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Seidenkinder. Christina BrudereckЧитать онлайн книгу.

Seidenkinder - Christina Brudereck


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nach dem Tod seines Vaters auch seine Mutter gestorben war, musste er wieder weinen, berichtete dann aber weiter von den näheren Umständen. Seine Mutter war seit dem Tod des Vaters nicht mehr dieselbe wie vorher, sie war verzweifelt, schlief kaum. Zunächst hatte sie ihre Hoffnung auf ihre Schwester gesetzt und hatte sich mit ihren drei Kindern auf den Weg nach Vellore gemacht, über hundert Kilometer zu Fuß. Als sie hier ankamen und sie sich hatte eingestehen müssen, dass sie seine Tante nicht finden würden und nicht wussten, wohin, war sie irgendwie ganz komisch geworden, wie verrückt, und dann ganz plötzlich schwer krank. Sie hatte sich vor Schmerzen gewunden, irgendwelche Fremden hatten sie ins Krankenhaus gebracht, ins CMC, und man hatte sich um sie gekümmert, aber nichts mehr für sie tun können. Drei Tage später war sie tot.

      Da war er auf dem Gelände geblieben, sein älterer Bruder aber war schon Tage vorher weggegangen und hatte den Tod der Mutter nicht miterlebt, er wusste nicht, wo er jetzt war. Seine jüngere Schwester war bei seiner Mutter geblieben, weil sie noch so jung war, er nahm an, dass sich die Schwestern um sie gekümmert hatten und sie vielleicht in einem Kinderheim untergebracht worden war, auch sie hatte er nicht wiedergesehen, machte sich um sie aber nicht so große Sorgen. Das alles war jetzt schon über zwei Jahre her. Als er Muthu gerade hatte weggehen sehen, hatte er sich an seinen Bruder erinnert gefühlt und merkte, wie sehr er sich danach sehnte, Freunde zu haben, Geschwister, eine Familie, ein Zuhause.

      Jaya ließ ihn in aller Ruhe erzählen, fragte zwischendurch ein paar Mal genauer nach, auch um zu wissen, wie Raja generell mit Erinnerungen umging, wie viel er verdrängt hatte, welche Erklärungen er für sich gefunden hatte. Dann brachte er seinerseits auch seine eigene Geschichte mit in das Gespräch ein, erzählte ebenfalls vom Tod seines Vaters.

      Irgendwann kamen sie an den Punkt, wo Jaya ihm von der Idee, der Gründung und dem Bau des Kinderheims erzählte und wie ihr Zusammenleben hier organisiert war. Jetzt stellte Raja ein paar Fragen und Jaya merkte, dass er einen sehr aufgeweckten Jungen vor sich sitzen hatte. Er war zwar noch nie gefördert worden, aber sobald man einmal etwas Zeit in ihn investieren würde, er lesen lernen würde, genug zu essen bekam und sich sicher und angenommen fühlen konnte, würde er schnell große Fortschritte machen. Jaya erklärte ihm ein paar organisatorische Einzelheiten. Dass er, wenn Raja sich entscheiden würde, zu bleiben, morgen mit ihm zur Schule gehen würde, um ein paar Tests mit ihm zu machen. Dann würde Raja, je nachdem wie das Ergebnis dieser Tests ausfiel, für ein paar Wochen zusätzlichen Unterricht bekommen, Unterstützung bei seinen Hausaufgaben, und einer der älteren Jungen, vielleicht Muthu - bei dem Gedanken strahlte Raja über das ganze Gesicht - würde ihm helfen, den Alltag im Kinderheim zu verstehen und mit den anderen gemeinsam einige Aufgaben zu erledigen, Wäsche zu waschen, den Tisch zu decken, zu fegen, zu spülen, den Rasen zu schneiden, Tee zu kochen.

      Was man außerdem erledigen müsste, wäre, ihn untersuchen zu lassen, um sicherzugehen, dass er gesund war, oder sich andernfalls um eine etwaige Krankheit zu kümmern. Raja schaute angespannt, fast ein bisschen ängstlich, aber als Jaya sagte: „Eine Ärztin aus dem CMC, Doktor Ranjini, du hast sie heute gesehen, wird das übernehmen“, entspannte er sich wieder.

      Jaya stockte für einen Moment und sagte: „Du bist klein für dein Alter. Das kann daran liegen, dass du nicht viel zu essen hattest, aber bist du dir wirklich sicher, dass du schon neun Jahre alt bist?“ Raja nickte. Es war sich sicher. Und noch sicherer war er sich, dass er gerne größer wäre.

      Jaya merkte, dass ihm das Thema unangenehm war, und fragte: „Hast du Mohankumar gesehen? Den allerkleinsten der Jungen?“ Raja nickte. Dieser Junge war wirklich auffällig klein. Jaya fuhr fort: „Mohan ist kleiner als du und gleichzeitig ist er doch ein Jahr älter. Er war total unterernährt, als er zu uns kam, und es fällt ihm immer noch schwer, zu essen, er hat oft keinen Appetit; aber er wächst, langsam, und er schreibt mit die besten Noten.“

      Wie um zu beweisen, dass er dabei sein wollte, nahm Raja einen ersten Keks und eine Apfelscheibe, stopfte beides in den Mund, kaute und nahm einen großen Schluck aus seinem Teebecher. Beide mussten lachen.

      Auch um das Thema zu wechseln, sagte Jaya, dass man ihn nach dem Test in der Schule und der Untersuchung durch die Ärztin ganz offiziell und mit seinem vollen Namen und Geburtstag bei der Stadtbehörde unter der Adresse des Kinderheims anmelden würde. Er wäre dann kein Straßenkind mehr, sondern sesshaft und würde später ohne Schwierigkeiten einen Pass ausgestellt bekommen. „Wenn du das möchtest, können wir versuchen, Familienangehörige von dir zu finden und Kontakt herzustellen zu Geschwistern deiner Eltern oder auch zu deinen eigenen Geschwistern. Vielleicht werden wir bei so einer Suche keinen Erfolg haben, aber wir könnten es probieren. Nun, das hat allerdings Zeit, du musst es nicht heute entscheiden.

      Zum Tagesablauf hier im Haus kann dir Muthu gleich Näheres erklären. Am Morgen vor der Schule treffen wir uns zum Frühstück und zum Morgengebet. Am Nachmittag nach der Schule machen alle zuallererst ihre Hausaufgaben, erledigen ihre anderen Arbeiten im Haus, dann ist freie Zeit zum Spielen. Wenn Gäste da sind, werden sie von uns allen mit in den Tagesablauf hineingenommen. Nach dem Abendessen sehen wir zusammen die Nachrichten im Fernsehen und wenn es Fragen gibt, besprechen wir sie. Und vor dem Zubettgehen treffen wir uns noch einmal alle zum Abendgebet, ich erzähle eine Geschichte und bete um Gottes Segen. Dies ist ein christliches Kinderheim. Wir leben hier in Frieden zusammen, damit meinen wir nicht nur Waffenstillstand, sondern mehr eine Art entwaffnendes ganzes Glück. Lern es einfach kennen.“

      Jaya hatte jetzt alle eher formalen, äußerlichen Angelegenheiten mit ihm besprochen und hatte den Eindruck, Raja habe alles soweit verstanden. Ein letzter Punkt aber musste noch offen angesprochen werden, und der betraf die Grundregeln für ihr Zusammenleben.

      „Raja, du musst wissen, dass das Kastensystem in diesem Haus nicht akzeptiert ist. Kasten haben hier keine Bedeutung. Wir fragen nicht, aus welcher Kaste jemand kommt, wir teilen niemals die Jungen in niedrigere oder höhere Kasten ein und wir wollen auch nicht, dass ihr einander einteilt. Auch die Hautfarbe macht keinen Unterschied. Es ist nicht wichtig, ob jemand hellere oder dunklere Haut hat. Alle sind gleich viel wert und alle verdienen Respekt, alle können Freunde sein. Wir haben außerdem die Verabredung, dass wir einander nicht belügen, nicht bestehlen und nicht schlagen. Und dass wir uns entschuldigen und verzeihen, wenn wir etwas falsch machen und es einsehen. Es gibt keine Strafen, bisher haben wir keine gebraucht. Mit diesen Regeln kann Vertrauen entstehen, und das bedeutet mir sehr viel.“

      Er sah Raja offen an und fragte: „Bist du einverstanden? Können wir verabreden, dass du dich auf diese Regeln einlässt?“

      Raja nickte mehrmals ernsthaft.

      Die Stunde war schnell umgegangen und Muthu klopfte an die Tür und betrat das Büro. „Wenn du erst mal keine Fragen mehr hast, zeigt dir Muthu jetzt das Haus. Guck dir alles genau an, die Küche, den Gemeinschaftsraum, die Zimmer, den Garten. Nimm am Abendessen teil und am Abendgebet und sag, wie es dir geht, frag, wenn du etwas nicht verstehst, und teil mir irgendwann heute oder morgen deine Entscheidung mit. Danke, Muthu. Viel Spaß, euch beiden.“

      Fröhlich zogen die beiden ab.

      Jaya blieb an seinem Schreibtisch sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben, dachte über die unglaubliche Ähnlichkeit zwischen Rajas und seiner eigenen Geschichte nach und begann, leise zu beten.

      Das Telefon klingelte unten in der Halle. Sunda, einer der beiden Erzieher, rannte, um den Hörer abzunehmen und zu antworten.

      „Jaya“, rief er durch das ganze Haus, „es ist für dich.“ Jaya fragte sich, wer das sein könnte, verließ schnell sein Büro und kam zum Telefon gelaufen.

      „Hallo, Jaya.“

      Die Stimme hätte nicht sagen müssen, zu welcher Person sie gehörte, welchen Namen sie trug, er hätte sie wiedererkannt. Jaya räusperte sich: „Danke, dass Sie anrufen, Doktor Ranjini.“

      „Bitte, nennen Sie mich doch Kala. Ich rufe an, um Ihnen zu sagen, dass ich es heute leider doch nicht schaffe, zu Ihnen in das Kinderheim zu kommen. Ich werde mich aber morgen im Laufe des Tages noch einmal bei Ihnen melden, um einen Termin zu vereinbaren, damit ich mir den kleinen Raja ansehen kann.“

      Jaya


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