz sein kann auf das deutsche Brot oder das deutsche Bier – nach Reinheitsgebot gebraut. Überlegenheit auf kulinarischem Gebiet, toll. Amerikanische Mikrobrauereien gibt